Laudatio für Ursula Meschede und Armin Slavik vom Verein Ausstieg e.V.
Anfang der 1990er Jahre beobachtete Studienrätin Ursula Meschede einen Schüler ihrer Musikklasse, der sich auffällig verhielt. Sie war eine Pädagogin, die einen „guten Draht“ zu ihren Schülern hatte, weil sie über den Unterricht hinaus Gemeinsames plante. Sei es ein Konzertbesuch oder einfach mal zum Pizza essen zu gehen.
Sehr bald erkannte Frau Meschede, dass das sonderbare Verhalten ihres Schülers mit seiner Religion im Zusammenhang stand. Er war ein Zeuge Jehovas. Gäbe es doch mehr Pädagogen und Pädagoginnen, die sich mit dieser Feststellung nicht einfach zufriedengeben, sondern mit dem Herzen schauen und sich fragen, was steckt hinter dieser Organisation!
Eine Lehrerin übernimmt Verantwortung
Frau Meschede besorgte sich Literatur, kontaktierte Zeugen Jehovas, verschaffte sich einen genauen Überblick über die Lehren und die interne Organisationsstruktur. Sie kontaktierte Aussteiger und Beratungsstellen für Sekten und Weltanschauungsfragen. Ihr Fazit war: Das ist eine Sekte im klassischen Sinne. Sie empfand die Organisation skrupellos, mit archaischen Erziehungsmethoden und Abwertung jeglicher Form von höherer Bildung.
Sie übernahm Verantwortung für die Allgemeinheit, indem sie sich dafür entschied, aufzuklären. Hier liegt die Wurzel ihres über viele Jahre währenden Engagements mit ungezählten Aktivitäten.
Sie hielt in vielen Regionen öffentliche Vorträge zur Aufklärung. Es wäre der mittelbayerische Raum zu erwähnen, Baden-Württemberg und Rheinland Pfalz. Sie vernetzte sich mit Initiativen, die bereits erfolgreich in der Aufklärung tätig waren. Sie arbeitete mit Jutta Birlenberg, Gründerin von Kids eV zusammen. Sie hielt Vorträge und Seminare in den Veranstaltungen von Frau Inge Marie Bonin, der Gründerin des Wohnhofprojektes, oder in Zusammenarbeit mit der EZW Berlin.
Selbsthilfegruppe Jockgrim und Idee der Vereinsgründung
1997 fand das erste Treffen mit der Selbsthilfegruppe in Jockgrim statt. Es waren betroffene Mütter, deren Kinder von den Zeugen Jehovas gefischt wurden und daraufhin den Kontakt zu ihren Eltern abgebrochen hatten.
Bei einem dieser Treffen entstand die Idee, der gemeinsamen Arbeit mit der Gründung des Vereins Ausstieg e.V. mehr Gewicht zu verleihen. 2000 wurde die Idee umgesetzt und die Arbeit bekam mehr Gewicht und Dynamik. Ihr Ruf schallte weit über die Grenzen Karlsruhes hinaus. Selbst aus dem Ausland erreichten sie die Hilferufe von betroffenen Aussteigern, Ausstiegswilligen, besorgten Angehörigen.
Frau Meschede sagte bei Gerichtsverhandlungen zu der Frage aus, ob der Religionsgemeinschaft die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechtes verliehen werden könnte. Sie wurde beim Justizministerium in Stuttgart vorstellig. Sie war Zeugin bei den Prozessen in Baden-Württemberg und in Nordrhein-Westfahlen, sowie bei der Anhörung vor der Bremer Bürgerschaft. In allen drei Fällen wurde zunächst die Anerkennung verweigert. Leider wurden die Entscheidungen in der zweiten Instanz jeweils gekippt.
Frau Meschede war unermüdlich und ließ sich selbst von persönlichen Angriffen, durch Sachbeschädigung auf ihr Haus nicht einschüchtern.
