ÜberLebensweg – Luisa aus München

Luisa
1. Wie bist du zu den Zeugen Jehovas gekommen?

Ich bin hineingeboren und dementsprechend von meinen Eltern sehr streng erzogen worden. Meine Eltern waren aber nicht von Anfang an bei den Zeugen Jehovas, mein Vater war katholisch, meine Mutter evangelisch. Meine Mutter war zuerst drin, als sie schon meinen großen Bruder hatte und mein Vater ist dann ein paar Jahre später dazu gekommen, dann waren sie eine Familie und dann kam ich.

2. Wie hast du dein Leben, deinen Alltag in dieser Religionsgemeinschaft erlebt?

Das ständige Bibelstudium, studieren, in den Dienst geschleppt zu werden (wortwörtlich), damals 3 x in der Woche Versammlung. Jeder Gedanke, jedes Tun, jedes Wort wurde studiert, eingraviert, unterdrückt wenn man als Kind rebelliert hat etc.
Ich hatte am meisten mit diesem Leistungsdruck zu kämpfen, der auf mir lastete, seit mein Bruder sich mit 18 Jahren selbst ausgeschlossen hatte. Ich war damals 10 und mein kleiner Bruder 5 Jahre alt. Danach musste ich diese Familie zusammenhalten, weil ja der Erstgeborene für meine Eltern gestorben war und nicht mehr mein Bruder. Ich sollte wenigstens dabeibleiben und das Vorbild sein. Das war für mich am schlimmsten. Vor allem aber hatte ich auch keine Freunde in der Versammlung und wenn doch, war es nur geheuchelt. Man predigt von Liebe aber in den eigenen Reihen gab es keine Liebe und wenn, dann nur sehr wenig. Das war für mich schlimm. Ich hatte zu Hause keine richtige Liebe. In der Versammlung suchte ich stets danach, aber habe sie nicht gefunden. Also setzte ich meine Maske auf, um zu funktionieren.

3. Wie kam es, dass du nun kein Mitglied der Zeugen Jehovas mehr bist?
Gab es ein ausschlaggebendes Ereignis?

Ja, das war bei mir ein krasser Fall, denn ich habe mit 21 Jahren brav jungfräulich geheiratet und habe dann in meinem 1. Ehejahr gemerkt, dass mit meinem Mann etwas nicht stimmte. Bis er mir gebeichtet hat, dass er sich wie eine Frau fühlt.
Das war für mich ein Schock für´s Leben und ab da ging es bergab.
Wir haben uns erst im 4. Ehejahr getraut, das Thema bei den Ältesten anzusprechen. Die sind natürlich aus allen Wolken gefallen. Das „Problem“ ging bis nach Bethel [Zweigbüro Zentraleuropa der Zeugen Jehovas in Selters/Taunus. Anm. JZ Help], sowie bis nach Amerika [Weltzentrale der Zeugen Jehovas in New York. Anm. JZ Help]. Wir haben das Ganze Hin und Her bis zum 7. Ehejahr ausgehalten, bis dann endlich die Entscheidung von den Männern von ganz oben getroffen wurde.
Tja, das war dann auch das Urteil, dass ich für immer an ihn gebunden wäre. Nur der Tod könnte mich legal von ihm vor Jehova scheiden lassen. Er kann sich ausschließen und alles tun, nur ich wäre weiterhin an ihn gebunden.
Und das war der Moment für mich zu sagen: „So und jetzt gehe ich. Es reicht. Ich habe das 7 Jahre lang ausgehalten, habe soviel gebetet, studiert, bin in den Dienst gegangen, um dann die Antwort zu hören, dass ich mich trotzdem nicht scheiden lassen kann und an ihn gebunden wäre.“

Durch deren Angstpropaganda war ich immer eingeschüchtert, genau wie in meiner Kindheit, weil ich sollte ja wenigstens bei Jehova bleiben. Aber diesen Augenblick vergesse ich nie, als ich diese Antwort hörte und zum ersten Mal gesagt habe: Nein – nicht mit mir!
Ich bin dann gegangen, auch mit Stolz. Nichts und niemand konnte mich mehr aufhalten.
Aus dieser Sache habe ich wirklich gelernt: „Lerne vom Tisch aufzustehen, wenn du von der anderen Seite keinen Respekt mehr bekommst!“

4. Wie stark warst du im Glauben und in der Gemeinschaft verankert?
Wann und warum hast du begonnen zu zweifeln und deinen Glauben in Frage zu stellen?

Ziemlich stark, meine Eltern waren ja sehr streng. Nach der Sache mit meinem Bruder noch mehr, weil sie mich nicht verlieren wollten. Von anderen Familien her gesehen hatte ich es noch ziemlich gut, da gibt es schlimmere Fälle. Aber dennoch, für mich war es damals schlimm genug.

Dennoch war ich innerlich eine kleine Rebellin und das eckte natürlich bei Brüdern und Schwestern an, weil ich Dinge ansprach, die sich keiner traute zu sagen. Das war immer ein Dorn in den Augen der Ältesten.
Aber mit dieser Sache hatten alle keinen Einfluss mehr auf mich. Kein einziger Freund, sowie auch meine Mutter nicht mehr. Alle waren so schockiert, aber für mich umso klarer, wie viel Einfluss die eigentlich auf uns hatten.

Es war an der Zeit aufzuwachen!

