
Online-Artikel in der RNZ – Radio New Zealand vom 14.08.2023
Von Anusha Bradley
Übersetzt von JZ Help
Die Zeugen Jehovas haben eine Reihe von Pädosexuellen in ihren Reihen, von denen die meisten Menschen in der Kirche nichts wissen.
(Anm. JZ Help: Pädosexualität bezeichnet ein strafbares Verhalten, Pädophilie eine sexuelle Ausrichtung. Aus diesem Grund wird von Pädosexuellen und nicht wie im englischen Artikel von Pädophilen gesprochen.)
Eine RNZ-Untersuchung hat ergeben, dass 11 aktive Zeugen Jehovas wegen sexuellen Kindesmissbrauchs verurteilt sind oder schwerwiegende Anschuldigungen gegen sie erhoben wurden. Die meisten Mitglieder der Religionsgemeinschaft scheinen keine Ahnung zu haben, wer die Täter sind.
(Anm. JZ Help: In Neuseeland gibt es ein sog. Child Sex Offender Register. Verurteilte Täter oder Täterinnen können darin für einen definierten Zeitraum auch nach Verbüßen der Strafe aufgeführt werden.)
Die Identität der Männer und die Gemeinden, denen sie angehören, werden von der RNZ nicht genannt, um die Opfer zu schützen. In allen Fällen hat die RNZ entweder mit dem Opfer oder einem nahen Familienmitglied gesprochen oder Unterlagen der Zeugen Jehovas eingesehen, die die Verurteilungen oder Geständnisse des Missbrauchs bestätigen.
Aus den Berichten der RNZ geht hervor, dass die meisten Mitglieder der Gemeinden, die die Männer derzeit besuchen, keine Ahnung von deren Verurteilungen oder Geständnissen haben bzw. von den Anschuldigungen ihnen gegenüber wissen.
Vier der Männer haben wegen ihrer Straftaten, die vom Besitz von Kinderpornografie bis hin zu Übergriffen auf ein Kind reichen, im Gefängnis gesessen. Gegen sechs weitere Männer wurden schwere Vorwürfe erhoben, darunter Vergewaltigung inzestuöser Art, Kindesmissbrauch, sexuelle Belästigung einer Minderjährigen und Geschlechtsverkehr mit einer Minderjährigen. Die mutmaßlichen Opfer geben an, dass die Kirchenältesten – vergleichbar mit einem Priester oder Pfarrer – von den Vorwürfen wussten, dennoch wurde keiner der mutmaßlichen Täter jemals bei der Polizei angezeigt.
Zwei der beschuldigten Männer sind inzwischen selbst Älteste oder Dienstamtgehilfen, d.h. Ältester in Ausbildung, geworden.
Die Zeugen Jehovas Australasia, die für die neuseeländischen Gemeinden zuständig sind, antworteten nicht auf die Fragen der RNZ, erklärten aber in einer Stellungnahme, dass sie Kindesmissbrauch verabscheuen und als Verbrechen betrachten.
„In allen Fällen haben die Opfer (und ihre Eltern, wenn sie minderjährig sind) das Recht, den Vorwurf des Kindesmissbrauchs bei den Behörden anzuzeigen. Daher werden die Opfer, ihre Eltern oder andere Personen, die den Ältesten eine solche Anschuldigung melden, von den Ältesten klar darüber informiert, dass sie das Recht haben, die Angelegenheit den Behörden zu melden. Die Ältesten kritisieren niemanden, der sich dazu entschließt, eine solche Anzeige zu machen“, sagte der Sprecher der Kirche, Tom Pecipajkovski.
In Neuseeland gibt es etwa 20.000 Anhänger und Anhängerinnen der Religion der Zeugen Jehovas, die sich auf etwa 170 Gemeinden verteilen. Die Anhängerinnen und Anhänger dieses christlichen Glaubens verehren Jehova als Gott und glauben, dass wir in den letzten Tagen vor dem Ende der Menschheit, wie wir sie heute kennen, leben. Ein Leitungsgremium von neun Männern in New York gibt der Kirche weltweit „die Richtung vor“.
Ich habe nach ihm gesucht und war entsetzt
Ein derzeitiges Mitglied einer Gemeinde auf der Südinsel sagte, sie fühle sich nicht mehr sicher, wenn sie an Kirchentreffen teilnehme, nachdem sie vor einigen Monaten erfahren habe, dass ein verurteilter Pädosexueller ein aktives Mitglied sei.
