In Hamburg sind am Abend des 9. März bei einer Amoktat
sieben Menschen in einer Versammlung der Zeugen Jehovas getötet worden, der
Täter hat sich selber gerichtet. Acht Menschen wurden verletzt, vier davon
schwer.
Unser tiefes Mitgefühl gilt allen Betroffenen dieser
schrecklichen Bluttat.
Wir gedenken der verstorbenen Menschen, von denen
einer noch nicht einmal geboren war.
Unsere Gedanken sind bei den Eltern, Kindern,
Geschwistern und Großeltern der Verstorbenen und bei allen Menschen, denen sie
nahe waren. Mögen sie in diesen dunkelsten Stunden ihres Lebens getragen werden
von Fürsorge, Unterstützung und Trost und so erfahren, dass sie in ihrem
Schmerz und ihrer Verzweiflung nicht alleine sind.
Ganz besonders denken wir an all jene, die nahe Menschen ein zweites Mal verloren haben und von der Fürsorge der früheren Gemeinschaft ausgeschlossen sind. Sie sollen erfahren, dass sie heute nicht alleine sind, dass sie in ihrem Schmerz und ihrer Verzweiflung getragen sind von Mitgefühl und Liebe.
Unsere Gedanken sind bei den Verletzten. Mögen sie
jede medizinische Hilfe bekommen, die sie brauchen. Mögen sie genesen, nicht
nur körperlich, sondern auch seelisch.
Wir denken an alle jene, welche durch diese fürchterlichen Geschehnisse aus ihrem Leben geworfen wurden. Die nicht wissen, wie sie weiterleben können. Mögen sie wieder Vertrauen und zurück ins Leben finden.
Und wir sind in Gedanken bei all jenen, die durch die Ereignisse daran erinnert werden, wie sie ihre Liebsten verloren haben. Die mit den Betroffenen mitfühlen und mit ihnen trauern. Und sich wünschen, jemand hätte damals ihr Leid gesehen. Mögen wir da sein für sie, mögen sie heilen.
Unsere Gedanken und unser Mitgefühl sind bei allen Menschen, die von diesen schrecklichen Ereignissen betroffen sind. Mögen sie alle Zusammenhalt und Heilung erfahren.
Kontaktstelle für Betroffene und ihre Angehörigen (Stand 14. März 2023)
Deutschland – www.telefonseelsorge.de: +49 800 111 0 111, +49 800 111 0 222 oder +49 116 123 (Sprechzeiten: rund um die Uhr) – psychiatrischer Notdienst: bundesweite Tel.: 116 117 – Kinder- und Jugend-Telefon: +49 116 111, www.nummergegenkummer.de – rund um die Uhr – per Chat für Jugendliche: https://jugendnotmail.de/
Österreich – 142 Telefonseelsorge Österreich – 147 Rat auf Draht für Jugendliche – nur für Wien: http://www.psd-wien.at/psd/52.html, Beratung zu jeder Tages- und Nachtzeit unter der Telefonnummer 01- 31330
Auch die Versammlungen der Zeugen Jehovas verarbeiten personenbezogene Daten. Für diese Daten besteht ein Auskunftsrecht. Um ein Auskunftsgesuch zu stellen, findest du hier einen entsprechenden Vordruck, den du einfach anpassen kannst (Du- oder Sie-Form, Anschrift oder Email etc.): https://jzhelp.de/s/ZtFjCPdApDp4t43
Du bist verzogen und möchtest den Zeugen Jehovas nicht deine neue Anschrift mitteilen? Dann verwende im Vordruck einfach deine Emailadresse. Bitte beachte: Wenn die Zeugen Jehovas deine Anschrift oder auch deine Email nicht kennen, werden sie nach einem Identitätsnachweis fragen. Falls du ihnen also eine Kopie deines Ausweises zukommen lassen müsstest, denke daran, gewisse Angaben zu schwärzen (Ausweisnummer, Ausstellende Behörde, Anschrift, die maschinenlesbaren Nummern, etc.).
Ist den Zeugen Jehovas deine Anschrift oder deine Email bekannt, ist es möglich, dass ein Identitätsnachweis nicht notwendig ist. Nimm hier gerne Kontakt mit uns auf.
Du möchtest nicht, dass deine Daten von deiner Meldebehörde (Einwohnermeldeamt) weitergegeben werden? So nutze einfach folgenden Vordruck: https://jzhelp.de/s/nF7gRecmAZKD8zF
Online-Termine zum Thema Datenschutz und weitere Informationen
Du kannst auch gerne deine Frage bei einer Fragerunde an folgenden Terminen stellen: 05.02.2023 um 16:00 Uhr 08.02.2023 um 18:00 Uhr Nutze hierfür einfach folgenden Link: https://lecture.senfcall.de/tho-zrx-9sa-ll4 Es handelt sich nicht um eine Rechtsberatung.
In den Skandalen um sexuellen Missbrauch, die säkulare
und religiöse Organisationen erschüttern, zeigt sich ein beunruhigendes Muster
des Leugnens und Verschweigens. Den Missbrauch ans Licht zu bringen, ist ein
wichtiger erster Schritt.
Der Welthauptsitz der Zeugen Jehovas in Warwick, N.Y. Im Rahmen einer von der Generalstaatsanwaltschaft des Bundesstaates Pennsylvania geleiteten Untersuchung kommen Aufzeichnungen über sexuellen Missbrauch durch Mitglieder der Glaubensgemeinschaft ans Licht. Tim Tai
Vom Editorial Board Aktualisiert am 3. Januar 2023
In der Weltzentrale der Zeugen
Jehovas befinden sich geheime Akten, in denen sexueller Missbrauch durch
Mitglieder der religiösen Glaubensgemeinschaft beschrieben wird. Einige dieser
Akten kommen langsam ans Licht, dank einer Untersuchung der Grand Jury durch
die Staatsanwaltschaft von Josh Shapiro, die durch den Inquirer angestoßen
worden war.
Da Shapiro am 17. Januar als 48.
Gouverneur von Pennsylvania vereidigt werden soll, ist zu hoffen, dass die
Ermittlungen mit Hochdruck fortgesetzt werden. Shapiro hat sich furchtlos mit
einflussreichen religiösen Institutionen angelegt, angefangen mit einem Bericht
der Grand Jury von 2018 über die römisch-katholische Kirche, der
jahrzehntelangen sexuellen Missbrauch durch mehr als 300 Priester in
Pennsylvania aufdeckte.
