Was passiert, wenn Menschen von den Zeugen Jehovas geächtet werden.
Ein Onlineartikel, erschienen bei „Radio New Zeeland“ am 10. August 2023
Von Investigativ-Reporterin Anusha Bradley
Übersetzt von JZ Help
WARNUNG: In dieser Geschichte geht es um schwere psychische Probleme, Depressionen und Suizid.
„Ich hatte den Ruf, eine sehr fleißige, besonnene, kritische Schwester in der Gemeinde zu sein … und dann wurde ich buchstäblich über Nacht zu etwas Bösem, etwas Schmutzigem, etwas, vor dem man Angst haben musste.“
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Für Rachel Jackson ist binnen zwei Wochen alles vorbei.
Nach 22 Jahren bei den Zeugen Jehovas spürt sie, wie sich ihre gesamte Identität innerhalb von zwei Wochen auflöst, nachdem sie Zweifel an der Religion gestand.
Warum, so hatte sie gefragt, werden nur wir Armageddon überleben? Es gibt so viele andere gute Menschen. Warum nicht auch sie?
Sie begann, die Leitende Körperschaft der Religion, die als Sprachrohr Gottes gilt, in Frage zu stellen.
„Ich wurde von jemandem aus der Versammlung gemeldet“, sagt Rachel. „Ich sagte etwas zu ihr, woraufhin sie sehr wütend auf mich wurde und mich bei den Ältesten der Versammlung anzeigte.“
Zwei Älteste versuchten sie umzustimmen, aber ohne Erfolg. Sie sagten ihr, sie solle austreten oder rausgeschmissen werden – ‚disfellowshipped‘ [ausgeschlossen, Anm. JZ Help]- sagt sie.
Aber Rachel, die vom Katholizismus konvertiert war, weigerte sich. Ein Komitee [Ausschuss] der Ältesten wurde gebildet, um zu entscheiden, was mit ihr geschehen sollte. „Ich traf mich mit drei Ältesten und sie warfen mir Abtrünnigkeit vor, weil ich nicht akzeptierte, dass die leitende Körperschaft die Männer sind, die Jehova nutzt.“ Sie sagt, ihr wurde gesagt, dass ihr Ausschluss in zwei Wochen der Gemeinde mitgeteilt würde.
„Zwei Wochen später lösten sich alle meine Freundschaften der letzten 25 Jahre in Rauch auf.“ Niemandem wurde gesagt, warum Rachel ausgeschlossen wurde, aber alle mieden sie.
In der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas darf mit keinen Personen gesprochen werden, welche die Kirche verlassen oder aus ihr ausgeschlossen werden. Sie werden ausgestoßen, um ihr Leben ohne die wichtige Unterstützung derjenigen fortzusetzen, die weiterhin Zeugen sind.
Weltweit gibt es 8,7 Millionen Anhängerinnen und Anhänger, darunter 20.000 in Aotearoa [Aotearoa ist der indigene Name Neuseelands und bedeutet „Land der langen weißen Wolke“].
Viele, die die Gruppe verlassen haben – wie Rachel – sagen, dass allein die Androhung des Ausschlusses langfristig ernsthaften Schaden verursacht. Und die Praxis, so sagen sie, ist eine Verletzung der Menschenrechte.
Alle 19 ehemaligen oder aktuellen Zeugen Jehovas, mit denen wir für diese Geschichte gesprochen haben, wollen, dass das Ächten aufhört, entweder indem die Religion ihre Haltung aufweicht oder indem die Regierung diese schädlichen Auswirkungen erkennt und eingreift.
„Wenn man aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wird, wird einem die Stimme genommen“, sagt Rachel. „Man wird zum Schweigen gebracht und kann sich gegenüber den Menschen, die man liebt, nicht verteidigen, weil man geächtet wird. Das fühlt sich extrem grausam und ungerecht an, und es bedroht deine ganze Identität“.
„Ich hatte den Ruf, eine sehr fleißige, besonnene, kritische Schwester in der Gemeinde zu sein… und dann wurde ich buchstäblich über Nacht von dieser Person zu etwas Bösem, etwas Schmutzigem, etwas, vor dem man Angst haben muss. Wenn ich jemanden sah, den ich aus der Gemeinde kannte, z. B. im Supermarkt, sahen sie weg und ich konnte fast die Angst sehen, als wäre ich etwas Gefährliches für sie.“
Rachel ist sehr frustriert darüber, dass ihre Freunde nicht erfahren werden, warum sie weggegangen ist.
„Ich weiß noch, wie ich mich fragte: Wer bin ich? Und was sind meine Werte? Was mag ich überhaupt? Denn meine ganze Identität war damit verknüpft, dass ich zu den Zeugen Jehovas gehöre.“
Eine junge Frau starrt auf die Sprachnachricht ihrer verstoßenen Mutter, die auf ihrem Telefon abgespielt wird. „Elsa, bitte geh ran… ich vermisse dich so sehr!“, fleht die Mutter. Die junge Frau legt den Hörer auf und geht weg, aber als sie sich später Fotos ihrer Mutter ansieht, fragt sie sich: „Was kann es schaden, sie ab und zu anzurufen und mit ihr zu plaudern? Vielleicht kann ich ihr sogar helfen, zu Jehova zurückzukehren?“
Dieselbe Frau sitzt später in einem Königreichssaal, wo ihr gesagt wird, dass Jehova sie mit einer neuen „geistigen“ Mutter belohnen wird, wenn sie geduldig ist.
