Nach außen vertreten die Zeugen Jehovas die Einstellung, dass sie Homosexualität und die Handlungen Homosexueller nicht gutheißen, aber ansonsten „nichts gegen den Menschen haben“. Das klingt – oberflächlich betrachtet – recht harmlos. Aussagen von Führungspersonen, die Wachtturm-Literatur und Filme der Organisation illustrieren jedoch die offene Diskriminierung von Schwulen und Lesben.
Auf der Website von Jehovas Zeugen jw.org heißt es diesbezüglich:
„Nach der Bibel sind sexuelle Kontakte zwischen Unverheirateten nicht akzeptabel, egal ob homosexueller oder heterosexueller Natur (1. Korinther 6:18). Dazu zählen Geschlechtsverkehr, das Streicheln der Geschlechtsorgane und oraler oder analer Sex.
Auch wenn die Bibel homosexuelle Handlungen missbilligt, liefert sie keine Grundlage für Homophobie oder dafür, Homosexuellen mit Verachtung zu begegnen. Christen werden vielmehr dazu angehalten: „Begegnet allen Menschen mit Respekt“ (1. Petrus 2:17, Das Buch).“
Das Landgericht Hamburg entschied 2020, dass man Jehovas Zeugen als Bewegung bezeichnen darf, die fundamentale Menschenrechte missachten und unter anderem auch, weil Homo- und Transsexualität strikt abgelehnt wird.
In einer Stellungnahme des Queer-Beauftragten der Bundesregierung wird die unsägliche Diskriminierung bestätigt:
„Der Umgang der Zeugen Jehovas mit dem Thema Homosexualität sowie die vielen Berichte von Mitgliedern, die aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität der Gemeinschaft verstoßen wurden und zuvor stark unter dem Druck, sich verstellen zu müssen, litten, sind bekannt. Der Kontaktabbruch von Familie und Freund*innen ist sehr grausam für die Betroffenen.“
E-Mail vom 09.08.2023
Vernichtung in Armageddon
Zeitschriften, Bücher und Videos von Jehovas Zeugen zeigen jedoch eine klar homophobe Haltung, so z.B. in einem speziellen Lernvideos für Kinder (2016) „Ein Mann und eine Frau„. Hier wird der vermeintlich von Gott gewollte sexuelle Weg mit den Vorschriften für den Flugverkehr verglichen. Wer nicht heterosexuell lebt, darf nicht an Bord. Mit anderen Worten: Homosexuelle kommen nicht ins kurz bevorstehende Paradies sondern werden in Armageddon vernichtet.
Der Verweis auf Gott als höchste moralische Instanz, der Homosexualität mit der Todesstrafe belegt, ist die übliche Wendung: GOTT sagt es, die BIBEL sagt es und die Zeugen Jehovas erkennen darin lediglich die göttlichen Universal-Gesetze und wenden sie an.
Selbst erworbenes Laster
Wie viele andere sektenhafte und extreme Gruppen postulieren die Jehovas Zeugen, dass Homosexualität nicht angeboren, sondern (durch falsches Verhalten) erworben ist. In einem Buch speziell für Kinder und Jugendliche wird dies ganz offen festgestellt (Jugend-Buch, 1976, S. 38, Abs. 9 und 10):
„9 Masturbation kann sogar zur Homosexualität hinführen …
10 Das kommt viel öfter vor, als man vielleicht annimmt. Entgegen der Ansicht vieler sind Homosexuelle nicht als solche geboren, sondern sie erlernen ihr homosexuelles Verhalten.“
Auch in der Zeitschrift Erwachet Nr. 4/2016 vertritt die Organisation der Zeugen Jehovas die Meinung, Homosexualität habe keine genetische oder psychosoziale Ursache, sondern sei lediglich eine Neigung wie z. B. Aggressivität. Im Gegensatz zum Tier können Menschen sich bewusst dafür entscheiden ihre – gottgegebenen – Triebe nicht auszuleben. Dies sei erforderlich um Gott zu gefallen und nicht von ihm mit dem Tod bestraft zu werden.