Die katholische Kirche ist wegen des weitverbreiteten sexuellen Missbrauchs im ganzen Land, in der ganzen Welt und bis in den Vatikan hinein vielleicht am intensivsten unter die Lupe genommen worden. Doch in den 20 Jahren seit der Aufdeckung des Missbrauchs und der systematischen Vertuschung ist schmerzlich deutlich geworden, dass die katholische Kirche kein Monopol auf diese schrecklichen Verbrechen hat.
Ähnliche Skandale um sexuellen
Missbrauch haben in letzter Zeit auch andere religiöse Organisationen
erschüttert. Das Justizministerium ermittelt derzeit gegen die Southern Baptist
Convention. Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, die auch als
Mormonenkirche bekannt ist, hat Berichten zufolge Anrufe bei ihrer
Missbrauchs-Hotline von den Strafverfolgungsbehörden weggeleitet und damit die
Opfer ungeschützt gelassen. Eine unabhängige Untersuchung fand zahlreiche Fälle
von sexuellem Missbrauch in jüdischen Sommerlagern.
Der Missbrauch ist auch nicht auf
religiöse Organisationen beschränkt. Letztes Jahr erklärten sich die Boy Scouts
of America bereit, 850 Millionen Dollar zu zahlen, um einen Vergleich in Fällen
sexuellen Missbrauchs zu schließen, von denen 60.000 Männer betroffen waren und
die sich über Jahrzehnte hinzogen. USA Gymnastics und das Olympische und
Paralympische Komitee der Vereinigten Staaten erklärten sich bereit, 380
Millionen Dollar an Hunderte von Turnerinnen zu zahlen, die sagten, sie seien
von dem ehemaligen Mannschaftsarzt des nationalen Turnteams missbraucht worden.
Obwohl jeder Fall anders gelagert
ist, gibt es beunruhigende Parallelen. Eine Autoritätsperson nutzt ihre
Position aus, um schutzbedürftige Kinder, Jugendliche oder in einigen Fällen
auch Erwachsene zu missbrauchen. Wenn der sexuelle Missbrauch den
Verantwortlichen zur Kenntnis gebracht wird, versucht man, ihn zu vertuschen,
das Fehlverhalten zu leugnen und die anklagende Person zu diskreditieren.
Im Fall der Zeugen Jehovas
dokumentierte The Inquirer erstmals 2018 ein Muster der Geheimhaltung von
Missbrauchsvorwürfen. Daraufhin leitete das Büro des Generalstaatsanwalts eine
Untersuchung ein.
Im Oktober wurden vier Zeugen
Jehovas wegen sexuellen Missbrauchs von 19 Personen angeklagt, die alle
minderjährig waren, darunter auch einige Opfer, die Verwandte waren. Vielleicht
ebenso beunruhigend ist die Tatsache, dass die Untersuchung ergab, dass die
Verantwortlichen der Zeugen Jehovas zwar von dem Missbrauch wussten, aber
nichts unternahmen.
In einem Fall gestand einer der
Männer, die im Oktober angeklagt wurden, vor einem Komitee von Zeugen-Ältesten,
dass er 1998 „Affären“ mit mindestens neun Kindern hatte. Das
Geständnis war Teil der geheimen Akten, die in der Zentrale der Zeugen Jehovas
außerhalb von New York City geführt werden.
Doch anstatt den Missbrauch den
Strafverfolgungsbehörden zu melden, versuchten die Verantwortlichen der Zeugen
Jehovas, ihn zu vertuschen, während der Sexualstraftäter in ihrer Mitte blieb.
Dies ist seit Jahrzehnten Teil des Verfahrens bei den Zeugen Jehovas.
Der Inquirer erhielt ein Memo aus
dem Jahr 1989, in dem die Ältesten angewiesen wurden, nicht zu kooperieren,
falls die Polizei jemals mit einem Durchsuchungsbefehl auftauchen sollte. Ein
Memo aus dem Jahr 1997 riet den Ältesten, die Versammlungen nicht über bekannte
Sexualstraftäter zu informieren, so dass Eltern nichts davon wussten und Kinder
schutzlos waren.
Die Organisation gab 2020 eine
Erklärung heraus, in der es hieß: „Jede Andeutung, dass die Zeugen Jehovas
Missbrauch fördern oder ermöglichen, ist falsch.“
Ähnliche Dementis wurden auch schon
von anderen religiösen Organisationen abgegeben. Wer Informationen über
Missbrauch hat, tut gut daran, sich an eine höhere Instanz zu wenden und die
Sonderhotline des Generalstaatsanwalts unter 888-538-8541 anzurufen.
Veröffentlicht am 3. Januar 2023
Diese Stellungnahme wurde von einer Gruppe von Journalisten verfasst, die sich außerhalb der Redaktion mit Fragen von öffentlichem Interesse befassen.
Weitere Informationen zu Kindesmissbrauch bei Jehovas Zeugen finden Sie hier.
Jehovas Zeugen verlieren die Registrierung als Religionsgemeinschaft.
Die Staatsverwalterin von Oslo und Viken hat beschlossen, Jehovas Zeugen die Registrierung als Religionsgemeinschaft nach dem Religionsgemeinschaftsgesetz zu entziehen.
Veröffentlicht am 22.12.2022
Wir haben Jehovas Zeugen am 25. Oktober dieses Jahres eine Mitteilung über den möglichen Verlust der Registrierung geschickt. In der Mitteilung baten wir um Rückmeldung, ob sie die Bedingungen, die zur Ablehnung staatlicher Subventionen führten, korrigieren wollten. Die Gemeinschaft wollte die Bedingungen, die zur Verweigerung staatlicher Zuschüsse im Jahr 2021 geführt haben, nicht korrigieren und bringt zum Ausdruck, dass sie mit der Entscheidung zur Verweigerung von Zuschüssen immer noch nicht einverstanden ist.
Anfang dieses Jahres wurde Jehovas Zeugen wegen des Verstoßes gegen das Religionsgemeinschaftsgesetz die staatliche Förderung für 2021 verweigert. Die Religionsgemeinschaft verletzt unseres Erachtens das Recht der Mitglieder auf freie Meinungsäußerung. Wir glauben, dass dies das Recht der Mitglieder auf Religionsfreiheit verletzt. Wir glauben auch, dass sie die Rechte von Kindern verletzen, indem sie den Ausschluss getaufter Minderjähriger zulassen und Mitglieder dazu ermutigen, Kinder, die sich nicht an die Regeln der Religionsgemeinschaft halten, sozial zu isolieren.