Die Szenen stammen aus zwei offiziellen Videos der Zeugen Jehovas, die bis vor kurzem auf ihrer weltweiten Website zu sehen waren und in denen genau gezeigt wird, wie ausgeschlossenen Anhängern der Weg abgeschnitten werden sollte. Im Juni wurden die Videos gelöscht, nur wenige Tage nach ihrer Veröffentlichung.
Doch die Anhängerinnen und Anhänger der Religion wissen genau, wie sie sich gegenüber denjenigen verhalten sollen, die den Glauben verlassen. Auf der offiziellen Website der Organisation finden sich mehrere andere Videos und sogar ausdrückliche Anweisungen, wie man enge Verwandte meiden soll.
In Online-Lehrbüchern und -Zeitschriften, die von den Anhänger und Anhängerinnen mehrmals pro Woche studiert werden sollen, wird die Meidung als „liebevolle Maßnahme“ bezeichnet, da die Bibel den Anhängerinnen und Anhängern vorschreibt, reuelose Sünderinnen und Sünder aus ihrer Mitte zu entfernen.
[Siehe auch Religionsrecht der Zeugen Jehovas – Anm. JZ Help]
Die Religion, die im späten 19. Jahrhundert in den Vereinigten Staaten gegründet wurde, stützt sich in hohem Maße auf eine wörtliche Übersetzung dieser Bibel, die sie „Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift“ nennen und die das Ende der Welt vorhersagt. Nur diejenigen, die zu dem gehören, was sie „die Wahrheit“ nennen, werden Armageddon überleben und im Paradies leben.
Genaue Daten, wann die Welt untergehen wird, werden nicht mehr genannt – Armageddon wurde seit 1914 mindestens fünfmal falsch vorhergesagt -, aber die Gläubigen werden in Studienmaterialien und Predigten häufig daran erinnert, dass sie in den „letzten Tagen der letzten Tage“ leben und das Ende „unmittelbar bevorsteht“.
Ein Großteil dieser Materialien stammt aus dem weltweiten Hauptquartier der Religion in Warwick, New York, wo eine „Leitende Körperschaft“, bestehend aus neun Männern, die angeblich vom Heiligen Geist ernannt wurden, um mit den Gläubigen zu kommunizieren, die Richtlinien und Praktiken der Organisation festlegt. Die Organisation hat eine hoch organisierte globale Struktur, bei der jede Gemeinde einem „Kreisaufseher“ unterstellt ist – ähnlich einem reisenden Pastor, der mehrere Gemeinden betreut -, der wiederum einem örtlichen Zweigbüro untersteht. Alle neuseeländischen Gemeinden sind dem australasiatischen Zweigbüro unterstellt, das seinen Sitz in einem Vorort von Sydney hat.
Es gibt nur zwei Gründe, warum ein Mitglied geächtet wird: Erstens, wenn es „ausgeschlossen“ wird, oder zweitens, wenn es „ausgegrenzt“ wird [aus freien Stücken geht, Anm. JZ Help].
Ein Gemeinschaftsentzug bedeutet, dass ein Mitglied exkommuniziert und ausgeschlossen wird – in der Regel als Strafe für das Begehen einer schweren Sünde. Eine Person, die aus freien Stücken austritt, in der Regel durch einen Brief, in dem sie die Religion verlässt, wird als „selbst ausgeschlossen“ bezeichnet.
Unabhängig von der Art des Austritts bleibt die Strafe dieselbe: In einer Versammlung der Gemeinschaft wird bekannt gegeben, dass eine Person nicht länger Zeuge Jehovas ist – es wird nie gesagt, warum – und niemand darf jemals wieder mit ihr sprechen. Wer sich nicht an die Regeln hält, muss damit rechnen, selbst ausgestoßen zu werden.
Die Regeln, zumindest offiziell, sind etwas anders für die ausgeschlossenen Verwandten, die im gleichen Haushalt wie die Gläubigen leben. Die Zeugen Jehovas sagen, dass bei ausgeschlossenen Familienmitgliedern nur die religiösen Bindungen gekappt werden, die familiäre Beziehung sich aber „nicht ändert“.
Ehemalige Zeugen sagen, dass dies eher die seltene Ausnahme als die Norm ist, und fragen, warum, wenn ausgeschlossenen Familienmitgliedern erlaubt wird, im Haus zu bleiben, es dieses Video auf der eigenen Website der Religion gibt, das einen Vater zeigt, der seine ausgeschlossene Tochter aus dem Haus wirft.
Im Alter von 20 Jahren erlebte Brad Miller die reale Version dieses Videos auf der Website der Zeugen Jehovas, als er wegen vorehelichen Geschlechtsverkehrs vor einen Rechtskomitee gestellt wurde. „Das Komitee stellte mir sehr detaillierte Fragen“, sagt Brad. „Als wollten sie jedes intime Detail wissen, was ich getan hatte. Es war furchtbar.“
Er heiratete schnell seine Freundin, um ihr die Tortur zu ersparen, die er durchgemacht hatte. „Die Ältesten mussten mich um Erlaubnis bitten, wenn sie bei der Versammlung mit meiner Frau sprechen wollten. Ich erlaubte ihnen, kurz mit ihr zu sprechen, aber ich stellte sicher, dass ich alle ‚detaillierten‘ Fragen beantworten konnte, damit ich ihr das Schlimmste der Befragung ersparen konnte. Ich habe ihr System gegen sie verwendet.“
Nachdem er ausgeschlossen worden war, sagte Brad, sein Vater habe ihm gesagt, er könne nur bei der Familie bleiben, wenn er versuche, zu Jehova zurückzukehren. „Er sagte mir, dass ich nicht bleiben dürfe, wenn ich nicht versuche, [zur Religion] zurückzukehren.“ Brad und seine neue Frau fanden eine eigene Wohnung und er wurde schließlich wieder in die Kirche aufgenommen. Aber die Saat der Zweifel an seiner Religion hatten zu wachsen begonnen. Er versuchte, die Zweifel zu ignorieren, denn als Zeuge der dritten Generation wusste er, dass ein Austritt bedeuten würde, alles und jede:n zu verlieren. Er würde geächtet werden.
