Jahresbericht 2018

Zweck und Ziele der Vereinsgründung

Nach monatelanger Vorbereitung gründeten einige Autoren/innen, Internet-Aktivsten/innen, Sektenexperten/innen und Betroffene aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südafrika im März 2018 den Verein JZ Help e.V.. Viele Mitglieder engagieren sich seit vielen Jahren in der Aufklärung über die Zeugen Jehovas. Besonders hervorzuheben sind dabei sicherlich Barbara Kohout, die seit 10 Jahren in vielen Fernsehsendungen und mehreren Büchern die Problematik bei Jehovas Zeugen thematisiert hat, und Dr. Regina Spiess, die lange in der Sektenberatung tätig war und verschiedene Artikel veröffentlicht hat. 

Vorstandsmitglied Dr. Regina Spiess

Aufgrund ihres enormen Verdienstes in den Bereichen Aufklärung und Beratung haben wir Barbara Kohout Anfang 2019 zum Ehrenmitglied unseres Vereins ernannt.

Ehrenmitglied Barbara Kohout

Im deutschsprachigen Raum gab es bereits eine etablierte Aktiven-Szene, die über Jehovas Zeugen und andere Sekten aufklärten. Dabei handelt es sich vor allem um Einzelpersonen sowie mehrere „altgediente“ Vereine, die in der Vergangenheit sehr aktiv waren. Mit der Vereinsgründung sollten vorhandene Kompetenzen und Netzwerke in einer Organisation zusammengefügt werden, die über einen klaren Rechtsrahmen verfügt. Damit ist eine höhere Wirkung im Auftreten sowie die Möglichkeit der Finanzierung durch Spenden und Mitgliedsbeiträge verbunden.

Wir verstehen uns als ein religiös und weltanschaulich unabhängiger Zusammenschluss von Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, über Grundrechts- und Menschenrechtsverstößen bei Jehovas Zeugen und destruktiven Gruppen im Allgemeinen zu informieren. Dabei liegt unser Fokus stark auf der Situation von Kindern, die in destruktiven Gruppen aufwachsen.

Wir unterstützen Betroffene, damit sie rechtliche und psychologische Hilfe erhalten. Außerdem bieten wir Aussteiger/innen Gemeinschaft, Austausch und „Identifikation“. Damit leistet der Verein einen Beitrag zur Förderung des demokratischen Staatswesens, der öffentlichen Gesundheitspflege und des Kinder- und Jugendschutzes.

Überblick als Video

Im Video erläutert der Vorstand Udo Obermayer, was wir in den 9 Monaten seit Vereinsgründung erreicht haben und gibt einen Ausblick, welche Schwerpunkte wir für nächstes Jahr geplant haben.

Was wir 2018 erreicht haben

Nach Gründung des Vereins beantragte und erhielt der Vorstand die Registrierung bei Gericht und die Gemeinnützigkeit beim Finanzamt Augsburg-Stadt. Es wurden weitere verwaltungstechnisch notwendige Voraussetzungen geschaffen.

Der Verein richtete die Website jz.help, die Facebook-Seite , den YouTube-Kanal  und die Opferhotline ein und druckte einen Flyer als Visitenkarte des Vereins. Die Anzahl unserer Mitglieder konnten wir seit Gründung verdoppeln.

Facebook

  • 485 Abonnenten 
  • eine Beitrags-Reichweite von bis zu 20.000 Personen als Spitzenwert
  • 8 eingestellte Videos
  • 47 über Facebook eingegangene Anfragen
  • Rekordbeiträge auf Facebook
    • Niederlande – Jehovas Zeugen verweigern Zusammenarbeit mit Behörden bei Kindesmissbrauch: 20.200 Aufrufe
    • REPORT MAINZ – vertuschter sexueller Missbrauch (Vorankündigung): 8.700 Aufrufe
    • Jehovas Zeugen vertuschen sexuellen Missbrauch – Report Main (27.11.2018): 6.400 Aufrufe
  • Rekordvideos auf Facebook sind
    • Jehovas Zeugen vertuschen sexuellen Missbrauch – Report Main (27.11.2018): 3.600 Aufrufe
    • Niederlande – Jehovas Zeugen verweigern Zusammenarbeit mit Behörden bei Kindesmissbrauch: 5.300 Aufrufe