Nach dem Religionsgemeinschaftsgesetz kann einer Gemeinschaft die Registrierung entzogen werden, wenn sie gegen gesetzliche Bestimmungen verstößt. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass Jehovas Zeugen das Recht der Mitglieder auf freie Meinungsäußerung von Religionsgemeinschaften und Kinderrechte verletzen. Vor diesem Hintergrund sind wir zu dem Schluss gekommen, dass der Verein nicht nach dem Religionsgemeinschaftsgesetz registriert werden kann. Dies entspricht unseres Erachtens den Bestimmungen des KKG.
Der Wegfall der Registrierung bedeutet, dass die Gemeinschaft keinen Anspruch mehr auf staatliche Förderungen geltend machen kann. Es bedeutet auch, dass die Gemeinschaft die Autorität verliert, Ehen zu schließen. Dennoch kann sie ihre Religion und ihre Tätigkeit ungeachtet einer öffentlichen Registrierung frei ausüben, da es sich bei dem Religionsgemeinschaftsgesetz im Wesentlichen um ein Subventionsgesetz handelt.
Die Entscheidung finden Sie am rechten Rand dieser Seite.
Die Zeugen Jehovas haben laut der Zeitung Aftenposten vom 22. Dezember 2022 angekündigt, gegen die staatliche Entscheidung zu klagen. Sie sagen, dass sich Norwegen mit der Rücknahme der Registrierung vom Völkerrecht wegbewege und dies ein Warnsignal sei für Religionsfreiheit und Menschenrechte. Die Zeugen Jehovas seien seit 130 Jahren Teil der norwegischen Gesellschaft und hätten seit mehr als 30 Jahren Anspruch auf staatliche Unterstützung
Aktualisierung vom 22.12.2022: Die Staatsverwalterin von Oslo und Viken hat beschlossen, Jehovas Zeugen die Registrierung als Religionsgemeinschaft nach dem Religionsgemeinschaftsgesetz zu entziehen. Hier geht es zur aktuellen Übersicht.
Die Zeugen Jehovas wollen ihre religiöse Praxis nicht ändern
Werden keine Änderungen vornehmen: – Der Staat hat nicht die Befugnis, von einer Religion zu verlangen, dass sie irgendetwas an ihren religiösen Überzeugungen und Praktiken ändert, schreibt Fabian Fond von der skandinavischen Kommunikationsabteilung der Religionsgemeinschaft an Vårt Land. (Foto: Terje Pedersen/NTB)
Wichtigste Punkte des Artikels „Jehovas vitner vil ikke endre religiøs praksis“ („Die Zeugen Jehovas wollen ihre religiöse Praxis nicht ändern“, hinter Bezahlschranke) von Caroline Teinum Gilje in der Zeitung Vårt Land vom 15. Dezember 2022
Die norwegischen Behörden hatten den Zeugen Jehovas die staatlichen Zuschüsse für 2021 verweigert, wie das Kinder- und Familienministerium bestätigte. Im vergangenen Jahr betrugen diese 18 Mio. Kronen, was etwas mehr als 1.5 Mio Euro entspricht. Darauf wurden sie von der Staatsverwalterin* von Oslo und Viken informiert, dass auch ihre Registrierung als Religionsgemeinschaft gefährdet sei. Der Verlust der Registrierung bedeutet, dass die Gemeinschaft das Recht auf Eheschließung sowie das Recht auf staatliche Zuschüsse verliert.
Sowohl die Verweigerung der staatlichen Zuschüsse im Jahr 2021 als auch die drohende Rücknahme der Registrierung als Religionsgemeinschaft haben mit der Ausschlusspraxis zu tun. Diese verstößt gegen § 6 des Religionsgemeinschaftsgesetzes. Danach können Zuwendungen verweigert werden, wenn eine Religionsgemeinschaft u. a. „die Rechte von Kindern verletzt“ oder „in sonstiger Weise die Rechte und Freiheiten anderer schwer verletzt“. Die Registrierung kann widerrufen werden, wenn eine oder mehrere der Voraussetzungen erfüllt sind.
Im vergangenen Jahr führte die Staatsverwalterin auf Ersuchen des Ministeriums für Kinder und Familien eine Überprüfung der Schriften der Religionsgemeinschaft durch und fand unter anderem, dass Zeugen Jehovas den Ausschluss von getauften Minderjährigen zulassen. Ungetaufte Kinder, welche gegen die Regeln der Gemeinschaft verstoßen, könnten sozialer Isolation ausgesetzt sein. Beides stelle eine negative soziale Kontrolle und eine Verletzung der Kinderrechte dar.
Die Staatsverwalterin hat die Religionsgemeinschaft deshalb aufgefordert, ihre Praktiken im Zusammenhang mit dem Ausschluss zu ändern – ansonsten würde die Registrierung zurückgezogen. Laut dem Schreiben der Zeugen Jehovas vom 14. Dezember wollen diese ihre religiöse Praxis jedoch nicht ändern. Vielmehr beabsichtigen sie, gegen die Entscheidung, die staatliche Unterstützung zu streichen, zu klagen, weil diese ihrer Meinung nach gegen die Religionsfreiheit verstoße. Die Staatsverwalterin will in dem Fall vor dem 1. Januar 2023 eine Entscheidung treffen.
* Aufgabe einer Staatsverwalterin oder eines Staatverwalters (Statsforvalters) ist es, die Beschlüsse der Regierung und des Nationalparlaments durchzusetzen.
Aktualisierung vom 22.12.2022: Die Staatsverwalterin von Oslo und Viken hat beschlossen, Jehovas Zeugen die Registrierung als Religionsgemeinschaft nach dem Religionsgemeinschaftsgesetz zu entziehen. Hier geht es zur aktuellen Übersicht.
Die Zeugen Jehovas haben in Norwegen die staatlichen Zuschüsse verloren. Im Lagebericht der Leitenden Körperschaft vom 2. Dezember 2022 erläutern Anthony Morris III, Mitglied der Leitenden Körperschaft, und Jorgen Pedersen, Vertreter des skandinavischen Zweigs, die Streichung dieser staatlichen Zuschüsse. Sie bezeichnen diesen Schritt als «verfassungswidrig» und als «Angriff» auf die Religionsfreiheit. S. dazu auch diesen Artikel in Englisch bei avoidjw.org oder den folgenden Artikel.
Auch in Deutschland stellte das Landgericht Hamburg mit Urteil vom 27. November 2020 Ansatzpunkte für eine aggressive Entfremdung von Gesellschaft und Staat und die Missachtung fundamentaler Menschenrechte fest. Das ifw – Institut für Weltanschauungsrecht stellt in einem Kommentar fest, dass die Zeugen Jehovas im Anerkennungsverfahren zum Körperschaftsstatus (KdöR) falsche oder beschönigende Angaben gemacht haben und deshalb die Verleihung des Körperschaftsstatus folglich rückgängig gemacht werden muss.