„Es war beängstigend“, sagt Brad.
„Ich wusste, dass ich jede Person, die mir in meinem Leben zur Seite gestanden war, verlieren würde, sobald ich den Schritt wagte, die Organisation zu verlassen.“
„Wenn man als Zeuge erzogen wird, darf man keine Freunde außerhalb der Zeugen haben, du darfst nichts gesellschaftlich unternehmen, was nicht Zeugen-bezogen ist. Ich dachte … was soll ich nur tun?“
Wenn einer seiner besten Freunde die Religion verließ, sah er, wie sie von seiner Gemeinde angesehen wurden. „Sie überzeugten mich, dass er ein böser Mensch war, der sich für Satan statt für Gott entschieden hatte. Als ich älter wurde sah ich, wie immer mehr Menschen schließlich verschwanden und weggingen, und das Gleiche geschah.“
„Sie nehmen dir deine Identität, sobald du weg bist. Du bist kein Mensch mehr, du bist dieses böse Ding.“
Als er schließlich ein paar Monate später ging, wurden seine schlimmsten Befürchtungen wahr. Er flehte seine Frau an, mit ihm zu kommen, aber sie weigerte sich. Seine Frau, Freunde, Familie und schließlich sogar seine Eltern verweigerten jeglichen Kontakt zu ihm.
Zwei Jahre später leidet Brad immer noch unter der „tiefen Trauer und Einsamkeit“, die er durch die Ablehnung erfahren hat, und er leidet unter Angstzuständen und Depressionen, während er versucht, sich ein neues Leben in einer fremden Welt aufzubauen.
„Es fühlt sich an, als wären alle, die ich je gekannt habe, am selben Tag gestorben“.
Brads Cousine, Cassie Dean, weiß genau, was er durchmacht.
Die beiden wuchsen zusammen im ländlichen Waikato auf, besuchten oft gemeinsam Königreichssaal-Versammlungen und predigten jeden Samstag an den Haustüren in Te Kuiti und Ōtorohanga.
Im Alter von 17 Jahren verließ Cassie jedoch ihr Zuhause und ging nicht mehr zu den Versammlungen, um einem „toxischen“ Leben zu Hause zu entkommen. Obwohl sie erst nach einigen Jahren offiziell aus der Religion austrat, wurde sie von ihren Eltern dennoch geächtet.
Ihre Mutter sagte ihr, sie könne sich nicht mehr mit ihr abgeben, „wegen dem, was sie getan hat“.
„Meine Mutter meinte damit, dass ich mit meinem Freund, der kein Zeuge ist, Sex hatte. Dafür hätte ich mich schuldig fühlen müssen, habe es aber nie getan.“
Ein Jahrzehnt später sind die Auswirkungen des Verlusts ihrer Familie immer noch deutlich zu spüren.
„Eine ganze Familie zu haben ist alles, was ich mir jemals gewünscht habe… eine Umarmung von meiner Mutter, eine Umarmung von meinem Vater… daran denke ich jeden Tag.“
„Es zermürbt einen innerlich. Es ist wie eine lebendige Trauer.“
PODCAST HÖREN: Cassie und Brad erzählen ihre ganze Geschichte in einer Sonderfolge des Detail-Podcasts, der am Samstag, den 12. August erscheint:
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Die Drohung, Menschen zu ächten, übt eine enorme Kontrolle aus, sagt die amerikanische Psychologin Marlene Winell, die als fundamentalistische Christin aufgewachsen ist und heute Menschen hilft, die aus Religionen mit hoher Kontrolle [High-control-Gruppen, Anm. JZ Help] ausgetreten sind.
„Es hält die Menschen in der Religion und sie bleiben viel länger drin, als sie es eigentlich müssten. Manchmal bleiben sie und tun so, als würden sie mitmachen, weil sie den Gedanken nicht ertragen können.“
Die Bedrohung ist so stark, dass es sogar einen gebräuchlichen Begriff gibt, mit dem Zeugen, die austreten wollen, es aber nicht tun, ihre Situation beschreiben: „PIMO“. Es bedeutet „Physically In, Mentally Out“ und bezieht sich auf diejenigen, die in der Religion bleiben und vorgeben zu glauben, um ihre Familien nicht zu verlieren.
So beschreibt sich Naomi* selbst.
Sie ist derzeit Mitglied einer Gemeinde auf der Nordinsel.
*Ihr richtiger Name und ihre Gemeinde werden nicht genannt, um ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen zu schützen.
Naomi sagt, sie wolle die Gemeinschaft verlassen, aber sie wolle nicht geächtet werden. Sie war seit Monaten nicht mehr in einer Versammlung und erhält nun täglich Anrufe, mehrere SMS und Besuche von Gemeindemitgliedern, die sich nach ihr erkundigen wollen.