Sie hielt Seminare für Lehrkräfte ab, zum Beispiel in der Konrad Adenauer Stiftung in Berlin, bei denen sie ihr Wissen um die destruktiven Methoden und Wirkungen auf die Kinder weitergab.
Eine Episode bei einer dieser Veranstaltungen zeigte ihr eindrücklich, wie wichtig es ist, die Lehrkräfte zu informieren. Ein Religionslehrer erzählte ihr voller Stolz, dass er jeweils einen Ältesten der Ortsversammlung zum Unterricht einlud, wenn das Thema Sekten oder Zeugen Jehovas auf dem Stundenplan stand. Frau Meschede fiel fast vom Stuhl, als sie dieses naive Verhalten vernahm. Sie warnte daraufhin eindringlich vor genau dieser Art Aufklärung. Sie vermittelte die plausiblen Argumente, die dagegen sprachen.
Sie entschloss sich, zusammen mit ihren Mitstreitern in Karlsruhe eine weitere Selbsthilfegruppe zu gründen, die sich einmal monatlich in der Petrusgemeinde traf.
Herbert W. Raab – Verlegen wichtiger Aussteiger-Werke
Eine der nachhaltigsten Entscheidungen ihres Vereins Ausstieg e.V. war es, verschiedene kompetente Autoren der Aussteiger Literatur zu verlegen.
Herbert W. Raab erklärte sich bereit, kostenlos und ehrenamtlich die Werke aus dem Englischen zu übersetzen. Er stand mit den Autoren in engem Kontakt.
Zentral für die Übersetzungsarbeit des Vereins waren die beiden Bücher von Raymond Franz: Der Gewissenskonflikt und Auf der Suche nach christlicher Freiheit.
Neben den Werken von Raymond Franz entstanden die Übersetzungen von
Carl Olof Jonsson: Die Zeiten der Nationen näher betrachtet.
Carl Olof Jonsson, Rud Persson: Das Zeichen der letzten Tage – wann?
Don Cameron: Gefangene einer Idee – Die Anatomie einer Illusion
James Penton: Endzeit ohne Ende. Die Geschichte der Zeugen Jehovas
Steven Hassan: Freiheit des Geistes
Niemand hat die Stunden gezählt, die er für diese Mamut-Aufgabe zusammen mit Frau Meschede einsetzte, die das Lektorieren übernommen hatte. Eine großartige Leistung der Beiden.
Ausstieg e.V. lud einige Autoren zu Buchpräsentationen ein, die große Aufmerksamkeit erhielten.
So war Raymond Franz bei zwei Gelegenheiten, in den Jahren 2005 und 2007, in Karlsruhe.
Seine Bücher haben ungezählten Zeugen Jehovas die Augen geöffnet und ihnen den Ausstieg aus dieser Religionsdiktatur ermöglicht.
Auch meine Familie gehört zu den Nutznießern.
Ebenso sind die Bücher der anderen Autoren nach wie vor von unschätzbarem Wert für die Aufklärung und zur Hilfe beim Ausstieg.
Die Beratungsstellen für Sekten und Weltanschauungsfragen arbeiteten gerne und intensiv mit dem Verein zusammen. Sowohl Herr Dr. Lampe in Freiburg, als auch Herr Dr. Hemminger, Stuttgart, Herr Dr. Bodewin in Karlsruhe und Herr Dr. Utsch von der EZW in Berlin schätzten die Kompetenz und die unermüdliche Hilfsbereitschaft von Frau Meschede. Sie selbst stützte sich auch gerne auf die Expertise anderer. Weil sie keine direkte Betroffene war, nahm sie zu ihren Vorträgen Aussteiger als Zeitzeugen mit.
