Erstellt am 30.12.2018
Seit einiger Zeit mehren sich Beschwerden bezüglich der Einhaltung des Datenschutzes bei Jehovas Zeugen (JZ). Vereinzelt haben sich bereits Personen an die Datenschutzbeauftragten der Länder bzw. auch an die Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit gewandt. Die Antworten, welche dort gegeben wurden, waren meist ernüchternd. Diese Stellen erklärten, dass sie für den Datenschutz bei Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht zuständig seien. Des Weiteren fände auch die EU-DSGVO (Verordnung 2016/679) keine Anwendung.
Datenschutzgesetz der Zeugen Jehovas schränkt Rechte gegenüber DSGVO deutlich ein
- eingeschränktes Recht zur Datenauskunft und -löschung auch nach Austritt, z. B. keine Auskunft, Berichtigung, Löschung, Einschränkung der Verarbeitung, Datenübertragbarkeit und Widerspruch
- zu Komitee-/Ältestenuntersuchungs-Unterlagen und Schriftverkehr mit personenbezogenen intimsten Details bei „Sünden“, etc.
- Unterlagen zu Ernenungen und Streichungen von Dienstamtgehilfen und Ältesten
- zu den Beurteilungs-Briefen bei Versammlungswechsel
- Verkündigerberichtskarten (personenbezogene Statistik zu Kontrollzwecken), etc.
- eingeschränkte Befugnisse für die Datenaufsichtsbehörde der ZJ
- keine Unabhängigkeit der Datenaufsichtsbehörde der ZJ
- Austritt bzw. Ausschluss wird durch öffentliche Bekanntmachung „Vorname/Nachname ist kein Zeuge Jehovas mehr“ in der Versammlung wirksam, damit die Ächtung des Betroffenen sichergestellt wird.
Standard-Mitteilung von Jehovas Zeugen: „Ihnen stehen grundsätzlich die Rechte auf Auskunft, Berichtigung, Löschung, Einschränkung der Verarbeitung, Datenübertragbarkeit und Widerspruch zu.
Wir weisen vorsorglich darauf hin, dass die Ausübung keines der oben genannten Rechte an der Verarbeitung der vorgenannten Daten etwas ändert, weil diese zur Wahrung der berechtigten Interessen der Religionsgemeinschaft erforderlich ist.“
Dagegen stellt das EuGH fest: „Die für jedermann geltende Pflicht, die Vorschriften des Unionsrechts über den Schutz personenbezogener Daten einzuhalten, kann nämlich nicht als Eingriff in die organisatorische Autonomie der Religionsgemeinschaften angesehen werden.“
Einführung in Ihre Rechte
Erst einmal ist wichtig zu erwähnen, dass Ihre Daten Ihnen gehören! Sie selbst entscheiden über den Zugang und Verbleib Ihrer Daten. Das ist ein Grundrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Es leitet sich ab aus Artikel 2 Abs. 1 i.V.m. Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG). Einschränkungen bedürfen eines Gesetzes. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union nennt den Schutz der persönlichen Daten in Artikel 8.
Art. 8 Schutz personenbezogener Daten
(1) Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten.
(2) Diese Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden. Jede Person hat das Recht, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten und die Berichtigung der Daten zu erwirken.
(3) Die Einhaltung dieser Vorschriften wird von einer unabhängigen Stelle überwacht.
In Verbindung mit Artikel 52 Abs. 1 wird deutlich, dass eine Einschränkung dieses Grundrechtes nur in festgelegten Grenzen möglich ist; eine Einschränkung, welche einer Aufhebung oder Verstümmelung gleich kommt, ist unzulässig.
Art. 52 Tragweite und Auslegung der Rechte und Grundsätze
(1) Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.
Die Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union (EU-DSGVO / Verordnung 2016/679) stellt eine Ausformulierung dieses Grundrechtes dar.
Jehovas Zeugen als KdöR
Jehovas Zeugen (JZ), als Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR), haben in Deutschland das Recht, ihre Angelegenheiten selbstständig zu regeln. Dazu dürfen sie auch Gesetze erlassen. Im Amtsblatt von Jehovas Zeugen Nr. 2, Jahrgang 2018 haben sie dazu ein neu überarbeitetes Datenschutzgesetz veröffentlicht. Dieses trat zum 24.05.2018, einen Tag vor der Anwendung der EU-DSGVO, in Kraft.
JZ genießen inzwischen in allen Bundesländern den Status einer KdöR. Im Rahmen dessen haben sie das Recht, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln (Selbstverwaltungsrecht). Die Grundlage dafür ist Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 Verfassung des Deutschen Reiches (WRV). Im Rahmen dessen können sie auch eigene Gesetze erlassen.
Da es sich bei der EU-DSGVO um Europarecht handelt, ist zu beachten, wie die EU Religionsgemeinschaften ansieht. Der „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ sagt in Artikel 17 Folgendes:
(1) Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht.