„Ich weiß, dass sie aus Liebe zu mir kommen… sie sagen, dass sie sich Sorgen um mich machen oder dass sie an mich denken und nicht wollen, dass ich Jehova verlasse.“
„Aber ich kann verstehen, warum die Leute einen Brief schreiben, um sich selbst auszuschliessen, weil ich belästigt werde und es stressig ist. Ich möchte nur, dass sie mich in Ruhe lassen.“
Naomi möchte sich nicht offiziell von der Religion distanzieren, weil sie ihre Familie nicht verlieren möchte. Sie weiß auch, wie schädlich die Ächtung sein kann. Sie glaubt, dass ihr 19-jähriger Bruder sich selbst umgebracht hat, weil er Angst hatte, ausgeschlossen zu werden.
Er beging Selbstmord, wenige Tage bevor er vor einem „Rechtskomitee“ der Ältesten erscheinen sollte, weil er zu viel Alkohol getrunken und Horrorfilme gesehen hatte.
„Er hatte Angst vor den Konsequenzen und davor, in Schwierigkeiten zu geraten. Meine Mutter und mein Vater waren in ihrer Kindheit sehr überzeugte Zeugen Jehovas, man musste schon tot sein, um ein Treffen zu verpassen.“
„Zu diesem Zeitpunkt rauchte er bereits Zigaretten, was ein großes Tabu war, und die Ältesten wussten nichts davon. Mein Bruder hätte sich also in die Hose gemacht, wenn er vor dem Gericht gestanden hätte.“
Danny de Hek kennt dieses Gefühl. Mit 23 Jahren wurde er wegen vorehelichen Geschlechtsverkehrs aus der Kirche ausgeschlossen. In seiner Verzweiflung, wieder aufgenommen zu werden, saß er schluchzend ganz hinten in seinem Königreichssaal in Christchurch.
„Ich verbrachte vier Monate damit, dreimal pro Woche in den Königreichssaal zu gehen. Bei jedem Treffen saß ich hinten und heulte mir die Augen aus dem Kopf, weil ich mich so sehr darüber schämte, was ich verloren hatte“, sagt er.
Er wurde gemieden und niemand in der Gemeinde wollte mit ihm sprechen. Nach vier Monaten wurde er wieder aufgenommen, nur um ein Jahr später erneut ausgeschlossen zu werden, weil er erneut vorehelichen Sex hatte. Und wieder verbrachte er Monate mit dem Versuch, wieder aufgenommen zu werden.
Und warum?
„Weil ich alles verloren habe. Und die Einsamkeit. Sie verhandeln mit deiner Familie und deinen Freunden“, sagt Danny.
Seine Mutter weigerte sich, mit ihm zu kommunizieren, als er ausgeschlossen wurde, und er verlor sein Geschäft, weil sein Geschäftspartner ebenfalls ein Zeuge war.
„Ich habe auch alle verloren, mit denen ich aufgewachsen bin, weil uns gesagt wurde, wir dürften nie zum Sport gehen, nie in einen Verein eintreten, nie etwas mit der Welt zu tun haben.“
Mit 25 Jahren versuchte de Hek schließlich nicht mehr, in die Organisation zurückzukehren. Dreißig Jahre später hat er immer noch keinen Kontakt zu seiner Mutter und sagt, er habe Selbstmordgedanken gehabt und unter extremer Einsamkeit gelitten, als Folge seines Ausschlusses.
„Die letzten Worte meiner Mutter, als ich zur Tür hinausging, waren:
‚Ich liebe Jehova mehr als dich‘.“
Eine kleine Studie über ehemalige Zeugen Jehovas, die Anfang dieses Jahres in der Fachzeitschrift „Pastoral Psychologie“ veröffentlicht wurde, legt nahe, dass sich die Ächtung „langfristig nachteilig auf die psychische Gesundheit, die beruflichen Möglichkeiten und die Lebenszufriedenheit“ auswirkt. In der Studie werden mehrere Fälle von Menschen angeführt, die in den Selbstmord getrieben wurden, nachdem sie gemieden wurden.
Der australische Zweig der Zeugen Jehovas, der um eine Stellungnahme zu der Studie gebeten wurde, sagt, dass ihm „keine empirischen oder sonstigen Beweise“ bekannt sind, die die Behauptung stützen, dass der Ausschluss aus der Gemeinschaft oder die Meidung zu Selbstmord führen kann.
„Wir weisen die Behauptung kategorisch zurück, dass die biblisch begründete Praxis des Ausschlusses von der Gemeinschaft Menschen dazu bringt, Selbstmord zu begehen“, sagt Sprecher Tom Pecipajkovski in einer Erklärung.
Er sagt, dass Ex-Mitglieder, die als „Apostaten“ [Abtrünnige – Anm. JZ Help] bekannt sind, keine verlässlichen Informationsquellen sind und zitiert das Zentrum für Studien über neue Religionen, Massimo Introvigne, der auf seiner Website Bitter Winter schreibt, dass Medien und Gerichte „gut daran täten, zu bedenken, dass Apostaten nicht repräsentativ für das größere Universum der Ex-Mitglieder neuer religiöser Bewegungen sind.“
„Die Annahme, dass das, was die Apostaten berichten, ‚die Wahrheit‘ über eine neue religiöse Bewegung ist, wäre vergleichbar mit der Beurteilung des moralischen Charakters einer geschiedenen Person auf der Grundlage des Zeugnisses eines verärgerten Ex-Ehepartners oder der Wahrnehmung dessen, worum es in der katholischen Kirche geht, auf der Grundlage des alleinigen Zeugnisses verärgerter Ex-Priester“, schreibt Introvigne.
Pecipajkovski sagt, dass sich die Zeugen Jehovas „entschieden gegen jede Andeutung wehren, dass die Praxis des Ausschlusses schädlich ist“.