YouTube 

  • 141 Abonennten
  • 19 Videos eingestellt
  • 11.500 Aufrufe

Zusätzlich zum vereinseigenen YouTube-Kanal betreiben unsere Mitglieder Oliver WolschkeBarbara Kohout, Sophie Jones und Walters Vlog erfolgreiche eigene YouTube-Kanäle, Facebook-Seiten und/oder Webseiten.

Das Expertennetzwerk

Aufgrund unserer vielfältigen Kontakte war es uns möglich, ein Expertennetzwerk aufzubauen mit 

  • acht Psycholog/innen bzw. Psychotherapeut/innen
  • zwei Rechtsanwält/innen, 
  • einer Kontaktperson zum Weißen Ring in Deutschland
  • zwei Selbsthilfegruppen in Oldenburg und Zürich (Augsburg musste leider mangels ausreichender Resonanz geschlossen werden).

Das Expertennetzwerk wird weiter ausgebaut, in den ersten Monaten des Jahres 2019 wurden weitere Kontakte hinzugefügt.

Die Online-Hotline

Über Email und Facebook erreichten uns im Jahr 2018 98 Anfragen zu folgenden Themen:

  • 36 Anfragen zum Thema sexueller Kindesmissbrauch
  • 13 Anfragen zu Gewalt in der Familie
  • 8 Anfragen zu Hilfe bei Rechtsfragen (Unterlassungserklärung, Sorgerecht/Kindeswohl, Gutachter)
  • 5 Anfragen im Zusammenhang mit Ausstieg
  • 5 Anfragen zum Thema Suizid oder Suizidversuch 
  • 4 Anfragen zum Thema Scheidung/Trennung und Kindeswohl

Bei allen Anfragen ging es auch um Ängste und psychischen Druck infolge von Ächtung.

Projekte & Vernetzung

  • 23 Anschreiben an Politiker und Juristen wegen eines Gutachtens, das die rechtmäßige Erlangung der Körperschaftsrechte der Zeugen Jehovas und die Rechtstreue der Organisation in Frage stellt,
  • 11 sonstige Anschreiben wegen Beschwerden zu einseitigen Presseartikeln, Zusammenarbeit mit anderen Vereinen, etc.
  • Gespräche mit der Aufarbeitungskommission in Berlin am 30.05.2018,
  • Teilnahme an der Fachtagung des Vereins Elterninitiative in Regenstauf am 08.-10.06.2018,
  • Interview von Mitglied Walter Schöning beim Kongress „Im weißen Raum“ in Stuttgart am 21.06.2018,
  • Teilnahme am Kongress „Mitsprache“ (Kindesmissbrauch) in Berlin am 14./15.09.2018,

Medien 

Finanzen

Die Einnahmen setzten sich aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden zusammen, die in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Nach Abzug der Ausgaben – überwiegend sind dies Verwaltungs- und Internetkosten – konnten wir einen Überschuss erzielen, den wir als Rücklage für die geplanten Projekte in 2019 verwenden werden. 

Geplante Aufgaben & Projekte 2019

  • Neuaufbau der Internetplattform jz.help mit einem professionellen Web-Tool und deutlich mehr Inhalten zu Beratung und zur „Selbsthilfe“; die vorliegenden psychologischen Abhandlung von Dr. Regina Spiess über Jehovas Zeugen soll integriert werden
  • Gezielte Medienarbeit mit Fokus auf Kindesmissbrauch bei Zeugen Jehovas; Kontakt mit der Aufarbeitungskommission in Deutschland zur Aufarbeitung der Vorfälle 
  • Adressieren des Themas Kindeswohl bei den Sektenstellen der Bundesländer in Deutschland 
  • Politische und rechtliche Schritte zur Überprüfung der KdöR bei Jehovas Zeugen und deren Rechtstreue
  • Politische und rechtliche Schritte zur Korrektur der aktuellen Datenschutzverordnung bei den Zeugen Jehovas
  • Ausweitung des Experten- (Psychologen/innen und Juristen/innen) und Selbsthilfegruppen-Netzwerk
  • Übersetzung von Videos und Informationen aus dem internationalen Netzwerk
  • Aufbau eines Teams für Hilfe, Beratung und Ausstiegsbegleitung, ggf. Online-Selbsthilfegruppen
  • Weitere Vernetzung mit anderen Aktivisten