Zeugen Jehovas: Die internationale Führungsspitze der Zeugen Jehovas sagt in einem neuen Video, dass sie sich niemals unter Druck setzen lassen werde, ihre biblische Position zu ändern.
Leitung: Vor kurzem wurde bekannt, dass den Zeugen Jehovas staatliche Subventionen für 2021 verweigert werden und sie über den drohenden Verlust der Registrierung als Religionsgemeinschaft informiert wurden. Zum ersten Mal werden die Nachrichten von der Leitenden Körperschaft, hier vertreten durch Anthony Morris, kommentiert. (Foto: Screenshot von jw.org)
Von Caroline Teinum Gilje, Journalistin
06/12/2022
Die norwegischen Behörden haben bezüglich der Praxis der Zeugen Jehovas zum Ausschluss von Mitgliedern streng durchgegriffen. Ihnen werden nicht nur staatliche Subventionen für 2021 verweigert, wie das Ministerium für Kinder und Familie kürzlich bestätigt hat, sondern sie laufen auch Gefahr, ihre Registrierung als Religionsgemeinschaft zu verlieren.
Bisher
hat sich nur das Zweigbüro der Zeugen Jehovas für Skandinavien zu der
Entscheidung der Regierung geäußert, die Unterstützung zu verweigern – eine
Entscheidung, die ihrer Meinung nach unter anderem die Religionsfreiheit
verletzt. Jetzt äußert sich auch die internationale Führung der Zeugen Jehovas dazu.
Dies geschieht in einem Video für Mitglieder, das vor dem Wochenende auf der
Website der Glaubensgemeinschaft veröffentlicht wurde.
«Die Behörden in Norwegen haben damit gedroht, uns die Registrierung als Religionsgemeinschaft zu entziehen, weil wir uns an das halten, was die Bibel über Ausgrenzung sagt. In Zukunft werden mehr säkulare Regierungen versuchen, unsere Religionsfreiheit in Frage zu stellen. Sie mögen versuchen, uns unter Druck zu setzen, unsere biblische Haltung zu ändern. Aber das werden wir nie», sagte Anthony Morris von der Leitenden Körperschaft.
Die
Leitende Körperschaft
Die Leitende Körperschaft besteht aus acht männlichen Mitgliedern und hat ihren Sitz in Warwick, New York. Das Gremium ist verantwortlich für die biblischer Anleitung der Zeugen Jehovas auf der ganzen Welt, die Überwachung der öffentlichen Predigtarbeit sowie die Verwendung der bereitgestellten Mittel, heißt es auf der Website der Zeugen Jehovas.
Im
Video sagt Morris, dass im mitteleuropäischen Zweigbüro der Zeugen Jehovas eine
neue Abteilung eingerichtet wurde. Sie wird die Arbeit zur Verteidigung der
Religionsfreiheit der Zeugen Jehovas in Europa organisieren, so Morris.
Er weist darauf hin, dass sich einige wahrscheinlich fragen werden, warum eine solche Abteilung notwendig ist, da die Arbeit der Zeugen Jehovas «seit vielen Jahren in Europa gut etabliert» ist. Aber er selbst sei sich darüber im Klaren, dass das nötig sei, was er wie folgt veranschaulicht:
«Zum Beispiel: Vor nicht allzu langer Zeit haben die Behörden in Norwegen entschieden, dass Jehovas Zeugen keine staatlichen Subventionen mehr bekommen sollen, eine Leistung, die andere registrierte Religionsgemeinschaften erhalten.»
Unterstützung von der neuen Abteilung In einem Clip erzählt Jørgen Pedersen von der Informationsabteilung der Zeugen Jehovas in Skandinavien, wie sie die Entscheidung der norwegischen Behörden, die Unterstützung zu verweigern, sowie die Mitteilung über den möglichen Verlust der Registrierung erlebt haben. «Jetzt sind uns staatliche Zuschüsse verweigert worden, während gleichzeitig über 700 registrierte Religionsgemeinschaften noch Zuschüsse vom Staat erhalten.» Diese Entscheidung sei verfassungswidrig und ein historischer Angriff auf die Religionsfreiheit in Norwegen, kommentiert Pedersen im Video. Die Zuschüsse für die 12.686 Mitglieder der Zeugen Jehovas beliefen sich im vergangenen Jahr auf ungefähr 16 Millionen NOK. Pedersen sagt, man überlege nun mit Hilfe der neu eingerichteten Abteilung für Religionsfreiheit, welche rechtlichen Schritte man einleiten könne. «Gleichzeitig suchen wir den Dialog mit den Behörden und bitten um eine einvernehmliche Lösung dieser Situation», so Pedersen.
Endgültige
Entscheidung
Hintergrund
der Verweigerung staatlicher Subventionen waren die Berichte ehemaliger
Mitglieder der Zeugen Jehovas über Ausschluss und Ächtung, die vergangenes Jahr
beim Ministerium für Kinder und Familien eingegangen waren. Das Ministerium bat
daher die
Staatsverwalterin
in Oslo und Viken, die eigenen Erklärungen und Veröffentlichungen der Zeugen
Jehovas zu überprüfen.
Die
Staatsverwalterin
glaubt, bei dieser Überprüfung mehrere Verstöße gegen das Gesetz über
Religionsgemeinschaften aufgedeckt zu haben, und verweigerte ihnen daher die
Unterstützung für 2021, schrieb Vårt Land im Januar dieses Jahres.
Doch
die Zeugen Jehovas waren mit der Entscheidung nicht einverstanden und legten
Berufung ein. Sie glauben unter anderem, dass «höchste Gerichte auf der ganzen
Welt» wiederholt festgestellt haben, dass Ausschluss ein «vollkommen legales
religiöses Verfahren ist, das durch die Religions- und Versammlungsfreiheit
geschützt ist».
Nach Prüfung der Berufung kam die Staatsverwalterin zum Schluss, dass sie die Entscheidung aufrechterhält. So landete der Fall auf dem Tisch des Ministeriums für Kinder und Familien, wo die Berufung erneut abgewiesen wurde. Die Entscheidung ist damit endgültig und kann nicht angefochten werden.
Termin
verschoben
Nach
der Entscheidung des Ministeriums wird die Staatsverwalterin prüfen, ob die
Zeugen Jehovas auch ihre Registrierung als Religionsgemeinschaft verlieren. Es
würde dann geprüft, ob die Umstände, die zur Verweigerung der Subventionen
führten, auch Auswirkungen auf die Registrierung haben könnten, so die Staatsverwalterin
in ihrer Mitteilung an die Zeugen Jehovas im Oktober.