Der amerikanische Berater für psychische Gesundheit und Sektenexperte Steven Hassan ist da anderer Meinung.
Er ist der Meinung, dass die Ächtung und die strengen Regeln der Religion, wie man sich zu verhalten hat, wie man sich zu kleiden hat und mit wem man verkehren darf, die Kennzeichen einer Sekte sind. Seiner Meinung nach passt die Religion in den „schlimmsten Teil“ seines „BITE“-Modells der autoritären Kontrolle. BITE steht für „Behaviour, Information, Thought and Emotional Control“ (Verhaltens-, Informations-, Gedanken- und Gefühlskontrolle), und das Modell wird verwendet, um zu analysieren, wie kontrollierend eine Gruppe oder Organisation ist.
Diesem Kontinuum zufolge lassen gesunde Organisationen am einen Ende freies Denken zu, fördern Authentizität und ziehen die Führungskräfte zur Rechenschaft. Am anderen Ende schaffen schädliche Organisationen Abhängigkeit und Gehorsam, und ihre Leitenden haben absolute Autorität.
Die Konsequenz eines Lebens unter solch autoritärer Kontrolle ist, dass die Anhänger und Anhängerinnen sich der Ächtung fügen, auch wenn dies verheerende Auswirkungen hat, sagt Hassan.
„Psychologinnen und Psycholgen nennen das eine dissoziative Störung. Man ist so sehr von seinen eigenen Gedanken, Gefühlen und seinem Gewissen abgeschnitten, dass man nur noch das tut, was die Gruppe für richtig hält.“
Sara Rahmani, Dozentin für Religionswissenschaften an der Victoria University of Wellington, ist nicht der Meinung, dass das Wort „Sekte“ auf die Zeugen Jehovas zutrifft, sagt aber, dass die Ächtung zweifellos ein „äußerst schmerzhafter Prozess“ für Anhänger sein kann, die die Religion verlassen, unabhängig davon, ob sie ausgeschlossen werden oder freiwillig gehen. „Man kann Trauer empfinden, Einsamkeit, Schuldgefühle, Verzweiflung, all diese Emotionen“.
Rahmani, die die Erfahrungen von Menschen beim Verlassen von Religionen untersucht, sagt, dass es bei dieser Praxis darum geht, die Schuld und die emotionale Belastung auf die Person zu schieben, die die Religion verlässt.
„Die Meidung ist eine Möglichkeit, die Erzählung zu kontrollieren“, sagt Rahmani. „Sie sagen zum Beispiel, dass diese Person gegangen ist, weil sie böse ist, weil sie eine Sünderin bzw. ein Sünder ist. Es ist ein ziemlich strategischer und manipulativer Versuch, diese harte Insider-Outsider-Grenze zu schaffen. Entweder man ist drin oder man ist draußen.“
„Es soll auch eine Botschaft an die bestehenden Mitglieder senden und die Verbreitung kontroverser Verhaltensweisen verhindern.“
Die Angst, gemieden zu werden, spielt auch mit den grundlegenden Instinkten des Menschen und der Furcht, aus der Gruppe ausgestoßen zu werden, sagt Marlene Winell.
Sie bezeichnet diese Praxis als „massiv grausam“.
„Wir wollen von unseren Eltern, von unserer Familie akzeptiert und geliebt werden. Man muss sich das einmal evolutionär vorstellen, wir sind Stammesmenschen. Die Vorstellung, isoliert zu sein, die Vorstellung, allein zu sein, aus der Höhle, aus dem Stamm herausgeschmissen zu werden, ist das Erschreckendste.“
Winell prägte in den 1990er Jahren den Begriff „Religiöses Trauma-Syndrom“ (RTS), um den emotionalen und körperlichen Schaden zu beschreiben, den eine Religion mit hoher Kontrolle, wie die Zeugen Jehovas, anrichten kann. Obwohl es sich nicht um eine offizielle Diagnose im psychiatrischen Handbuch DSM-5 handelt, sagt sie, dass die Symptome des RTS denen der Posttraumatischen Belastungsstörung ähnlich sind.
„Religion kann wirklich definieren, wer man ist… und dann ist es, als würde einem der Teppich unter den Füßen weggezogen. Man fühlt sich ziemlich verloren“, sagt Winell.
Ein kleines Mädchen sitzt auf der Couch zwischen ihren Eltern und blättert in einem Fotoalbum. „Ich habe eine Frage“, sagt sie zu ihrem Vater, „wie wird man getauft?“
Es handelt sich um die neueste Folge der Zeichentrickserie der Zeugen Jehovas für Kinder, Philip und Sophia. „Du kannst so jung sein wie deine Mutter“, erklärt Sophias Vater. „Wichtig ist nur, dass du Jehova liebst.“
Die Folge löst bei ehemaligen Zeugen im Internet Empörung aus. Sie sagen, dass der Druck, sich taufen zu lassen – wodurch ein Kind ein offizielles Mitglied der Religion wird und dem Ausschluss aus der Gemeinschaft und der Ächtung ausgesetzt ist – unmoralisch ist und zu früh beginnt.
Cassie Dean und Brad Miller stimmen dem zu. Cassie bedauert, dass sie dem Druck nachgegeben hat und sich mit 13 Jahren taufen ließ. „Ich hatte definitiv meine Zweifel, aber es war das Einzige, was meine Eltern stolz auf mich machen würde“, sagt Cassie. „Jetzt werde ich dafür bestraft, dass ich diese Entscheidung mit 13 Jahren getroffen habe, um sie glücklich zu machen. Jetzt bin ich ausgeschlossen, ich habe keine Beziehung zu meinen Eltern wegen dieser Entscheidung, die ich getroffen habe… diesem Vertrag, den ich unterschrieben habe.“
Cassie ist der Meinung, dass sich Kinder unter 18 Jahren nicht taufen lassen sollten.
