ÜberLebensweg Maria

1. Wie bist du zu den Zeugen Jehovas gekommen? 

Meine Tante, damals eine neu getaufte Zeugin Jehovas besuchte uns eines Tages mit dem Ehepaar, mit dem sie die Bibel studiert hatte. Das war 1992, ich war 22 Jahre mein Mann 24 Jahre alt. Er war evangelisch und hatte oftmals zuvor mit meiner Tante über Glaubensfragen gesprochen. Das Angebot über biblische Themen zu sprechen, so nannten die das damals, haben wir dann angenommen. Die Heranführung an die Bibel fand ich zunächst sehr interessant ( ich komme aus einer orthodoxen Familie wo das Bibellesen keine Gewohnheit ist)  aber ich merkte nach einiger Zeit, dass ich einige Dogmen ihrer Lehren unverständlich und absurd fand. Trotzdem habe ich immer wieder Kompromisse gemacht!!! 
Das Zeugen-Ehepaar war immer sehr geduldig, fürsorglich und haben uns oft zum Essen eingeladen. Sie hatten das Alter unserer Eltern.


2. Wie hast du dein Leben, deinen Alltag in dieser Religionsgemeinschaft erlebt?
Womit hattest du am meisten zu kämpfen?

Wir fuhren 3x in der Woche regelmäßig zu den Versammlungen, die 35 Km von uns entfernt war. Wir hatten damals nur ein Auto. Wenn mein Mann Spätschicht hatte, habe ich ihn zur Arbeit gefahren um bloß keine Versammlung zu verpassen. Die Versammlungszeiten waren von 19.00 Uhr – 20.45Uhr. 
Wir brauchten für die Hin- und Rückfahrt je ca. 45 Minuten. Wir hatten dann mittlerweile zwei Kinder. Wenn ich dann doch mal eine Versammlung ausgelassen hatte, weil ich zu kaputt war und es für die Kinder einfach viel zu anstrengend war, habe ich an den Kommentaren der Verkündiger oft Unverständnis und Empathielosigkeit erkannt.
Unsere Eltern haben immer wieder versucht uns zu überzeugen, dass der Glaube der Zeugen Jehovas schlecht und gefährlich wäre; Dinge wie auf Ikonen treten und spucken, wie sie uns sagten, gab es ja dort wirklich nicht. Deswegen konnten sie uns zum Teil auch nicht überzeugen.

Wenn ich heute darüber nachdenke, frage ich mich wie ich das alles geschafft habe!


3. Wie kam es, dass du nun kein Mitglied der Zeugen Jehovas mehr bist?
Gab es ein ausschlaggebendes Ereignis?

Wir haben während der Jahre dort viel Heuchelei und Vetternwirtschaft erlebt; aber es immer begründet, dass es unvollkommene Menschen sind. Nachdem mein Mann sich für einen Bart entschloss merkten wir, dass viele Verkündiger nicht mehr so herzlich zu uns waren und sich von uns distanzierten. Wir fühlten uns ausgegrenzt und gingen ab ca. Mitte 2000 nicht mehr zu den Versammlungen, bis wir 2010 angefangen haben wieder die Versammlungen zu besuchen. Die Heuchelei und Vetternwirtschaft waren weiterhin präsent. Der Auftritt der leitenden Körperschaft auf deren Webseite gefiel mir zunehmend nicht. Die psychische Erkrankung eines Familienmitglieds, drei Selbstmorde und ein Brandanschlag in den Versammlungen, sowie die zunehmende Ächtung von Menschen sind prägende Ereignisse. Ausschlaggebend war die weltweite Vertuschung von Kindesmissbrauch durch die Zwei-Zeugen-Regel.

Wir sind als Familie komplett ausgetreten.


4. Wie stark warst du im Glauben und in der Gemeinschaft verankert? 
Wann und warum hast du begonnen zu zweifeln und deinen Glauben in Frage zu stellen?

Ich war keine überzeugte Zeugin Jehovas. Ich hatte z.B. nie eine Blutkarte noch hätte ich meine Kinder sterben lassen, wenn diese eine Bluttransfusion gebraucht hätten. Ich war und bin eine überzeugte Christin. Ich habe bei den Zeugen Jehovas keine Freunde gefunden und war in der Gemeinschaft nicht verankert, weil ich weder Pionierin war noch Frau eines Ältesten. Ich habe immer gezweifelt und meinen Glauben in Frage gestellt wie z.B.1914, gesalbte/andere Schafe, Ächtung, Verurteilung anderer Religionen…usw. Ich habe aber immer Kompromisse gemacht, weil in den anderen Religionen auch nicht alles bibelkonform ist.

5. Bist du von Ächtung betroffen? Wenn ja, in welchem Ausmaß?

Ja natürlich, kein Mensch kann die Organisation der Zeugen Jehovas verlassen ohne seine Würde und Menschen zu verlieren! Ich habe selbst Menschen verloren, die ich besonders beachtet habe. Ich habe ihnen meine Zeit und Zuwendung geschenkt, denen, die in der Versammlung schein-integriert waren. Am gleichen Abend der Ankündigung meines Namens in der Versammlung haben mich welche aus den sozialen Netzwerken gelöscht. Alle haben den Kontakt zu mir abgebrochen und grüßen mich auf der Straße nicht. Zum Glück habe ich keine Verwandten verloren, außer die besagte Tante.

6. Wie geht es dir heute? Mit welchen Auswirkungen hast du noch zu kämpfen?

Zum Glück habe ich keine Ängste. Natürlich fragt sich jeder der aus dieser Organisation  rausgeht, was wäre wenn? …ich habe mir diese Frage auch mal gestellt und festgestellt, es bringt nichts!

7. Welches Fazit ziehst du für dich persönlich aus deiner Vergangenheit?

Ich kann aus meinen Erfahrungen, aus der Zeit in der Organisation der Zeugen Jehovas, anderen Menschen die austreten helfen und Mut machen!

8. Welchen Rat möchtest du Interessierten der Glaubensgemeinschaft, bzw. bereits zweifelnden Mitgliedern mitgeben?

Lasst euch nicht irreführen. Bewahrt euch eure Kritikfähigkeit und eure Meinungsfreiheit. Ihr hattet, bevor ihr die Zeugen Jehovas kennengelernt habt, ein normales Leben mit Höhen und Tiefen. Euer Leben wird nicht besser bei den Zeugen Jehovas, es wird anders!  Eure Zweifel sind begründet und haben ihre Berechtigung! Gott hat unser Gehirn so genial erschaffen, dass wir es täglich zum Kritisieren und Meinung bilden nutzen.