EGMR – Zeuge Jehovas darf Kind nicht in religiöse Aktivitäten einbeziehen

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte EGMR bestätigt im Urteil 54032/18 vom 19.05.2022 die Gerichtsentscheidung aus Italien, dass der Beschwerdeführer, ein Zeuge Jehovas, sein Kind nicht in seine religiösen Aktivitäten involvieren darf.

Zitate aus dem Urteil

Nach ihrer Trennung „brachte die Mutter vor, dass der Beschwerdeführer die Tochter ohne ihre Zustimmung zu Zusammenkünften der Zeugen Jehovas mitnahm und mit dem Kind religiöse Zeitschriften auf der Straße verteilte. Dadurch konnte die Tochter nicht an ihren Ballettstunden teilnehmen. Das Mädchen ging in einen katholischen Kindergarten und nahm in Hinblick auf ihre Erstkommunion an Unterrichtsstunden teil, in denen der Katechismus gelehrt wurde. Vor Gericht brachte die Tochter zum Ausdruck, dass sie sich unwohl dabei fühle, mit ihrem Vater zu den Gottesdiensten der Zeugen Jehovas zu gehen und lieber mehr mit ihm spielen wolle. […]

Die Sachverständige drückte aus, dass es angemessen wäre, wenn beide Eltern die Tochter nicht zu religiösen Aktivitäten drängen und ihre Entscheidung, nicht involviert zu werden, respektieren würden. Aufgrund des sozialen Kontexts, in den das Kind geboren wurde, wäre es jedoch für die Tochter schädlich, wenn sie nicht an Aktivitäten der katholischen Kirche teilnehmen dürfe, da sie katholisch getauft wurde und all ihre Freunde zu dieser Religion gehörten. Daraufhin erließ das Bezirksgericht die Anordnung, dass der Beschwerdeführer die Tochter nicht mehr in seine Religion miteinbeziehen dürfe […]

(48) Die Tatsache, dass die innerstaatlichen Gerichte den Beschwerdeführer verpflichteten, seine Tochter nicht aktiv in seine religiösen Aktivitäten einzubeziehen, schränkte seine Beziehung zu ihr nicht ernsthaft ein. Insbesondere wurde er nicht in seinem Sorge- und Besuchsrecht eingeschränkt. Die von den innerstaatlichen Gerichten angeführten Gründe zeigen, dass sie sich ausschließlich auf die Interessen des Kindes konzentrierten und […] es vor dem angenommenen Stress schützen wollten, der durch die intensiven Bemühungen des Beschwerdeführer, es in seine religiösen Aktivitäten einzubeziehen, ausgeübt wurde. In diesem Zusammenhang stellt der EGMR fest, dass die Tochter von 2009 bis 2015 […] an den Gottesdiensten der Zeugen Jehovas und gleichzeitig auch an religiösen Diskussionen und Gebeten im Haus des Beschwerdeführer teilnahm. Nach dem Bericht von des Sachverständigen kamen die innerstaatlichen Gerichte zu dem Schluss, dass die Versuche des Beschwerdeführer, die Tochter stärker in seine religiösen Aktivitäten einzubeziehen, dem Kind schaden würden […]

(51) In Anbetracht des Vorstehenden kann die Tatsache, dass die innerstaatlichen Gerichte den Beschwerdeführer verpflichteten, die Tochter nicht aktiv in seine Religionsausübung einzubeziehen, nicht als unterschiedliche Behandlung zwischen ihm und der Mutter des Kindes aufgrund seiner Religion angesehen werden […]

(58) In diesem Zusammenhang hat der EGMR außerdem klargestellt, dass in Fällen, in denen es um die Beziehung eines Elternteils zu seinem Kind geht, eine Pflicht besteht, schnell zu handeln und besondere Sorgfalt walten zu lassen, da die Gefahr besteht, dass der Zeitablauf zu einer de facto-Entscheidung […] führen kann […]

(62) Unter diesen Umständen stellt der EGMR fest, dass die Beschwerde des Beschwerdeführer offensichtlich unbegründet ist und daher […] [als unzulässig] zurückgewiesen werden muss (einstimmig).“

Weitere Informationen: Familienrechtliche Konflikte