Brad, der mit 10 Jahren getauft wurde, stimmt dem zu. „Ich denke, es ist gefährlich, Kinder in diesem Alter zu einer solchen Verpflichtung zu bewegen, weil sie die Konsequenzen nicht verstehen können.“
Er sagt, die Angst vor dem drohenden Armageddon werde von den Gläubigen benutzt, um die Menschen davon abzuhalten, die Gemeinschaft zu verlassen, und sie dazu zu bringen, sich taufen zu lassen.
„Denn sie glauben, dass nur die Getauften überleben und ins Paradies kommen werden. Das ist der Grund, warum kleine Kinder ermutigt werden, sich taufen zu lassen, damit sie Armageddon überleben“.
Brad weiß jedoch, dass es unwahrscheinlich ist, dass eine Altersgrenze für die Taufe jemals von der Kirche angenommen oder ihr aufgezwungen wird. Juliet Chevalier-Watts, eine Dozentin für Rechtswissenschaften an der Universität Waikato, stimmt ihm zu.
Watts, die sich auf Religion und Recht spezialisiert hat, sagt, die Frage sei, ob ein Kind in der Lage sei, eine rationale Entscheidung zu treffen, und die Rechtsprechung zeige, dass es kein festes Alter für einen solchen Test gebe.
„Einige 10-jährige Kinder sind durchaus in der Lage, zu verstehen, was von ihnen verlangt wird oder was mit ihnen geschieht, während dies bei 16-Jährigen nicht der Fall ist“, sagt Chevalier-Watts.
„Es gab eine Reihe von Fällen im Zusammenhang mit elterlichen Anordnungen, in denen Eltern ihre Kinder daran hindern wollten, sich einem bestimmten Glauben anzuschließen oder sich taufen zu lassen, und die Gerichte in Neuseeland haben das Kind für mündig befunden und gesagt: ‚Wir können Ihr Kind nicht daran hindern, diesem Wunsch nachzuleben.'“
Der Sprecher der Religionsgemeinschaft, Pecipajkovski, sagt, dass die Anhängerinnen und Anhänger getauft werden, wenn sie alt genug sind, um zu verstehen, was die Bibel lehrt. „Deshalb taufen die Zeugen Jehovas keine Säuglinge, wie es viele Religionen tun“, sagt er. „Wir wehren uns entschieden gegen die Behauptung, dass irgendjemand, auch Minderjährige, unter Druck gesetzt oder gezwungen werden, sich taufen zu lassen.“
„Wir glauben, dass diejenigen, die Gott anbeten, dies freiwillig und von Herzen tun müssen, sonst ist diese Anbetung ungültig. Das gilt auch für Kinder, deren Eltern Zeugen Jehovas sind.“
„Während sie heranwachsen, müssen sie eine persönliche Entscheidung treffen, ob sie lernen, akzeptieren und anwenden wollen, was die Bibel lehrt, bevor sie sich für die Taufe qualifizieren können.“
Lisa* war nicht einmal getauft, wurde aber trotzdem von ihrer Mutter, einer Zeugin Jehovas, gemieden, als sie entdeckte, dass sie einen Freund hatte. „Sie behandelte mich, als wäre ich eine getaufte Zeugin“, sagt Lisa.
Im Alter von 17 Jahren wurde sie von zu Hause weggeschickt.
Fünf Jahre später ist ihr Freund jetzt ihr Ehemann und sie leben in einer anderen Stadt. Zu ihrer Mutter hat sie keinen Kontakt, und sie macht sich Sorgen, dass die jüngere Schwester, die sie zurückgelassen hat, sich unter Druck gesetzt fühlen könnte, sich taufen zu lassen.
„Es gibt viele Kinder, denen es einfach aufgezwungen wird, sie haben nicht wirklich eine Wahl. Sie haben mit mir und meinen Schwestern offen darüber gesprochen, dass sie das lieber nicht tun würden.“
Auch Lisa wünscht sich ein Ende der Ächtung.
„Das könnte ich meiner Tochter nie antun. Meidung ist einfach so unnötig. Es bricht vielen Menschen das Herz.“
Ehemalige Zeugen behaupten, dass die Ächtung eine Verletzung der Menschenrechte darstellt, aber diese Klage war vor ausländischen Gerichten – mit Ausnahme eines einzigen – nicht sehr erfolgreich und wurde in Neuseeland nie geprüft.
Gerichte in mehreren Ländern haben entschieden, dass das Lehren und Praktizieren von Ächtung zwar möglicherweise schädlich ist, aber entweder durch die Religionsfreiheit geschützt ist oder dass es nicht Sache der Gerichte ist, sich in religiöse Angelegenheiten einzumischen.
Norwegen ist das einzige Land, das den Schaden anerkennt, den die Praxis der Ächtung der Zeugen Jehovas verursacht. Letztes Jahr wurde der Religion in diesem Land wegen dieser Angelegenheit die offizielle Registrierung entzogen.
Zwar steht es den Menschen in Norwegen immer noch frei, die Religion zu praktizieren, doch der Verlust der offiziellen Registrierung ist ein großer Einschnitt, sagt der ehemalige norwegische Zeuge und heutige Aktivist Jan Frode Nilsen. „Es hindert sie daran, jedes Jahr etwa 17 Millionen norwegische Kronen (2,6 Millionen Dollar) an staatlichen Zuschüssen zu erhalten, und hindert die Religion daran, legale Trauungen durchzuführen.“
Die Zeugen Jehovas haben gegen das Urteil Berufung eingelegt, und es wird erwartet, dass der Fall im Januar verhandelt wird.