Janet*, die in die Religion hineingeboren wurde, war nach dem Umzug in eine andere Stadt neu in der Gemeinde.
Sie sagte, sie habe erst von der Vergangenheit des Mannes erfahren, als eine enge Freundin, die wusste, dass Janet als Kind von einem anderen Kirchenmitglied belästigt worden war, sie darauf aufmerksam machte.
„Ich habe recherchiert und war entsetzt“, sagte Janet.
Der Mann hatte einige Zeit im Gefängnis verbracht, weil er ein junges Mädchen aus seiner früheren Gemeinde sexuell missbraucht hatte. Nach seiner Verurteilung wurde er exkommuniziert, ist aber inzwischen wieder in die Kirche eingetreten.
Der Name des Pädosexuellen, Janets richtiger Name und die Gemeinde, die beide besuchen, werden nicht genannt, um Janet zu schützen, die befürchtet, aus der Kirche ausgeschlossen und geächtet zu werden.
Sie äußerte sich jedoch, weil sie es für falsch hielt, dass die meisten Gemeindemitglieder nichts von der Vergangenheit des Mannes wussten.
„Es gibt kleine Kinder in der Gemeinde, und ich habe ein Kind“.
Letzten Monat sprach sie ihre Bedenken gegenüber zwei Ältesten an, die sie fragten, warum sie nicht mehr zu den Versammlungen komme.
„Ich sagte ihnen, dass ich bei dem Gedanken, zur Versammlung zu gehen, körperlich zittere. Es macht mich körperlich krank. Ich sagte, dass die Treffen ein Zufluchtsort sein sollten.“
Die Ältesten bestanden darauf, dass die Treffen ein sicherer Ort seien und zitierten Bibelstellen, wonach sie dem Mann vergeben müsse, sagte sie. „Sie sagten mir, dass er das Richtige tue und dass er jedes Recht habe, an den Treffen teilzunehmen, und dass ich meinen Glauben verloren hätte, weil ich nicht an den Treffen teilgenommen hätte.“
„Ich fühlte mich sehr unbehaglich und schutzlos.“
Janet sagte, die Ältesten hätten ihr gesagt, dass der Rest der Gemeinde nur dann von der Vergangenheit des Mannes erfahren würde, wenn es notwendig sei.
„Sie sagten mir: Gehst du mit deinen Kindern einkaufen? Du weißt nicht, wer dort einkaufen geht, diese Leute sind überall“.
Es gab keine Beweise dafür, dass der Mann erneut straffällig geworden war, aber sie machte sich Sorgen, dass junge Familien in ihrer neuen Gemeinde nicht sicher sein könnten. „Jeder sollte es wissen. Würden Sie wollen, dass ein Pädosexueller an Ihre Tür klopft?“
Sie nahmen ihn mit offenen Armen auf
Ein anderer Mann, der beschuldigt wird, in den 1990er Jahren drei junge Mädchen belästigt zu haben, bekleidet heute eine leitende Position in einer Versammlung.
Der Vater der Mädchen, John*, sagte, seine älteste Tochter sei zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Übergriffe neun Jahre alt gewesen.
Der Mann war ein Verwandter, der mehrere Jahre lang bei der Familie gelebt hatte. John sagte, er habe erst einige Jahre später davon erfahren, als seine älteste Tochter ihm und seiner Frau Jane erzählte, der Mann habe sie sexuell missbraucht. Sie sprachen den Mann an und er gestand, so John. „Er musste das Haus verlassen und wir bekamen Hilfe für unsere Tochter.“
John verließ bald darauf die Kirche und trennte sich von seiner Frau, die in der Religion blieb. Der mutmaßliche Täter verließ die Kirche für mehrere Jahre, so John. „Aber schließlich kehrte er in die Kirche zurück, und sie nahmen ihn mit offenen Armen auf.“
Im Jahr 2010 schloss sich der Mann einer anderen Gemeinde an. Ein ehemaliger Ältester dieser Gemeinde, dessen Namen die RNZ nicht nennen will, sagt, er habe einen Brief aus der alten Gemeinde des Mannes gelesen, in dem seine Vergangenheit beschrieben wurde.
