Überlebensweg – Tabitha

Tabitha
1. Wie bist du zu den Zeugen Jehovas gekommen? 

Ich bin bei den Zeugen Jehovas aufgewachsen. Mein Vater war bzw. ist Ältester, meine Mutter Pionier und ich habe bzw. hatte drei Geschwister. Die gesamte Familie sind sehr strenge Zeugen Jehovas.

2. Wie hast du dein Leben, deinen Alltag in dieser Religionsgemeinschaft erlebt?

Ich musste immer in den Dienst, in die Versammlung, Studieren, Bibellesen alles musste ich machen. Ich hatte keine Wahl. Als Kind war es sehr schlimm in der Schule. Ich war ein Außenseiter. Kein Weihnachten, kein Ostern, kein Geburtstag. Selbst wenn man in der Schule z.B. Ostereier gemalt hat, musste ich alleine vor die Tür und die Finger wurden auf mich gerichtet. Es war auch so schlimm für mich, andere normale Familien zu sehen. Das habe ich mir immer gewünscht, einfach mal normal sein zu dürfen.


3. Wie kam es, dass du nun kein Mitglied der Zeugen Jehovas mehr bist?

Diese Religion wollte ich nie. Ich musste sie praktizieren. Und mir wurde eingebläut, dass ich nur mit dieser Sekte eine Chance auf ein Leben nach dem Tod habe. Und ich hatte Angst vor Harmagedon und dem Gericht Gottes.


4. Wie stark warst du im Glauben und in der Gemeinschaft verankert? Wann und warum hast du begonnen zu zweifeln?

Ich wollte diesen Glauben zwar nie, aber ich war von diesen Lehren überzeugt. Ich wäre gestorben für diesen Glauben oder diese Sekte. Wann das angefangen hat, weiß ich nicht. Es war ein schleichender Prozess. Ich habe jahrelang ein Doppelleben geführt, weil ich meine Familie nicht verlieren wollte Mit meinem jetzigen Mann bekam ich Abstand und habe mich mit den Lehren der ZJ beschäftigt. Und mir wurde klar, dass sie nicht die wahre Religion haben.


5. Bist du von Ächtung betroffen? Wenn ja, in welchem Ausmaß?

Ich habe meine gesamte Familie verloren. Eltern, Geschwister, Opa, Omas, Tanten, Onkel usw. Alle. Und sämtliche Freunde, die ich in dieser Religion hatte. Meine Kinder, die ich mittlerweile bekommen habe, haben meine Familie noch nie gesehen, sie kennen nicht mal ihre Namen oder ob es Jungen oder Mädchen sind.


6. Wie geht es dir heute? Mit welchen Auswirkungen hast du noch zu kämpfen?

Angst habe ich nicht mehr, weil ich jetzt an die Bibel glaube wie sie ist und nicht, wie die ZJ lehren. Ich vermisse besonders meinen ältesten Bruder und meinen Vater. Es macht mir zu schaffen, dass ich sie erst an ihrem Grab wiedersehen werde. Und dass sie nie sehen werden, was für tolle Kinder ihre Enkel, Neffen und Nichten sind.
Meine Erziehung war sehr streng und nur das Ansehen dieser Sekte stand im Vordergrund, nicht ich als Mensch oder als Kind. Darüber habe ich oft geweint. Selbst als ich mit vier Jahren missbraucht wurde von einem ZJ, hat man es für diese Organisation vertuscht. Und besonders bei meiner Mutter gab es Liebe nur aus Leistung für diese Organisation. Mit 16 Jahren stand ich vor einem Rechtskomitee der ZJ, weil ich Sex mit einem Ältesten hatte. Dafür wurde ich verurteilt. Und auch da hatte ich keine Wahl, ich musste bereuen, sonst wäre ich mit 16 Jahren ausgeschlossen worden.

7. Welches Fazit ziehst du für dich persönlich aus deiner Vergangenheit?

Dass zu all der Trauer, die ich empfand, ich jederzeit diesen Weg wieder gehen würde. Und ich es bereue, ihn nicht schon viel früher gegangen zu sein. Diese Sekte zu verlassen, war das beste in meinem Leben. Meine Kinder dürfen frei aufwachsen. Und frei ihre Religion wählen.

8. Welchen Rat möchtest du Interessierten der Glaubensgemeinschaft bzw. bereits zweifelnden Mitgliedern mitgeben?

Personen, die ein Bibelstudium mit ZJ machen, würde ich raten, dass sie die Bibel studieren sollen, aber frei und nicht mit den Zeitschriften der ZJ. Die Bibel ist ein wichtiger Bestandteil, aber lernt sie kennen, wie sie ist und nicht, wie die ZJ sie auslegen.
Für zweifelnde Mitglieder. Ich weiß wie es ist, Angst zu haben, alles zu verlieren. Sein soziales Umfeld, seine Familie. Der Weg war nicht leicht und natürlich auch mit Tränen verbunden, aber jetzt bin ich frei und glücklich. Ich darf endlich am Leben teilnehmen. Ich durfte Gott so kennen lernen, wie er wirklich ist. Ich würde immer wieder diesen Weg gehen. Und dieses Glück wünsche ich mir für dich auch. Mein Rat wäre, suche dir Menschen, Freunde außerhalb der ZJ, die dich auffangen, wenn deine Familie dir den Rücken kehrt. Aber es lohnt sich.