Die norwegische Regierung ist der Ansicht, dass die von den Zeugen Jehovas praktizierte Ächtung einen Verstoß gegen die Gesetze des Landes zur Religionsfreiheit darstellt, und ist besonders besorgt über die Auswirkungen auf Minderjährige.
Der ehemalige Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Paulo Pinto de Albuquerque, argumentiert jedoch in einem Papier vom Juni, dass Norwegen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen hat und nicht umgekehrt.
„Ich bin der festen Überzeugung, dass die Regierung diese fundamentale Grenze tatsächlich überschritten hat, da die drei angefochtenen Verwaltungsentscheidungen eine Form der direkten Diskriminierung darstellen, die auf einem der grundlegenden religiösen Prinzipien der Zeugen Jehovas und damit auf einem identifizierbaren Merkmal der betroffenen Gemeinschaft, ihrer Religion, beruht, das durch Artikel 14 der EMRK geschützt ist“, schreibt er.
Ehemalige Zeugen, mit denen die RNZ hierzulande gesprochen hat, würden es gerne sehen, wenn Neuseeland dem Beispiel Norwegens folgen würde, aber Chevalier-Watts sagt, dass die beiden Länder unterschiedliche Gesetze und Rechtssysteme haben, so dass es „keine klare Antwort“ darauf gibt, ob dies geschehen könnte.
„Es gibt eine Reihe von Gesetzen in Neuseeland, die in die eine oder andere Richtung in Konflikt geraten könnten“, sagt sie.
Die neuseeländische Bill of Rights [Der New Zealand Bill of Rights Act 1990 ist ein Gesetz, das die Menschenrechte und Grundrechte in Neuseeland bestätigen, schützen und fördern soll Anm. JZ Help] ermöglicht es jeder Person, ihre Religion oder Weltanschauung zu bekunden, und gewährt Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, während das Menschenrechtsgesetz verbietet, dass religiöse Überzeugungen ein Grund für Diskriminierung sind. In der Bill of Rights ist auch das Recht verankert, nicht gefoltert, grausam behandelt oder erniedrigend oder unverhältnismäßig hart behandelt oder bestraft zu werden.
„Man hat also das Recht, seinen Gottesdienst, seine Religion oder seinen Glauben auszuüben, aber auch das Recht, nicht gefoltert oder grausam behandelt zu werden.“
„Aber dann muss man definieren, was man unter Folter oder grausamer Behandlung oder erniedrigender oder schwerer Bestrafung versteht, aber gleichzeitig muss man auch berücksichtigen, was mit unverhältnismäßig schwerer Behandlung oder Bestrafung gemeint ist. Wenn also eine Religion oder ein Glaubenssystem eine Methode hat, ihre Mitglieder auf irgendeine Weise zu „bestrafen“, ist das dann unverhältnismäßig im Hinblick auf ihren besonderen Glauben? Oder zur gesellschaftlichen Moral unseres Landes?“
Obwohl das Argument in Neuseeland noch nicht getestet wurde, glaubt Chevalier-Watts, dass es schwer zu beweisen sein könnte.
„Denn es gibt ein fest verankertes Recht auf eine religiöse Überzeugung, die in keiner Weise beeinträchtigt werden darf.“
Es sei denn, es gäbe eine Gesetzesänderung, die das Ächten illegal macht, so wie die Konversionstherapie im letzten Jahr illegal gemacht wurde, aber damit könnte man in ein Wespennest stechen, meint sie.
„Wenn man eine Religion verurteilt, muss man über alle Religionen urteilen, und viele Religionen haben Praktiken, die Menschen außerhalb dieser Religionen möglicherweise als unangenehm empfinden würden. Katholiken, die Amish, einige Muslime, Scientology und die Kirche der Heiligen der Letzten Tage haben alle irgendeine Form von dem, was wir möglicherweise als Ächtung bezeichnen könnten.“
Der Menschenrechtsanwalt Tony Ellis stimmt zu, dass Fälle des Common Law in den USA, Kanada und Großbritannien zeigen, dass die Gerichte „sehr, sehr zurückhaltend sind, wenn es darum geht, in das Recht auf Religionsausübung einzugreifen, denn wo könnte es als nächstes hinführen?“
Er sagt jedoch, dass die spezielle Formulierung im Bill of Rights Act, die es jeder Person erlaubt, ihre Religion „in Gemeinschaft mit anderen“ zu praktizieren, dazu führen könnte, dass „die Möglichkeit besteht, dies zu nutzen, um zu argumentieren, dass die Ächtung ungesetzlich ist“.
Ehemalige Zeugen Jehovas fragen sich auch, wie die Religionsgemeinschaft als Wohltätigkeitsorganisation registriert werden kann – mit all ihren steuerfreien Vorteilen -, wenn ihre Ächtungspraktiken und eine Geschichte des Verschweigens von Kindesmissbrauch so viel Schaden angerichtet haben.
Auch hier ist das Gesetz in Neuseeland noch nicht auf die Probe gestellt worden, sagt Chevalier-Watts.
Die Kirchen können registriert werden, weil sie „die Religion fördern“. Die Charities Services und das Independent Charities Services Board erhielten 2017 eine Beschwerde über die Praxis des „Shunnings“ [Ächtung – Anm. JZ Help] der Zeugen Jehovas, untersuchten diese aber nicht.
