Laudatio für Olaf Fichtner verfasst von Barbara Kohout
Viele Jahrzehnte sind vergangen, seit wir uns zum ersten Mal als junge Sonderpionier Ehepaare in Niedersachsen begegnet sind. Du warst mit Helga der Versammlung Göttingen zugeteilt und ich mit Karl der Versammlung Uslar im Solling.
Du hast Dich 1969, als 25-Jahre junger Ehemann für den allgemeinen Pionierdienst entschieden. Ihr habt Euch bescheiden mit Deinem Einkommen aus einer Teilzeit-Beschäftigung zufrieden gegeben, denn auch Helga hat geglaubt, dass die Zeit vor dem Ende 1975 sehr dringlich ist.
Genau wie meine Eltern und so viele von uns, ist Deine Mutter 1947 auf der Suche nach Halt und Zukunftsperspektive, dem Heilsversprechen der Zeugen Jehovas auf den Leim gegangen. Damals warst Du 2 Jahre alt und bist in die Mühle der sogenannten theokratischen Erziehung geraten. Da war Dein Leben streng geregelt. Vom morgens mit dem Tagestext über die Dienstverpflichtungen, Buchstudium, Predigtdienstschule, Wachtturmstudium, Felddienstverpflichtungen verlief die Zeit geregelt und getaktet.
Niemand hat auf Deine wirklichen Talente geschaut. Es hat kaum jemanden interessiert, dass Du ein begnadeter Sportler warst. Du warst zum Beispiel ein geschickter Turmspringer. Doch solche Neigungen hatten in der theokratischen Ordnung keinen Platz.
Das Ergebnis war, dass Du schon im Alter von 21 Jahren die Verantwortung als Ehemann für Helga übernommen hast und 1970 bereit warst, Berlin zu verlassen und in Deine Zuteilung als Sonderpionier nach Göttingen zu gehen.
Damit nicht genug, Ihr habt eine besondere Zusammenkunft an einem Kreiskongress besucht, bei der Bewerber für die Schule für den Missionardienst gesucht wurden. Du sagst, da haben sie Dich geködert. Ihr habt Euch beworben und seid ausgerechnet im Jahre 1975 dazu eingeladen worden. Für die Vorbereitung auf diese Schule, die ausschließlich in englischer Sprache abgehalten wird, habt Ihr Göttingen wieder verlassen und die Zuteilung in die englische Versammlung in Frankfurt annehmen müssen.
Dort begegneten Euch an ganz neue Situationen im Predigtdienst. Wenn ihr die Wohnungsinhaber fragtet: would you like to understand the Bible, haben sie zu Eurer größten Überraschung mit „yes, we do“ geantwortet, und nicht wie die Deutschen mit nein danke, und Euch in die Wohnung gebeten.
Tja – das war ein Crashkurs in der englischen Sprache.
Ich kann das gut nachvollziehen. Als wir in das italienische Gebiet wechselten, konnte es schon mal passieren, dass man bei einer auswendig gelernten Einleitung zum Angebot des Erwachet die Worte ministero del regno (Königreichsdienst) mit ministroe del regno (Gemüsesuppe des Königreiches) verwechselt hat. Die Abnehmer der Zeitschrift wunderten sich dann, warum sie kein Rezept für eine königliche Gemüsesuppe gefunden haben.
Der Gesundheitscheck hat dann ergeben, dass für Helga das Risiko einer Auslandszuteilung zu groß wäre. Darum ist Euch Gilead erspart geblieben. Das seht ihr heute so. Ich mag nicht darüber nachdenken, durch welche emotionalen Höhen und Tiefen ihr gehen musstet, bis ihr Euch wieder auf neue Lebensziele konzentrieren konntet. Da spricht die Seele, das unbewusste Gefühlsleben ein Wörtchen mit und es ist nicht wirklich mit diesen schlichten Fakten zu beschreiben.
Du sagst, damals hat Dein Glauben einen Knacks bekommen. Doch es dauerte noch 10 Jahre, bis ihr 1990 den Brief geschrieben habt, mit dem Ihr Euren gemeinsamen Austritt aus der Organisation erklärt habt.
Der große Schritt in die Freiheit war getan.
In den folgenden Jahren hast Du als Pharmareferent Deine Familie ernährt, die mit 3 Kindern gesegnet wurde. Endlich bekam auch der Sport wieder einen Platz in Deinem Leben. Du hast das Laufen gewählt und hast sogar den Marathon geschafft. Meine ganz große Bewunderung ist Dir dafür sicher.
Im Jahre 1992 fiel Dir auf, dass Dir die zehn Jahre Zeit im Sonderpionierdienst als Wartezeit für Deine Rentenansprüche fehlen werden. Du hast die Zivilcourage gehabt, Dich mit der Rentenversicherungsanstalt und mit der Wachtturm-Gesellschaft anzulegen und hast es juristisch durchgefochten, dass die Vollzeitbeschäftigten bei der Rentenversicherung angemeldet werden müssen. Das hat nicht nur für Dich die Nachentrichtung der Beiträge zur Folge gehabt, sondern auch für alle, die sich in den verschiedenen Zweigen des Vollzeitdienstes befinden, die Entrichtung von Beiträgen für die Altersversorgung.
Sie Alle schulden Dir Dank für diesen Einsatz.
Doch Du bist auch mit dem großartigen Verein SINUS in Frankfurt in Kontakt gekommen. Dort haben wir uns nach langen Jahren wieder getroffen.
Rolf Häusler hatte mich eingeladen, mein erstes Buch „Mara im Kokon“ vorzustellen. Ich durfte dort auch die ersten wirklichen Helfer für die Aussteiger aus Kulten kennenlernen. Herrn Eimuth und Herrn Lemhöfer, mit dem Du auch auf Vortragsreisen warst. Ihr wart unermüdlich damit beschäftigt, über die dunkle Seite der Wachtturm Organisation aufzuklären. SINUS hatte eine Selbsthilfegruppe gegründet, bei der Du engagiert warst. Du hast in Foren wie Infolink viele Beiträge geschrieben. Du bist im Fernsehen aufgetreten und hast mit unzähligen Menschen im telefonischen Kontakt gesprochen und aufgeklärt.
Lieber Olaf, dieser unermüdliche Einsatz für Deine Mitmenschen verdient es wirklich, in Erinnerung zu bleiben.