„In dem Brief stand, dass er Mitte der 1990er Jahre als Teenager drei Mädchen belästigt hatte. Er hatte gestanden, und die Ältesten wussten davon. In dem Brief stand, dass es einvernehmlich war. Ich weiß noch, dass ich dachte, wie kann das einvernehmlich sein? Wie können Kinder so etwas zustimmen?“
Besorgt wandten sich die Ältesten an den australischen Hauptsitz der Kirche und baten um Rat, aber man sagte ihnen, dass die Übergriffe in der Vergangenheit stattgefunden hätten und kein Problem mehr darstellten, so der ehemalige Älteste.
Das Problem habe ihn jedoch veranlasst, die Politik der Kirche in Frage zu stellen, und er sei schließlich 2013 ausgetreten, sagte er.
Der Missbrauchstäter sei nun ein Dienstamtgehilfe, behauptete er.
Einige Jahre später, so John, habe er herausgefunden, dass der Mann auch seine beiden anderen Töchter missbraucht habe, aber seine Ex-Frau habe es ihm verschwiegen.
Eine Menge Unheimlichkeiten
Eine ehemalige Zeugin sagte, dass sie von den Ältesten ihrer Gemeinde in Waikato ständig „umarmt und an wirklich unangemessenen Stellen berührt“ wurde.
„Ich weiß, dass andere Leute das sehen würden, aber sie waren höher gestellt und man stellt sie einfach nicht in Frage“, sagte Lisa*, die die Religion vor fünf Jahren verließ, als sie ein Teenager war.
„Viele der Älteren waren sehr unheimlich. Das war etwas, das mir und meinen Schwestern sehr unangenehm war. Sie kamen ganz nah an dich heran und hielten dich knapp über deinem Hintern fest und berührten dich dort, oder sie küssten dich und kamen deinen Lippen ganz nahe.“
Als ein Mann in ihrer Gemeinde anfing, sie zu verfolgen und ihr unangemessene SMS zu schicken, bat sie zwei Älteste um Hilfe, aber sie unternahmen nichts, sagte sie.
„Man hat sich einfach nicht darum gekümmert. Ich wurde einfach allein gelassen, um damit fertig zu werden. Es ist wirklich beängstigend, vor allem als junges Mädchen, wenn man um Hilfe bittet und keine kommt.“
Der Code
Brad Miller, ein ehemaliger Zeuge, der die Kirche im November 2021 verließ, sagte, dass es einen „Code“ gab, um Eltern bei Anwesenheit eines Sexualstraftäters in einer Versammlung von Gemeinden in Te Kuiti und einigen anderen zu warnen. Er wurde durch eine Durchsage übermittelt, in der die Eltern aufgefordert wurden, „ihre Kinder auf dem Gelände zu begleiten“, so Miller.
„Das hörte man ziemlich oft.“
Manchmal habe auch ein älteres Gemeindemitglied die Aufgabe, bei diesen Treffen ein Auge auf einen bekannten Sexualstraftäter zu werfen, sagte er.
Die meisten Gemeindemitglieder hätten nicht gewusst, was die Nachricht bedeutete, und er habe es nur herausgefunden, weil sein Vater und sein Großvater Älteste waren und es einmal verraten hatten.
In seiner eigenen Gemeinde habe es einen Mann gegeben, der mindestens zwei Mädchen missbraucht haben soll, was aber nie der Polizei gemeldet worden sei, so Miller. Der Mann ist inzwischen verstorben, aber als Kind erinnerte sich Miller daran, dass er zu gesellschaftlichen Anlässen in seinem Haus war.
„Wenn ich jetzt daran denke, macht es mich wütend. Dass wir in solch unsichere Situationen gebracht wurden.“
Die Zeugen Jehovas antworten
Die Kirche lehnte es ab, interviewt zu werden und beantwortete keine Fragen zu einzelnen Fällen.
„Wenn Sie Informationen haben, von denen Sie glauben, dass sie der ‚Königlichen Untersuchungskommission‘ für Missbrauch bei der Erfüllung ihres Mandats helfen, vertrauen wir darauf, dass Sie sie mit ihr teilen werden“, sagte Pecipajkovski in einer Erklärung.
„Ebenso vertrauen wir darauf, dass Sie, wenn Sie glauben, dass Gefahr besteht, dass ein Kind geschädigt wird, die Angelegenheit den Behörden melden werden.“
* Einige Namen wurden geändert, um die Sicherheit und das Wohlergehen der betroffenen Personen zu schützen.
Hier finden Sie Hilfe zum Thema sexualisierte Gewalt an Kindern.