„Die Charities Services konzentrieren ihre Ressourcen auf schweres Fehlverhalten, Angelegenheiten mit hohem Risiko und Angelegenheiten, die sich darauf auswirken können, ob eine Wohltätigkeitsorganisation weiterhin für die Registrierung in Frage kommt. Die in der Beschwerde aufgeworfenen Fragen fielen nicht in diese Bereiche“, sagt Charlotte Stanley, Generaldirektorin der Abteilung für Wohltätigkeitsorganisationen bei Internal Affairs.
Hassan vertritt die Auffassung, dass die Wohltätigkeits- und Menschenrechtsgesetze mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen über den von einigen Religionen verursachten Schaden Schritt halten müssen.
In seiner Doktorarbeit aus dem Jahr 2020 argumentiert er, dass sein BITE-Modell der autoritären Kontrolle als Rahmen für das Rechtssystem verwendet werden könnte, um zu erkennen, was „unethisch oder unzulässige Beeinflussung ist, wenn es um Bewusstseinskontrolle und Gehirnwäsche“ durch bestimmte Organisationen geht.
„Es ist ähnlich wie bei der körperlichen Züchtigung. Aus bildgebenden Untersuchungen des Gehirns wissen wir heute, dass die Gehirne von Kindern und ihre Entwicklung durch körperliche Züchtigung geschädigt werden. Sie ist in vielen zivilisierten Ländern illegal, weil wir wissen, dass sie Schaden anrichtet.“
„Nur weil etwas vor 1000 Jahren im Alten Testament gelehrt wurde, sollten wir es nicht zulassen, wenn wir wissen, dass es den Menschen schadet.“
„Wenn es um unzulässige Beeinflussung geht, denke ich, dass dies von Seiten der Gesetzgebung überdacht werden muss.“
„Anstatt die Menschenrechte zu verletzen, halten die Zeugen Jehovas sie aufrecht und respektieren sie“, sagt der Sprecher der Organisation Pecipajkovski. „Das liegt daran, dass internationale Menschenrechtserklärungen und -pakte, die Gedanken- und Religionsfreiheit schützen und das Recht auf Vereinigung garantieren, was auch die Entscheidung einschließt, sich nicht mit anderen zusammenzuschließen“, so Pecipajkovski.
„Dies ist eine Ausübung der Menschenrechte“, sagt er.
„Es ist wirklich nichts Besonderes, dass die Zeugen Jehovas ein religiöses Verfahren zum Ausschluss von Anhängerinnen und Anhängern haben, die reuelos eine schwere Sünde begehen, wie Ehebruch, Alkohol- und Drogenmissbrauch, häusliche oder andere Gewalt oder Diebstahl.“
„Auch Berufsverbände wie Anwälte und Ärzte haben vorgeschriebene Standards, die Mitglieder erfüllen müssen, und die Nichterfüllung dieser Standards kann dazu führen, dass die Person als Mitglied ausgeschlossen wird.“
„Es ist eine Tatsache, dass ein großer Prozentsatz der Familien in der modernen Gesellschaft beschließt, den Kontakt zu einem Familienmitglied aufgrund eines ‚Wertekonflikts‘, der in den meisten Fällen nichts mit religiösen Überzeugungen zu tun hat, vollständig abzubrechen.“
„Im Gegensatz dazu ist der Ausschluss eines Zeugen Jehovas in der Regel nur von relativ kurzer Dauer. Darüber hinaus ist eine ausgeschlossene (oder getrennte) Person willkommen, an unseren Gottesdiensten teilzunehmen, dort gemeinsam religiöse Lieder zu singen, religiöse Veröffentlichungen zu erhalten und sich mit den Ältesten zu treffen, um seelsorgerische Hilfe zu erhalten.“
„Wenn die betreffende Person Reue zeigt, kann sie beantragen, wieder als Zeuge Jehovas aufgenommen zu werden. Viele, die ausgeschlossen wurden oder sich von den Zeugen Jehovas distanziert haben, wurden später wieder aufgenommen und gaben an, dass der Ausschluss ihnen geholfen hat, ihre Beziehung zu Gott wiederherzustellen.“
Brad und Cassie sagen, dass sie niemals zur Religion zurückkehren werden und sich stattdessen darauf konzentrieren, ihr neues Leben „draußen“ neu aufzubauen. Nach einem holprigen Start sieht der Weg, der vor ihnen liegt, für beide ein wenig besser aus.
Sie sind dankbar, dass sie einander haben, und haben hart daran gearbeitet, eine neue Familie von Freunden aufzubauen, die sie unterstützen. Cassie hat eine Karriere in der Lebensmittelbranche, die sie liebt, und Brad macht seinen Highschool-Abschluss, während er im Gastgewerbe arbeitet, in der Hoffnung, nächstes Jahr ein Studium zu beginnen.
„Es wird von Tag zu Tag einfacher, und ich fange an, Freunde zu finden“, sagt Brad, „ich habe erkannt, dass mir die Welt zu Füßen liegt. Meine Einstellung hat sich von Angst zu Begeisterung gewandelt.“
Aber der Schmerz über den Verlust seiner Familie wegen der Religion verblasst nie.
„“Wenn etwas Gutes oder auch etwas Schlimmes passiert und man die Menschen, an die man sich normalerweise wendet, anruft, in der Art: ‚Ich werde es Mama oder Papa erzählen‘, dann denke ich: ‚Oh, warte, ich kann nicht‘.“
„Ich weiß, dass ich draußen besser dran bin, aber das tut trotzdem weh.“
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