Die
Religionsgemeinschaft erhielt vier Wochen Zeit, um die Umstände, die zur
Ablehnung von Zuschüssen führten, zu korrigieren, und sie wurde gebeten, dies
zu dokumentieren.
Die
skandinavische Kommunikationsabteilung der Religionsgemeinschaft teilt mit,
dass sie innerhalb der bis zum 20. Dezember verlängerten Frist eine
schriftliche Antwort an die Staatsverwalterin senden wird.
Sollten
Zeugen Jehovas ihre Registrierung als Religionsgemeinschaft verlieren,
verlieren sie das Recht, staatliche Subventionen zu beanspruchen. Außerdem erlischt
ihr Recht auf Eheschließung. Laut der Staatsverwalterin steht es ihnen jedoch
frei, ihre Religion und ihre Aktivitäten unabhängig von einer öffentlichen
Registrierung auszuüben.
«Grundrecht»
Vårt
Land hat die Zeugen Jehovas gefragt, ob sie ihre Ausschlusspraktiken angesichts
der Erklärungen der Leitenden Körperschaft «korrigieren» werden.
«Von
Jehovas Zeugen zu erwarten, dass sie ihre religiösen Lehren und Praktiken in
Norwegen oder sonst wo auf der Welt ändern, heißt, das Grundrecht auf
Religions- und Glaubensfreiheit zu ignorieren. Während der Besetzung durch die
Nazis wurden Zeugen Jehovas in Norwegen brutal verfolgt, weil sie an ihrem
religiösen Glauben festhielten, indem sie sich weigerten, Waffen zu tragen und
„Heil Hitler“ zu sagen», schreibt Fabian Fond von der skandinavischen
Kommunikationsabteilung der Religionsgemeinschaft an Vårt Land.
Er
weist darauf hin, dass Jehovas Zeugen «in über 200 Ländern als gesetzestreue
Bürger bekannt sind, die großen Respekt vor den Behörden haben».
«Alles, was Jehovas Zeugen tun wollen, ist, ihren Glauben in Norwegen friedlich weiter zu praktizieren, wie sie es in den letzten 130 Jahren getan haben», schreibt er.
Zeugen Jehovas Die Zeugen Jehovas sind eine Religionsgemeinschaft. Sie lehren, dass die Bibel von Gott (Jehova) geschrieben wurde, mit der Hilfe von Autoren, die unter Gottes Anleitung standen. Daher wird die Bibel als Gottes unfehlbares und verlässliches Wort und als einzig notwendige Richtschnur in allen Lebensfragen verstanden. Die Zeugen Jehovas wurden in den 1870er Jahren in den Vereinigten Staaten gegründet, zunächst als Bibelstudiengruppe. Schließlich entwickelten sie sich unter der Führung von Charles Taze Russell (1852-1916) zu einer Religionsgemeinschaft. Nach eigenen Angaben waren die Zeugen Jehovas im Jahr 2020 in 240 Ländern aktiv und hatten 8.424.185 Mitglieder (aktive Prediger) verteilt auf 120.387 Gemeinden. Kinder und andere, die keine aktiven Prediger sind, kommen hinzu. Quelle: Great Norwegian Lexicon und jw.org
Der Generalstaatsanwalt von Pennsylvania, Josh Shapiro, gibt auf einer Pressekonferenz bekannt, dass vier Zeugen Jehovas verhaftet und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern angeklagt wurden, 27. Oktober 2022. Video-Bildschirmfoto
In Pennsylvania fand zum Thema sexueller Kindesmissbrauch bei den Zeugen Jehovas eine dreijährige Untersuchung durch eine sog. Grand Jury statt. S. dazu diesen Artikel von Trey Bundy bei Revealnews.org vom 10. Februar 2020. Auch Mark O’Donnell, ein bekannter Aktivist, wurde im Rahmen dieser Untersuchung von der Grand Jury befragt. In der Folge dieser Untersuchung kam es zu Anklagen gegen vier Zeugen Jehovas. Bemerkenswert ist die Feststellung des Staatsanwaltes, dass der Glaube und die religiöse Gemeinschaft zur Verübung der mutmaßlichen Taten genutzt wurden.
Artikel
vom 27. Oktober 2022 bei RNS – Religion News Service
„Die meisten dieser Angeklagten nutzten ihren Glauben und ihre Religionsgemeinschaft, um Zugang zu ihren Opfern zu erhalten“, sagte der Generalstaatsanwalt von Pennsylvania, Josh Shapiro.
Vier Zeugen Jehovas wurden
angeklagt, 19 Kinder in ihren Gemeinden sexuell missbraucht zu haben, gab der
Generalstaatsanwalt von Pennsylvania, Josh Shapiro, am Donnerstagmorgen (27.
Oktober) in einer Pressekonferenz bekannt. Die mutmaßlichen Verbrechen der vier
Angeklagten sind unterschiedlich, fanden aber alle in Versammlungen der Zeugen
Jehovas in Pennsylvania statt. Die Anklage lautet auf sexuelle Nötigung und Vergewaltigung
(indecent assault, rape and involuntary deviate sexual intercourse).
„Die Fälle, die wir heute
bekannt geben, sind zutiefst beunruhigend, die Anschuldigungen schwer
vorstellbar, und doch haben sie alle eines gemeinsam“, sagte Shapiro auf
der Pressekonferenz. „Die meisten dieser Angeklagten nutzten ihren Glauben
und ihre Kirche, um sich Zugang zu ihren Opfern zu verschaffen, ihr Vertrauen
zu gewinnen und sie dann zu missbrauchen.“
Die Anklagen sind das Ergebnis einer
dreijährigen Untersuchung, an der Dutzende von Zeugen und Hunderte von Stunden
an Zeugenaussagen der Grand Jury beteiligt waren. Die Ermittlungen begannen mit
einer Überweisung durch die örtliche Staatsanwaltschaft im Jahr 2019. Drei der Angeklagten
wurden in Gewahrsam genommen – der vierte nahm sich das Leben, als Beamte
versuchten, ihn am frühen Donnerstag zu verhaften, so die Behörden.