Es wird also insinuiert, die Person, die homosexuell empfinde, sei möglicherweise selbst daran schuld, weil sie durch falsche Verhaltensweisen wie Masturbation homosexuell geworden sei. In jedem Fall hat aber die homosexuelle Person laut Lehrmeinung der Zeugen Jehovas die Wahl. Diese Wahl macht sie zu einer gottgefälligen oder einer verabscheuungswürdigen, widerlichen Person.
Offene Diskriminierung von Homosexuellen
Deutlich wird die Abwertung und offene Diskriminierung z. B. in diesem Auszug aus einem Wachtturm von 1979:
„Einige Bräuche bestehen aus Praktiken, die derart verdorben sind, dass sie von Jehova und somit auch von seinem Volk verabscheut werden. Zu diesen Praktiken gehören Sodomie, Homosexualität, Blutschande und andere Formen der Unzucht.
Ist es nicht so, dass sogar einige Nationen ihre Gesetze ändern, damit Homosexualität nicht mehr strafbar ist und Homosexuelle von ihren Mitmenschen geachtet werden? Wie in den Tagen des Volkes Israel und wie in der Zeit der frühen Christenversammlung, so fühlen sich auch heute alle, die ‘in ihrem ganzen Wandel heilig werden’ wollen, von solchen Praktiken angewidert„. (Wachtturm 79 15. 6. S. 10-11)
„Die Homosexualität kann deshalb nicht einfach als alternativer Lebensstil abgetan werden. Sie ist widernatürlich […]
Daß die Homosexualität widernatürlich ist, geht aus folgender Grundtatsache hervor: Wäre jeder ausschließlich homosexuell, stürbe die menschliche Rasse innerhalb einer Generation aus.“
(Erwachet 8.10.1988 S. 10)
„Obwohl vielleicht manch einer meint, es sei schwierig, sich nach den biblischen Lehren auszurichten, handelt es sich dabei doch immer um ‘gesunde Lehren’, das heißt um Lehren mit einer positiven Wirkung auf Geist und Körper (Titus 2:1). Homosexualität dagegen ist dem körperlichen, dem emotionellen und dem geistigen Wohlbefinden nur abträglich.“ (Erwachet 22.02.1995 S. 14)
Auch die Aussagen einer Führungsperson wie Gary Breaux illustriert die Herabsetzung und Verächtlichmachung homosexuellen Erlebens:
„Satan führt Krieg, um das Denken der Menschen in Bezug auf Homosexualität zu verunreinigen … Homosexualität ist unheilig und widerwärtig für Jehova, und er wird dies unter seinen ergebenen Dienern nicht tolerieren. Bewegt dich deine Liebe zu Jehova dazu, die gleiche Sichtweise zu vertreten?“ (Gary Breaux, Helfer der Leitenden Körperschaft der Zeugen Jehovas und Mitglied des Dienstkomitees)
In dem „Arbeitsheft der Leben- und Dienst-Zusammenkunft“ Januar/Februar 2021 wird Homosexualität auf eine Stufe gestellt mit Verbrechen wie Inzest und Sodomie. Es wird zum Hass aufgerufen und die Betroffene werden, wie die gesamte „böse“ Welt, vernichtet (s.a. Video).
In einem speziellen Lehr-Video für Kinder wird Homosexualität verurteilt. Wer es auslebt, ist so böse, dass er nicht ins Paradies kommt.
Dass Homosexualität zur bösen Welt gehört, wird auch in dem Zeugen-Jehovas-Spielfielm „Denk an Lots Frau“ deutlich.
Diskriminierung als religiöse Haltung
Solche Äußerungen sind ganz klar gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Die Diskriminierung queerer Menschen wird unverblümt und mit klaren Worten betrieben.