5. Bist du von Ächtung betroffen?
a) Wenn ja, in welchem Ausmaß?

Ja voll, in vollem Maße.
Meine eigene Mutter hat zu mir zum Schluss gesagt: „Ich wünschte du wärst tot, dann könntest du ja vielleicht wieder erweckt werden, wenn Jehova dir vergibt!“
Ich werde diesen Satz nie vergessen, er schmerzt bis heute noch!!!

Vor allem habe ich keinen Fehler begangen. Ich wurde hereingelegt und musste ein Pokerface aufsetzen. In der Versammlung gute Miene zum bösen Spiel machen, weil dort mein Ehemann ein Mann war. Aber sobald wir zu Hause waren, wurde er zu einer Frau. Ich musste diese Schmach ertragen, 7 Jahre lang um dann zu erfahren, dass ich bis zu seinem Tod an diesem Urteil hängen würde.

Diejenigen, die wussten, mit was ich zu kämpfen hatte, verstanden es teilweise. Aber ihre Angst war zu groß, wenn sie Partei für mich ergreifen würden und blieben in der Sekte. Und wie immer, ganz brav, totaler Kontaktabbruch. Selbst meine engsten „Freunde“ meinten zum Schluss zu mir, dass ich da draußen nicht überleben werde, sondern am gebrochenen Herzen sterben und niemanden finden werde.
Meine Antwort dazu war: „Im Gegenteil: ich fange erst jetzt richtig an zu Leben. Meine wahren Freunde warten da draußen!“

Sie fehlen mir alle. Vor allem meine Mutter.
Wenn ich diese Leute auf der Straße sehe, wechseln sie die Seiten und es gibt kein Begrüßen – nichts. Meine Mutter hat sich mal gemeldet in den 3 Jahren, als sie von irgendwem erfahren hatte, dass ich im Krankenhaus war, mit der Botschaft, ich kann mich jederzeit bei ihr melden, wenn ich zurück kommen will – unter dieser Prämisse. Bedingte Liebe, das hatte ich in meiner Kindheit schon und jetzt als Erwachsene hat sich nichts geändert.

Mein Vater wurde ein Jahr vor meiner Hochzeit ausgeschlossen und seit ich draußen bin, haben wir wieder einen engen Kontakt, genau wie mit meinem großen Bruder. Mein kleiner Bruder hat sich nie taufen lassen, hat aber auch unserer Mutter den Rücken gekehrt und ist zu uns gekommen.
Nun sind wir wieder eine ganze Familie, nur eben ohne unsere Mutter.

b) Warum ächten dich diese Personen/Zeugen Jehovas?

Weil sie mir keinen Druck oder Angst mehr machen konnten. Nach deren Aussage war mein Glaube zu schwach und deswegen wäre ich gegangen.
Es war von ihnen persönlich, sowie von oben angeordnet – ohne Reue.
Deren Gesicht werde ich nie vergessen, als sie gesehen haben, dass ich nicht mehr unter deren Fittiche stehe.

6. Wie geht es dir heute? Mit welchen Auswirkungen hast du noch zu kämpfen?

Meine Kindheit war nicht ohne, meine Jugendzeit schlimm.
Aber das Erwachsen sein, mit der Heirat und eben diese jahrelange Demütigung, das hat mir bis heute zugesetzt.
Ich kämpfe immer noch mit den alten Mustern und Denkweisen. Ich habe nach 3 Jahren endlich eine tolle Therapeutin gefunden, die mir sehr unter die Arme greift.
Mein Dank gilt auch meinem Freund, der mir jeden Tag aufs Neue zeigt, wie eine erwachsene und gesunde Beziehung aussieht, auf Augenhöhe und voller Liebe.
Dennoch kämpfe ich bis heute mit Wut, Ängsten und totalen Vertrauensverlusten. Es fällt mir schwer, mich auf jemanden zu verlassen und 100 % zu vertrauen. Ich habe immer wieder Angstattacken, vieles triggert mich und die Wut kann unberechenbar sein.

7. Welches Fazit ziehst du für dich persönlich aus deiner Vergangenheit?

Dass Menschen absolut kein Recht haben, auf jemanden Macht auszuüben, Angst oder Drohungen auszusprechen und über dein Leben zu bestimmen. Kein Mensch kann dir vorschreiben, wie Gott es will – denn kein einziger weiß tatsächlich, wie Gott sich entscheiden wird.

8. Welchen Rat möchtest du Interessierten der Glaubensgemeinschaft, bzw. bereits zweifelnden Mitgliedern mitgeben?

Forscht nach, woher die ZJ wirklich kommen, was damals 1900 schon falsch gelaufen ist und hinterfragt alles. Denn das wollen die ZJ nicht, du sollst ja vollkommen auf die Organisation vertrauen – warum wohl?
Denn sobald du mit den richtigen Sachen argumentierst, kommen die ZJ in die Bredouille und können nur mit einer Sache antworten, wie: „Das kann nur Gott entscheiden und du musst auf Gott vertrauen“, weil sie keine Antwort mehr darauf haben oder wissen.

Sie verlangen blinden Gehorsam, egal welches Opfer du dafür leisten musst.
Kann das wahr und vor allem gesund sein?

Vor allem forscht nach, ob wirklich Liebe gelebt wird, oder nur so lange du deren Regeln befolgst?!

Schaut euch andere Sekten-Dokumentationen an. Ihr werdet erkennen, wie ähnlich die sind, weil sie alle einem einzigen Muster folgen.

Ich wünsche allen, dass sie die wirklich aufgedeckte Wahrheit von ZJ erfahren und sich richtig entscheiden – in wahrer Freiheit!


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