„Kinder haben ein Recht darauf,
in einer sicheren Gemeinschaft aufzuwachsen, aber sie erfuhren von Mitgliedern
ihrer eigenen Gemeinden sexuelle Gewalt. Einige Angeklagte haben diesen
sexuellen Missbrauch innerhalb ihrer eigener Familien verübt“, sagte
Shapiro. „Meine Behörde wird nicht ruhen, bis diese Angeklagten für die
Verbrechen an unschuldigen Kindern zur Rechenschaft gezogen wurden.“
In einer E-Mail an RNS sagte Jarrod
Lopes, ein Sprecher der Zeugen Jehovas, dass die religiöse Gruppe die
Aufforderung an Missbrauchsopfer unterstützt, sich an die Polizei zu wenden.
„Als Christen verabscheuen die Zeugen Jehovas die Misshandlung und den
Missbrauch von Menschen, insbesondere von Kindern. Es ist zwar nicht
angebracht, sich zu Fällen zu äußern, die vor Gericht anhängig sind, aber wir
möchten unsere Sorge für alle Missbrauchsopfer zum Ausdruck bringen, unabhängig
von ihrem Glauben.“
Bei den im Rahmen der Ermittlungen angeklagten Männern handelt es sich um J. S., 69, aus Lancaster County, Pennsylvania; J. H., 52, ehemals Berks County, Pennsylvania, jetzt wohnhaft im Bundesstaat Georgia; R. O., 56, ehemals Cambria County, Pennsylvania, jetzt wohnhaft im Bundesstaat New York; und E. E., 61, aus Butler County, Pennsylvania. Die Anklagen der Generalstaatsanwaltschaft von Pennsylvania stammen von der 49. Investigating Grand Jury.
Laut Shapiro ergab die Untersuchung,
dass S. 2011 „seinen Einfluss und den gemeinsamen Glauben“ nutzte, um
mindestens sechs junge Mädchen, darunter seine Tochter, zu belästigen.
„Seine eigene Tochter sagte vor der Grand Jury aus, dass ihre Mutter sie
daran erinnerte, nachts die Tür abzuschließen, wenn ihr Vater in der Nähe
war“, sagte Shapiro. Er fügte hinzu, dass S. angeblich viele dieser
Straftaten gegenüber Mitgliedern seiner Gemeinde gestanden hat. S. wurde wegen
Gefährdung des Wohlergehens eines Kindes, unsittlicher Körperverletzung und
schwerer unsittlicher Körperverletzung angeklagt.
Shapiro sagte, dass H. sich in den
1990er Jahren vor Jungen aus seiner Gemeinde der Zeugen Jehovas entblößt und
sie zum Oralsex gezwungen habe, nachdem er sie mit Versprechungen von Drogen
und Alkohol auf sein Grundstück gelockt hatte. Er wurde wegen Verführung
Minderjähriger, Vergewaltigung, unsittlicher Körperverletzung und
unfreiwilligem Geschlechtsverkehr angeklagt.
O. soll 2006 begonnen haben, seine
Familienmitglieder körperlich zu misshandeln. Shapiro sagte, die körperliche
Misshandlung sei zu einem sexuellen Übergriff auf O.s Stieftochter eskaliert.
Der Generalstaatsanwalt fügte hinzu, dass O. aufgrund seiner Position als
aktives Mitglied einer Versammlung der Zeugen Jehovas unbeaufsichtigten Zugang
zur Freundin seiner Stieftochter hatte, die er ebenfalls missbraucht haben
soll. Er wurde wegen Verführung Minderjähriger, unsittlicher Körperverletzung
und Gefährdung des Wohlergehens von Kindern angeklagt.
Shapiro gab außerdem bekannt, dass E.,
der Angeklagte, der sich das Leben nahm, seine Tochter durch sexuelle
Belästigung disziplinierte. Seine Tochter soll den Missbrauch anderen
Mitgliedern ihrer Gemeinschaft, einschließlich ihrer Mutter, gemeldet haben. E.
wurde wegen Gefährdung des Kindeswohls, schwerer unsittlicher Körperverletzung,
Vergewaltigung und unfreiwilligem Geschlechtsverkehr angeklagt.
Shapiro schloss mit der Aufforderung
an andere Opfer sexuellen Missbrauchs, sich bei der Hotline für sexuelle
Übergriffe unter 888-538-8541 zu melden.
„Als Staatsanwälte, als gläubige Menschen und als Eltern können wir uns den Auswirkungen dieser Fälle nicht entziehen“, sagte Shapiro. „Diese 19 Kinder haben einen Ort verdient, an dem sie in Frieden aufwachsen können, und nicht, dass ihnen etwas angetan wird. Dies ist ein Missbrauch von Vertrauen, ein Missbrauch von Macht. Ich möchte Sie daran erinnern, dass jeder, egal mit welcher Macht er sich umgibt, vor dem Gesetz zur Rechenschaft gezogen werden muss.“
Ipsach Lange ist der Seeländer Rino Zumerle Mitglied bei den Zeugen Jehovas gewesen. Als er ausstieg, stürzte er in einen Abgrund. Das Erlebte verfolgt ihn bis heute. Brigitte Jeckelmann
Jenny Küttim erlebte bei den
Zeugen Jehovas eine Gehirnwäsche – und schaffte es, die Sekte zu verlassen
Im Alter von sechs Jahren war Jenny Küttim bei den Zeugen Jehovas so verankert, dass sie an Türen klopfte, um neue Mitglieder zu werben. Nachdem sie ins Krankenhaus musste, begann sie in ihren frühen Teenagerjahren ihren Ausstieg aus der Sekte – und jetzt veröffentlicht die Enthüllungsjournalistin ein Buch über ihr Aufwachsen und die Geheimnisse, die die Zeugen Jehovas für sich behalten wollen. „Wenn ich jetzt zurückblicke, sehe ich, wie klein und gehirngewaschen ich war. Ich kann nicht anders, als mich zu wundern, weshalb keine Erwachsenen um mich herum reagiert haben“, sagt sie gegenüber Femina.
Text AINO OXBLOD | Foto PRESS, PRIVAT.
Im Frühjahr 2017 bekommt Jenny Küttim eine anonyme Sendung zugeschickt. Zusammen mit Hannes Råstam war sie bereits an der Aufdeckung der Skandale um den Fall Thomas Quick beteiligt und ist eine bekannte Investigativ-Journalistin beim Schwedischen Fernsehen. Doch der Inhalt der Kiste hat eine Verbindung zu ihrer Vergangenheit und wird sie nicht nur dazu veranlassen, ein Buch zu schreiben – er wird sie dazu bringen, die Tür zu ihrer Kindheit zu aufzustoßen, eine Tür, die sie vor langer Zeit geschlossen hat.