Beispiele von Anfragen an den Verein im Jahr 2018

Die folgenden Anfragen wurden aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes der Anfragenden anonymisiert und teilweise verfremdet.

#5002 – Kindesmissbrauch

S.W. wuchs zusammen mit ihrer Schwester in einer Zeugen Jehovas-Familie auf. Als Kind sind sie und ihre Schwester vom Vater, einem Ältesten, sexuell missbraucht worden. S.W. heiratete einen Glaubensbruder und bekam eine Tochter. Als Familie standen immer eher am Rande der Gemeinschaft, auch weil sie als nicht konform genug galten. Über Jahre litt S.W. an schweren psychosomatischen Erkrankungen. Vor einiger Zeit entschloss sie sich, wegen des Missbrauchs durch den Vater ans Zweigbüro zu gelangen.

Aufgrund von S.W.s Rückmeldung setzte das Zweigbüro in der Versammlung des Vaters zwei Älteste ein, welche den Fall untersuchen sollten. Beide waren langjährige Freunde des Vaters und verfügten über keinerlei Wissen zum Umgang mit Betroffenen von Kindesmissbrauch. Der Vater stritt alles ab, die vom Vater getrennt lebende Mutter und die Schwester wurden nicht befragt, weil sie in der Zwischenzeit die Organisation verlassen hatten. Als Ausgeschlossene waren sie nicht nur zu ächten, sondern galten auch als unglaubwürdig.

In der Versammlung wurden S.W.s Vorwürfe als Verleumdung abgetan, einige der Ältesten meinten gar, S.W. würde vom Teufel beeinflusst, um Schmach auf Jehovas Zeugen zu bringen. Vom Zweigbüro erhielten die Ältesten schriftlich Anweisung, S.W. geistlichen Beistand zu leisten und sie darauf hinzuweisen, dass sie über die Vorfälle mit niemandem sprechen dürfe. Daraufhin trat S.W. aus der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas aus mit der Konsequenz der sozialen Ächtung. Ihr Vater wurde in einer Versammlung im Ausland als Ältester tätig. 

Der geschilderte Fall zeigt viele Parallelen zu anderen Fällen, die uns gemeldet wurden: Das Zweigbüro ist über alles im Detail informiert und überwacht den gesamten Vorgang. Ohne zweiten Zeugen (den es in diesem Fall mit der Schwester sogar gegeben hätte), wird von Seiten der Organisation nichts unternommen, sie meldet den Fall auch nicht bei den Behörden. Ein mutmaßlicher Täter stellt dadurch für Kinder weiterhin eine Gefahr dar. Die betroffene Person erfährt keinerlei Unterstützung und wird zum Schweigen gebracht. Die Situation wird für sie immer unerträglicher und sie verlässt die Gemeinschaft. Darauf wird sie durch die Ächtung erneut zum Opfer.

#5013 – Gewalt in der Ehe

P.B. hat als Zeugin Jehovas über viele Jahre körperliche und sexuelle Gewalt in ihrer Ehe erlebt. Sie hatte sich deshalb mehrfach an die Ältesten gewandt, wurde dann aber jedes Mal gefragt, ob sie für die Übergriffe Zeugen hätte. Da dies nicht der Fall war, wurde sie zu Stillschweigen verpflichtet. Die Ältesten warnten sie auch, die Vorfälle zur Anzeige zu bringen, solange sie keinen Zeugen hätte, da sie sonst wegen Verleumdung ausgeschlossen würde. Deshalb ertrug P.B. die Misshandlungen jahrelang weiter.