Homosexualität ist weder wähl- noch veränderbar. Wie andere christlich-fundamentalistische Gruppen „unterscheiden“ die Zeugen Jehovas zwischen dem Menschen, der zu respektieren sei, und seiner sexuellen Orientierung, die, wie oben dargestellt, als Gott und den Menschen zuwider dargestellt wird. Das ist ähnlich, wie wenn man einer Person sagen würde, sie sei zwar ok als Mensch, aber nicht als Frau bzw. Mann – beides stellt die absolute Ablehnung, Herabsetzung und Diskriminierung des Gegenübers dar.
(Siehe auch «Sexuelle Orientierung lässt sich nicht verändern», Statement von Prof. emer. Dr. rer. nat., Dipl.-Pych. Udo Rauchfleisch)
Folgen des psychischen Drucks
Die Zeugen Jehovas setzen homosexuelle Mitglieder damit extremem psychischen Druck aus, indem sie etwas fordern, was Betroffene niemals erfüllen können. Er oder sie wird aber dazu genötigt indem mit Sanktionen wie Ausschluss und den damit verbundenen Folgen wie z. B. dem Kontaktverbot und sozialer Ächtung von Freunden und der Familie oder dem Tod durch die baldige Vernichtung im Armageddon gedroht wird.
Dieses Angstschüren führt zu schweren psychischen Folgen wie Depressionen, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen bis hin zu Suizidalität. Viele Betroffene berichten uns, dass sie unter diesen Phänomenen gelitten haben bzw. noch immer darunter leiden. Heilen dauert.
Die Praxis der Zeugen Jehovas im Umgang mit Homosexuellen und anderen queeren Menschen ändert sich nicht. Wir halten diese Diskriminierung für nicht hinnehmbar.
Als Verein begleiten wir Menschen, die sich aus diesem emotionalen, seelischen und gedanklichen Fängen befreien möchten. In unseren Reihen sind homosexuelle ehemalige Mitglieder der Zeugen Jehovas, die gerne ihre Erfahrungen teilen, wie es möglich ist, ein selbstbestimmtes und freies Leben weit jenseits der engen und kalten Welt der Zeugen Jehovas zu führen – auch als Homosexuelle.
Erfahrungsberichte Betroffener
Es ist in Ordnung, wenn du anders bist
Der 24-jährige Noah-Miguél Pinheiro da Cruz ist bei den Zeugen Jehovas aufgewachsen. Nach seinem Outing musste er sein bisheriges Leben zurücklassen. Im Interview erzählt er von seiner Zeit bei den Zeugen, dem Outing und was ihn bewegt hat, bei der Sendung »G-A-Y: MR GAY GERMANY« teilzunehmen.
Alsfelder Allgemeine, 05.01.2023
Der Kampf gegen sich selbst und die „Welt“
Zwei ehemalige Zeugen Jehovas und Christiane K. vom Verein JZ help haben mit mir über ihre Erfahrungen mit den Zeugen Jehovas, ihren Umgang mit Homosexualität und wie dieser zu ernsten psychischen Problemen führen kann gesprochen.
dasquerformat.at, 15.03.2022
Zeuge Jehovas und schwul„Dann haben sie mir drei Wochen Zeit gelassen“
Alexander wächst bei den Zeugen Jehovas auf. Dass er schwul ist, akzeptiert die Gemeinschaft nicht.
Deutschlandfunk Kultur, 23.04.2021
Zeugen Jehovas und Homosexualität
Stefan Barnikow (39), aufgewachsen in der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas, schwul und verheiratet, kritisiert die Sekte und findet deren Ansichten und Umgang mit Homosexuellen in ihren Reihen skandalös und menschenverachtend.
LSVD Bayern, 26.02.2019
Glücklich ohne Jehova
Sarah spricht mit Markus darüber, wie er sich als Schwuler, der als Kind von Zeugen Jehovas aufgewachsen war, von seinen religiösen Fesseln befreite und mutig einen Neuanfang wagte.