(2) Die Union achtet in gleicher Weise den Status, den weltanschauliche Gemeinschaften nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften genießen.
(3) Die Union pflegt mit diesen Kirchen und Gemeinschaften in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog.
Dementsprechend bringt die EU-DSGVO in Artikel 91 Folgendes zum Ausdruck:
(1) Wendet eine Kirche oder eine religiöse Vereinigung oder Gemeinschaft in einem Mitgliedstaat zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung umfassende Regeln zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung an, so dürfen diese Regeln weiter angewandt werden, sofern sie mit dieser Verordnung in Einklang gebracht werden.
(2) Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften, die gemäß Absatz 1 umfassende Datenschutzregeln anwenden, unterliegen der Aufsicht durch eine unabhängige Aufsichtsbehörde, die spezifischer Art sein kann, sofern sie die in Kapitel VI niedergelegten Bedingungen erfüllt.
Die Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen in Deutschland, KdöR, hat mit dem Datenschutzgesetz Jehovas Zeugen (DSGJZ) vom 21.05.2018, das im Amtsblatt von Jehovas Zeugen in Deutschland Nr. 2 vom 22.05.2018 auf Seite 1 ff. veröffentlicht ist und am 24.05.2018 in Kraft trat, eigenrechtliche Datenschutznormen geschaffen.
Widersprüche im DSGJZ zur EU-DSGVO
Antwortschreiben der Jehovas Zeugen
Die Antwortschreiben der Jehovas Zeugen, ob von einer Ortsgemeinde (Versammlung) oder dem Zweigbüro, sind bisher in diesem Fall gleich:
„Ihnen stehen grundsätzlich die Rechte auf Auskunft, Berichtigung, Löschung, Einschränkung der Verarbeitung, Datenübertragbarkeit und Widerspruch zu.
Wir weisen vorsorglich darauf hin, dass die Ausübung keines der oben genannten Rechte (mit Ausnahme der Auskunft und Berichtigung) an der Verarbeitung der vorgenannten Daten etwas ändert, weil diese zur Wahrung der berechtigten Interessen der Religionsgemeinschaft erforderlich ist. Eine Abwägung mit Ihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wurde insoweit bereits vorgenommen.“
Die Einsicht in diese Dokumente wird mit folgender Begründung verweigert:
„Auskunftsrechte, die die Unterlagen eines Komitees betreffen, sind für die Zeit nach Abschluss des Komiteeverfahrens ausgeschlossen, da die Unterlagen unter Verschluss gehalten werden und das Interesse der Religionsgemeinschaft, die Geheimhaltung an diesen Unterlagen zum Schutz des Persönlichkeitsrechts aller Betroffenen garantieren zu können, in der Regel die Auskunftsrechte des Einzelnen überwiegt (§ 9 Abs. 2 DSGJZ). In Ihrem Fall führt die Abwägung der widerstreitenden Interessen dazu, dass das Interesse an der Geheimhaltung von Komiteeunterlagen zum Schutz des Persönlichkeitsrechts aller Betroffenen Ihr Auskunftsrecht überwiegt. Der Zugang zu den Sie betreffenden Komiteeunterlagen ist uns deshalb nicht erlaubt. Allein im Fall eines Wiederaufnahmeersuchens kann auf die Daten zugegriffen werden.“
Weitere offene Fragen
Ist es zulässig, dass beim Verlassen der Gemeinschaft Vor- und Nachname in der Ortsgemeinde (Versammlung) während eines „Gottesdienstes“ bekanntgegeben werden, mit dem Ziel, dass diese Person nun von jedem zu meiden, ja nicht einmal zu grüßen ist? (Siehe Buch „Hütet die Herde Gottes“ Auflage 2020 Kapitel 18 Ziffer 5.)
Stellungnahme vom EU-Parlamentarier
Gemäß Auskunft von Herrn Bendrath beim Europäischen Parlament müssen die Datenschutzvorschriften der Religionsgemeinschaften gemäß Art. 91 Abs. 1 DSGVO mit dieser in Einklang gebracht werden, und „können also keine gegenteiligen Inhalte oder Auslegungen haben. Dasselbe gilt für die religionseigene Datenschutzaufsicht. Sie muss unabhängig sein, wie es die „normalen“ Datenschutzbehörden laut Kapitel VI DSGVO auch sind, siehe Artikel 91(2).“
Grundsatzentscheidung des EuGH zum Datenschutz
In einer Entscheidung des EuGH vom 10. Juli 2018 hält das Gericht fest, dass die datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit der Gemeinschaft ihre religiöse Autonomie nicht beeinträchtigt.
Hierzu sagt das Gericht: „Die für jedermann geltende Pflicht, die Vorschriften des Unionsrechts über den Schutz personenbezogener Daten einzuhalten, kann nämlich nicht als Eingriff in die organisatorische Autonomie der Religionsgemeinschaften angesehen werden.“
Weitere Informationen zum Urteil des EuGH finden Sie hier.