Armin Slavik und Bruderinfo
Einer dieser Begleiter war Armin Slavik. Er war der jüngste von drei Geschwistern, die nach dem tragischen Tod seines Vaters von der Mutter, in der Hoffnung auf ein Wiedersehen nach der Auferstehung, zu einem Zeugen Jehovas erzogen wurde. Seine Worte sind: „Sie schleppte uns dann jede Woche dorthin bis wir eben uns alle taufen ließen. Ich durfte in keinen Kindergarten, keine Weihnachten und auch kein Geburtstag feiern“.
Wir alle kennen das ja.
2007 war er in der englischen Versammlung und begann die griechischen Urtexte mit der englischen Übersetzung der Watchtower Society zu vergleichen. Ihm fielen einige Fehler auf. Er begann zu zweifeln und lernte bei seinen weiteren Recherchen Ausstieg e.V. und Ursula Meschede kennen.
Er wurde von Frau Meschede zu der Buchpräsentation von Raymond Franz eingeladen, obwohl er noch ein Zeuge Jehovas war. Er besuchte die Veranstaltung zusammen mit seiner Frau und war von diesem Zeitpunkt an entschlossen, die Organisation zu verlassen.
Armin Slavik wurde ein Mitstreiter, der im Hintergrund Unschätzbares geleistet hat.
Frau Meschede ist es ein Anliegen, zu betonen, dass sie die Arbeit zusammen mit ihren Vereins-Kollegen und -Kolleginnen, und deren selbstlosem Einsatz und Teamgeist geschafft hat.
Ich selbst habe einige in Karlsruhe persönlich kennenlernen dürfen und werde diese Begegnungen niemals vergessen. Hier schließt sich der Kreis, der so typisch für das Wirken von Ursula Meschede ist. Sie kann Menschen verbinden.
Armin Slavik ging auf die Anfragen von Ältesten der Zeugen Jehovas ein, die eine Plattform suchten, wo sie sich über Glaubensthemen austauschen konnten. Er gründete Bruderinfo und erreichte unzählige Menschen mit seinem Angebot. So hat unser Vereinsvorstand, Udo Obermayer von seiner Arbeit profitiert. Er glaubte, wie die meisten Aussteiger, dass sich die Lehren der Zeugen Jehovas auf die Bibel stützen. Bruderinfo hat ihm mit seinen Beiträgen sehr geholfen, die Lehren in einem anderen Licht zu sehen. Im Laufe der Jahre verstand er, dass es Bibeltexte gab, die er nie in Erwägung gezogen hatte. Er konnte die Lehrinhalte aus einer neuen Perspektive betrachten. Das hat ihm geholfen, mit dem Glauben der ZJ völlig abzuschließen. So ging es wahrscheinlich sehr vielen.
Auch mit seinem Buch „Habe Mut zur Wahrheit“ erreichte Armin Slavik sehr viele Leser. Es war mehrfach kurz nach dem Erscheinen vergriffen.
Wichtige Arbeit und große Bedeutung von Ausstieg e.V.
Die Bedeutung von Ausstieg e.V. im Bereich der Beratung und Aufklärung von Zeugen Jehovas-Betroffenen im deutschsprachigen Raum kann gar nicht genug herausgestellt werden. Ursula Meschede, Armin Slavik und viele andere Mitstreiter und Mitstreiterinnen, die nicht in Erscheinung treten wollen oder können, haben Großes geleistet: mit ihren breiten Aktivitäten im Bereich der Aufklärung, mit der Beratung von Betroffenen und mit der Übersetzung und Verlegung zentraler Werke. Ihre Arbeit hat andere ermutigt und weitere Initiativen inspiriert. Dazu gehört nicht zuletzt auch die Initiative SeelNot in Augsburg.
Es ist uns eine große Ehre, Ursula Meschede und Armin Slavik für ihre Verdienste rund um Aufklärung und Beratung von Betroffenen von Jehovas Zeugen ab heute unsere Ehrenmitglieder nennen zu dürfen.
Wir bedanken uns im Namen aller von Sekten und insbesondere Zeugen Jehovas Betroffenen bei ihnen und ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern für die großartige Arbeit, die sie leisten!