Krasses Gesabbl
„Ich muss hier raus“
Von der Geburt an lebte Adrian in der Sekte der Zeugen Jehovas. Doch als er seine Homosexualität entdeckte, wusste er, er muss aussteigen. Mit dem Leben in der Sekte der Zeugen Jehovas kam auch Adrians Schwester nicht mehr zurecht und wählte den Tod. Seine Familie und frühere Freunde haben den Kontakt zu ihm abgebrochen.
edit.Magazin, 11.12.2019
So traurig war das Coming-Out des Kandidaten Alexander Gutbrod
Alexander Gutbrod aus Remseck ist als Kandidat bei Deutschlands erster schwuler Datingshow „Prince Charming“ mit dabei. Bis zu seinem Coming-out war es ein langer Weg, denn Gutbrod wuchs unter Zeugen Jehovas auf und war auch schon mit einer Frau verheiratet. Heute wird er von seiner Familie geächtet.
Stuttgarter Nachrichten, 29.10.2019
Therapie statt Toleranz: „Homo-Heilung“ ist in Deutschland erlaubt!
Seine Eltern, Zeugen Jehovas, wollten Maxi unschwul machen. Er schildert seine Erfahrungen.
RTL, 20.08.2019
Weitergehende Informationen
Religiöser Hass – Zeugen Jehovas: Satan will mit Homosexuellen „die Menschheit zugrunde richten“
Gott empfindet „Abscheu“ gegen homosexuelle Paare und trans Menschen, heißt es in einer bizarren Tirade aus der Sektenzentrale. Doch keine Angst: „Unmoral“ werde „bald nicht mehr da sein“. (Zitat aus Kenneth Cook: „Die Erde, die für immer bleibt“ ab Min. 7:55)
Queer.de, 9.2.2023
Homophobe Sekte: Entzug der staatlichen Anerkennung für Zeugen Jehovas gefordert
Die extrem queerfeindliche Glaubensgemeinschaft wird in Berlin als Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannt. Eine Petition ruft den verantwortlichen schwulen Senator auf, das zu ändern.
Queer.de, 8.4.2022
Zeugen Jehovas und Homosexualität: Unvereinbar!
Die Zeugen Jehovas trennen den homosexuellen Menschen dabei von seiner Sexualität. Schwule und Lesben verdienen somit also nur solange Respekt, wenn sie ihre Sexualität nicht ausleben.
QUEERPRIDE
Kreativer Protest gegen Anti-Schwulen-Video der Zeugen Jehovas
In den USA haben Jehovas Zeugen einen Zeichentrickfilm veröffentlicht, der Kinder darüber aufklärt, dass Schwulsein in den Augen Jehovas Sünde ist.
hpd, 11.06.2016
Zeugen Jehovas veröffentlichen Kinderfilm: „Schwule kommen nicht ins Paradies“
Dass Zeugen Jehovas Homosexualität verurteilen, ist hinlänglich bekannt. Doch jetzt wollen sie ihre Abscheu auch auf üble Art dem Nachwuchs einimpfen.
Spiegel, bento -QUEER, 12.05.2016
Homophobe Glaubensgemeinschaft – Zeugen Jehovas: Schwule sind Kinderschänder
In einem Video macht ein Mitglied des Führungsgremiums der Zeugen Jehovas männliche Homosexualität für Kindesmissbrauch verantwortlich.
QUEER, 07.07.2015
Zeugen Jehovas kritisieren „homosexuelle“ Hosen
Die homophobe christliche Sekte ist besorgt, weil schwule Männer ihre Mode-Ideen auch Heterosexuellen aufzwingen würden.
Ein Mitglied der Leitenden Körperschaft, Anthony Morris, verdeutlichte, wen er für diesen Trend verantwortlich macht: „Die Homosexuellen, die diese Kleidung gestalten – die wollen euch in hautengen Hosen sehen.“
QUEER, 11.11.2014
«Wir haben alle Identitätsprobleme» – Wie die evangelikale Community mit Homosexualität umgeht
InfoSekta, Dr. Regina Spiess, Jahresbericht 2013