Fazit
Es kann also kurz gesagt werden, dass das DSGJZ den Datenschutz der EU-DSGVO nicht unterschreiten darf.
Behörden bewerten Datenschutzgesetz der Zeugen Jehovas kritisch
„Die Berliner Aufsicht gibt zwar keine Auskunft über das laufende Verfahren, nach meiner Kenntnis geht es aber auch bei der dort anhängigen Sache um die Zeugen Jehovas. Dass gerade diese beiden Bundesländer hier tätig sind, ist keine Überraschung: Die Deutschlandzentrale liegt in Selters/Taunus in Hessen, aus historischen Gründen im Zusammenhang mit dem Körperschaftsstatus wird der rechtliche Hauptsitz in Berlin verortet. »Mit den Zeugen Jehovas gibt es grundsätzliche Differenzen hinsichtlich der Zuständigkeit des HBDI«, berichtet die hessische Sprecherin, und weiter: »Nach Auffassung der Religionsgemeinschaft hat sie ihren Hauptsitz in Berlin. Nach Auffassung des HBDI ist als Zentrale eher der Verwaltungssitz in Selters/Ts. anzunehmen.«
Neben der Zuständigkeit sieht die hessische Aufsicht auch das Datenschutzrecht selbst kritisch: Die Gemeinschaft berufe sich zwar »auf ein eigenständiges Datenschutzrecht i.S.v. Art. 91 DS-GVO, was der HBDI jedoch in der reklamierten Form als nicht gegeben erachtet«, teilt die Sprecherin mit. Die Zeugen Jehovas wenden in Deutschland ein eigenes »Datenschutzgesetz Jehovas Zeugen (DSGJZ)« an, das grundsätzlich anderen religionsgemeinschaftlichen Datenschutzgesetzen ähnelt, aber insbesondere für die gemeinschaftsinternen Disziplinargremien, die »Komitees«, Einschränkungen bei Betroffenenrechten vorsieht; der Verein JZ Help hat zudem noch eine ausführlichere Kritik am DSGJZ veröffentlicht.“
(Artikel 91)
Auskunftsrecht wahrnehmen
Zur Wahrnehmung des Auskunftsrechts (§ 9 DSGJZ oder Artikel 15 EU-DSGVO) ist keine besondere Antragsform notwenig. Diese kann schriftlich, per Post oder Email an die bisherige Versammlung gestellt werden.
Die Beantwortung der Anfrage hat innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags zu erfolgen (§ 7 DSGJZ i.V.m. Artikel 12 Abs. 3 EU-DSGVO).
Sind Aussagen oder Angaben der Auskunft unklar oder ist fraglich, was die einzelnen Angaben bedeuten, so kann gesondert nachgefragt werden, da die Verpflichtung zu transparenter, verständlicher, klarer und einfacher Sprache besteht (§ 7 DSGJZ i.V.m. Artikel 12 EU-DSGVO).
Um ganz einfach ein passendes Auskunftsgesuch zu stellen, wurde ein kleines Tool erstellt. Um dieses zu nutzen, empfiehlt es sich ein privates Browserfenster zu verwenden.
Dann nacheinander die Fragen auf dieser Seite beantworten.
Sollte die Antwort keine Auskunft darstellen, sondern die Aufforderung sein, die Kopie eines Ausweises zuzusenden, nutzen Sie auch hier gerne das Tool um ein entsprechendes Antwortschreiben zu erstellen, oder wenden Sie sich gerne an uns, siehe Emailadresse unten.
Für Rückfragen steht Ihnen unser Vereinsmitglied Thomas Brand gerne zur Verfügung.
Email: | thomas.brand(at)jz.help |
PGP-Key: | 0xA7012236C7D3254D OpenPGP |
Fingerprint: | 8BE0 91FE 9524 38AE ED5F 9A03 A701 2236 C7D3 254D |
Telefon: | +49 30 2065 4648 |
Anleitung zum Verschlüsseln von Emails
Pressestimmen
Spanien / redacction medica vom 15.02.2019 – deutsche Übersetzung
Die Datenschutzbehörde hat gegen christliche Zeugen Jehovas eine Geldstrafe von 10.000 Euro verhängt, weil sie ohne vorherige Genehmigung Daten von Ärzten und Patienten gesammelt haben
Spanien / cincodias vom 30.03.2021 – deutsche Übersetzung
Der Oberste Gerichtshof stellt klar, welche Daten von ehemaligen Mitgliedern von Organisationen wie den Zeugen Jehovas verarbeitet werden dürfen
Norwegen / nrk.no vom 17.02.2021 – deutsche Übersetzung
Norwegische Datenschutzbehörde eröffnet Verfahren gegen Zeugen Jehovas wegen der Speicherung von Daten zum Sexualleben Betroffener
Kanada / Britisch Columbia Humanist Association 08.01.2024
Datenschutz verletzt nicht Religionsfreiheit
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