Als es P.B. psychisch immer schlechter ging, ließ sie sich scheiden. Da Jehovas Zeugen eine Scheidung nur aufgrund von „Hurerei“ (= außereheliche sexuelle Beziehung), nicht aber aufgrund von Gewalt, anerkennen, konnte P.B. ohne Vorlegen eines Beweises für „Hurerei“ des Ex-Mannes keine neue Beziehung eingehen. Sie solle, so die Ältesten, „auf Jehova warten“. P.B. blieb allein, auch mit den traumatischen Erfahrungen von Gewalt und Bedrohung, über die sie ja mit niemandem sprechen durfte. Ihr psychischer Zustand wurde immer schlechter. Als sie sich das Leben nehmen wollte, kam sie in psychiatrische Behandlung. Vor einigen Jahren hat P.B. die Organisation verlassen. Unterdessen geht es ihr wieder besser.

Dieser Fall macht deutlich, dass die 2-Zeugen-Regel nicht nur bei Kindesmissbrauch die Opfer allein lässt und großen Schaden anrichtet, sondern auch bei Gewalt in der Ehe. Selbst wenn von Ältesten Gewalt in der Ehe festgestellt wird, wird Betroffenen geraten, die Ehe möglichst aufrechterhalten. Im Fall einer Scheidung wegen ehelicher Gewalt darf der oder die Betroffene keine neue Ehe eingehen, solange der andere Partner keine nachweisbare «Hurerei» begeht.

#1019 – Ausstieg, Sorgerecht und Kindeswohl

C.A. ist in einer Zeugen Jehovas-Familie aufgewachsen und hat später einen Zeugen Jehovas geheiratet und mit ihm Kinder bekommen. Aufgrund vieler negativer Erfahrungen in der Gemeinschaft, die sie selbst krank gemacht haben, und im Interesse ihrer Kinder, die offensichtlich unter den Drohbotschaften litten, wollte C.A. zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme mit dem Verein die Zeugen Jehovas verlassen. 

Von ihrem Ehemann wurde C.A. terrorisiert und sie befürchtete, er könnte im Falle einer Scheidung die Kinder für sich allein beanspruchen. Mit dem Verlassen der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas würde sie infolge der Ächtung sämtliche Verwandte und Freunde verlieren. Auch ihre eigene Familie würde, so ihre Befürchtung, alles daransetzen, ihre Beziehung zu den Kindern zu unterlaufen und sie als sündig und böse darzustellen. C.A. äußerte die Befürchtung, ihr Mann wolle sie mithilfe von Glaubensgeschwistern, die sich alle auf seine Seite gestellt hatten, in den psychischen Zusammenbruch treiben um dann das alleinige Sorgerecht zu beantragen.

Von Vereinsseite haben wir C.A. einen in Sorgerechtsfragen mit Jehovas Zeugen erfahrenen Familienanwalt empfohlen. Außerdem konnten wir ihr zwei Mustergerichtsentscheidungen zukommen lassen, in denen die Jugendämter eine Gefahr durch die Indoktrinierung erkannt hatten und Versammlungsbesuch sowie religiöse Belehrung im Sinne der Zeugen Jehovas verboten wurde.

Das Beispiel von C.A. illustriert die verzweifelte Situation vieler Mütter oder Väter, welche die Organisation verlassen wollen. Aufgrund der Ächtung stehen sie in einer der schwersten Lebenskrisen völlig alleine da. Die minderjährigen Kinder werden vom Zeugen Jehovas-Umfeld wie Großeltern, Tanten und Onkeln oder Freunden oft in extremer Weise unter Druck gesetzt und manipuliert: Der ausgestiegene Elternteil werde vom Teufel beherrscht, sei böse und werde in Kürze in Harmagedon vernichtet. Die Angst aussteigender Eltern, dass sich die eigenen Kinder, selbst wenn sie für diese das Sorgerecht haben, aufgrund der Indoktrination von ihnen abwenden könnten, ist absolut begründet.