***
Als sechstes Kind einer neunköpfigen Geschwisterschar wächst
Jenny bei den Zeugen Jehovas auf, und die Weltanschauung der strengen Sekte ist
die einzige Wahrheit. Von klein auf ist sie von ihrem Glauben erfüllt und wird
mit nur sechs Jahren ungetaufte Verkündigerin – eine der jüngsten im Land. Die
Zeugen Jehovas taufen erst im Erwachsenenalter, aber als Verkündigerin beginnt
sie an Türen zu klopfen, um die Botschaft der Kirche zu verbreiten und
Mitglieder zu werben. (Anmerkung von JZ Help: Die Taufe findet meist im
Jugendalter statt, es gibt jedoch die Tendenz immer jüngere Kinder zu taufen.)
Wenn die Journalistin heute über ihre Kindheit nachdenkt,
ist sie verwundert, dass keine Erwachsenen außerhalb der Sekte auf ihr
Verhalten reagiert haben.
– Wenn ich jetzt zurückblicke, kann ich sehen, wie klein und gehirngewaschen ich war. Ich habe ein mulmiges Gefühl im Bauch, dass kein Erwachsener in meiner Nähe reagiert hat. Ich war ein seltsames Kind. Deshalb wollte ich ein Buch schreiben, damit Lehrkräfte und Sozialarbeiter*innen es lesen und eine Vorstellung davon bekommen können. Man könnte denken: „Es ist in Ordnung, dass sie seltsam sind, sie sind Zeugen Jehovas“, es gibt den Aspekt der Religionsfreiheit und man wagt es nicht, sich einzumischen, denn jeder hat das Recht zu glauben. Als ich als Kind anfing, die Sonne schwarz anzumalen, weil wir in der Schule die nordischen Götter malen sollten, da hätte jemand reagieren müssen.
Jenny Küttim als Dreijährige. Privat.
Die Angst in der Familie
Nicht nur Jennys Einbindung in eine Sekte macht sie zu einem
gefährdeten Kind – in den vier Wänden ihres Zuhauses leben sie und ihre
Geschwister in Angst vor ihrem alkoholkranken und zunehmend gewalttätigen
Vater. Jenny hat ihr ganzes Leben lang gelernt, dass die Liebe zu Gott
wichtiger ist als die Liebe zur Familie, aber wo ist Gott, wenn Jenny von ihrem
Vater sexuell missbraucht wird, oder wenn ihre ältere Schwester damit bedroht
wird, in den Fluss geworfen zu werden, weil sie versucht hat, den Missbrauch innerhalb
der Familie gegenüber Außenstehenden zu offenbaren?
Trotz der Schläge und Drohungen gegen ihr Leben bleibt ihre
ältere Schwester standhaft, und der Fall wird schließlich vor Gericht gebracht.
Der Vater wird verurteilt, aber wegen mehrerer früherer Selbstmordversuche wird
die Strafe zur Bewährung ausgesetzt und eine psychiatrische Behandlung anstelle
einer Haftstrafe angeordnet. Noomi wird in einer Pflegefamilie untergebracht,
während die anderen Kinder zu Hause bei ihrem immer noch gewalttätigen Vater
bleiben.
– Heute weiß ich, wie wichtig es war, dass meine Schwester weggegangen ist und den Vorfall bei der Polizei angezeigt hat, obwohl ich das als Kind abscheulich fand. Ich dachte, sie würde unser Leben ruinieren. Sie war so unglaublich mutig“, sagt Jenny Küttim.
Jenny Küttim ist eine erfahrene Enthüllungsjournalistin beim Schwedischen Fernsehen. Pressefoto.
Es wird einige Zeit dauern, bis die Entscheidungen ihrer
Schwester für Jenny einen Sinn ergeben. Im Alter von 10 oder 11 Jahren wird sie
ins Krankenhaus eingeliefert – sie hat Probleme beim Wasserlassen, aber die
Ärzt*innen können keine Erklärung dafür finden. Da sie so viele Geschwister
hat, um die sich ihre Eltern kümmern müssen, kommen Jennys Eltern nur ins
Krankenhaus, wenn Arzttermine anstehen. Dies ist der Beginn ihrer Reise aus der
Sekte heraus – zum ersten Mal in ihrem Leben verbringt sie viel Zeit mit
Menschen, die nicht den Zeugen Jehovas angehören.
– Es war das erste Mal, dass ich für längere Zeit von ihnen
und von der Literatur der Organisation getrennt war. Ich war gezwungen, ständig
mit normalen Menschen zu sprechen, und war in gewisser Weise frei. Ich durfte
tun und lassen, was ich wollte.
Die Entdeckung der Welt außerhalb der Zeugen Jehovas
Im Krankenhaus beginnt Jenny, Bücher zu lesen, die nicht zur
Literatur der Jehovas Zeugen gehören, und eine neue Welt tut sich ihr auf. Bei
der Lektüre des Tagebuchs von Anne Frank wird ihr klar, dass es beim Holocaust
nicht in erster Linie um die Zeugen Jehovas ging, wie man ihr in ihrer Kindheit
erzählt hatte.
– Man hatte mir gesagt, dass wir die Wichtigen sind und dass Gott eingreift, um uns zu retten, dass Hitler deshalb gestorben ist. Sie hatten den gesamten Holocaust in eine sektiererische Dramaturgie gepackt. So war es auch bei der Evolutionstheorie – man lebt in einer pseudowissenschaftlichen Blase.
Fakten über die Zeugen Jehovas
Die Zeugen Jehovas wurden in den 1870er Jahren in den Vereinigten Staaten gegründet und haben ihren Hauptsitz in New York. Die Bewegung, die 1995 nach schwedischem Recht als Sekte eingestuft wurde, hat weltweit 8,7 Millionen Mitglieder, davon etwa 22.000 in Schweden.
Die Sekte glaubt, dass die Erde und die Menschheit, wie wir sie kennen, zerstört werden und dass nur die Zeugen Jehovas in Gottes Paradies leben werden. Man wird erst dann wirklich Mitglied, wenn man getauft worden ist. Menschen, die sich nach ihrer Taufe dafür entscheiden, die Zeugen Jehovas zu verlassen, werden von der Gemeinschaft gemieden, und selbst Familienmitglieder dürfen keinen Kontakt zu Ausgetretenen haben.
Die Mitglieder der Zeugen Jehovas begehen keine Feiertage, die ihrer Meinung nach nicht von der Bibel gestützt werden, und feiern daher keine nationalen Feiertage, Geburtstage, Weihnachten oder Mittsommer. Das Einzige, was sie feiern, ist das Gedächtnismahl zum Gedenken an den Tod von Jesus.
Bei den Zeugen Jehovas ist es verboten, sich an Kriegen zu beteiligen, Abtreibungen vorzunehmen und Bluttransfusionen zu erhalten. Viele Mitglieder tragen daher eine Karte bei sich, aus der hervorgeht, dass sie auf Bluttransfusionen verzichten, selbst wenn dies den Tod bedeutet. Die Organisation versucht auch, Ärzt*innen in alternativen Behandlungsmethoden auszubilden.
Die Zeugen Jehovas veröffentlichen die Zeitschrift Wachtturm in über 210 Sprachen mit einer monatlichen Auflage von 44 Millionen.
Später, als Jenny aus dem Krankenhaus nach Hause zu ihrer zerrütteten Familie kommt, stellt sie der Mutter ein Ultimatum: Wenn sie ihren Mann nicht verlässt, nimmt Jenny ihre kleinen Geschwister und zieht allein aus. Aber sie denkt noch nicht daran, aus der Religion auszutreten, sie will nur der Gewalt und dem Missbrauch entkommen.
Doch erst die Tatsache, dass die Familie von ihrem Vater
wegzieht, macht ihr klar, wie sehr die Kirche sie kontrolliert. Als
alleinstehende Frau wird Jennys Mutter von den Ältesten beaufsichtigt, und die
zerstörerischen Strukturen bleiben bestehen.
– Meine Mutter erlaubte meinem älteren Bruder, uns weiterhin
zu schlagen, wie es mein Vater getan hatte, so dass die Strukturen von Ehre und
Kontrolle erhalten blieben. Dadurch wurde mir klar, dass ich nicht in der
Kirche bleiben konnte. Ich war damals 13 Jahre alt.
Wenn du dich entscheidest, die Zeugen Jehovas zu verlassen, musst du damit rechnen, dass sich die Familie, die in der Sekte bleibt, von dir abwendet – sogar deine Eltern. Da Jenny aber noch nicht getauft war, darf sie zu Hause bleiben und mit ihrer Familie in Kontakt bleiben. Auch ihre ältere Schwester hat Kontakt zu ihrer Mutter, da sie ebenfalls ungetauft war.
Jenny Küttim im Alter von 16 Jahren. Privat.
Publiziert das Buch, das sie selbst gebraucht hätte
Am 28. April veröffentlichte Jenny Küttim ihr Buch Die
Wahrheitsträger, in dem sie sowohl ihr eigenes Aufwachsen als auch größere
systemische Probleme innerhalb der Zeugen Jehovas behandelt. Es ist ein Buch,
das sie selbst als Kind hätte lesen wollen, sagt sie.
– Hätte ich ein Buch gefunden, das mir eine bessere Sicht
auf die geschlossene Umgebung ermöglicht hätte, wäre es mir leichter gefallen,
auszusteigen. Die Kinder, die in der Sekte sind, können sich das Buch in der
Bibliothek ausleihen. Sie dürfen innerhalb der Organisation nichts lesen und
vor allem nichts ansehen. Das Buch hat eine längere Lebensdauer als eine
Fernsehdokumentation.
In der Schachtel, die an die „Journalistin Jenny Küttim“ geschickt wurde, befanden sich Hunderte von klassifizierten Schreiben, die vom skandinavischen Büro der Zeugen Jehovas an die Leiter der schwedischen Versammlungen geschickt worden waren. Die Quelle, die die Schreiben verschickte, hatte alle Regeln innerhalb der Zeugen Jehovas gebrochen, damit Jenny die gefährlichen Strukturen innerhalb der Organisation aufdecken konnte. Doch dafür musste die Journalistin mit allem aufräumen, was sie als Kind zu wissen glaubte.
– Mir wurde klar, dass ich in einer Filterblase aufgewachsen
war, bevor es Filterblasen gab. Es war sehr schwierig. Ich wurde als Kind
indoktriniert und davon beeinflusst, und jetzt musste ich zurückkommen und ihre
Lügen überprüfen. Das war sehr schwer für mich.
In Die Wahrheitsträger untersucht Jenny Küttim die
Thematik von Kindern, die innerhalb der Sekte sexuell missbraucht werden und
ohne Hilfe dastehen, da es bei den Zeugen Jehovas eine
„Zwei-Zeugen-Regel“ gibt – Vergehen müssen von zwei Zeugen bezeugt
werden, damit die Mitglieder überhaupt zur Rechenschaft gezogen werden können.
– Ich versuche, die absurde Welt der Zeugen Jehovas anhand der Art und Weise zu erklären, wie diese sexuellen Übergriffe gehandhabt wurden, und zu zeigen, wie gehirngewaschen Menschen werden können, ohne zu hinterfragen. In einem solchen Umfeld hören die Menschen schließlich auf zu denken und befolgen Befehle, das ist meine Schlussfolgerung.
Das Cover von Jenny Küttims Buch Die Wahrheitsträger
Zeugen von Missbrauch
Für das Buch befragte die Autorin mehr als 200 Personen über
ihre eigenen Erfahrungen mit Missbrauch und Gewalt innerhalb der Zeugen
Jehovas. 79 Personen bezeugen, als Kinder sexuell missbraucht worden zu sein,
und 40 von ihnen waren Opfer desselben männlichen Täters – eines Mannes, der
Jahr für Jahr in der Sekte weitermachen konnte.
– Natürlich gibt es nicht in jeder Zeugen-Jehovas-Familie
Gewalt, aber es ist ein sehr begrenztes Umfeld, in dem man sich viel erlauben
kann, ohne dass jemand eingreift. Als Kind und als Frau sollte man nie Fragen
stellen, sagt Jenny und fährt fort:
– In der Hölle gibt es keine Abstufungen, Fluchen ist
genauso schlimm wie der Missbrauch von Kindern. Es ist sehr schwer, darin
aufzuwachsen. Als Erwachsener kann man sich aussuchen, woran man teilhaben
möchte, aber nicht als Kind.
Jennys Familienmitgliedern wurde angeboten, das Buch im
Voraus zu lesen – einige ihrer Geschwister haben dies getan, andere nicht. Aber
ihre Mutter hat abgelehnt. Heute sind nur noch die Eltern der Journalistin und
ihre älteste Schwester bei den Zeugen Jehovas; die anderen sind ausgetreten.
– Es ist belastend, sich als Sektenkind zu outen, doch es ist sehr wichtig, nicht zu denken, dass diejenigen, die dabei sind, dumm sind. Es geht um die Mechanismen des Gruppendenkens, in die jeder verwickelt und von denen jede geblendet werden kann.
Weitere Informationen zu Kindesmissbrauch bei Jehovas Zeugen finden Sie hier.