1. Wie bist du zu den Zeugen Jehovas gekommen?
Ich wurde in die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas hineingeboren. Beide Elternteile waren aktiv dabei. Auch meine beiden Großeltern sind bei den Zeugen Jehovas.
2. Wie hast du dein Leben, deinen Alltag in dieser Religionsgemeinschaft erlebt?
Womit hattest du am meisten zu kämpfen?
Das schlimmste für mich war, dass ich nicht ich selber sein konnte. Ich habe mich eingeengt gefühlt und musste mich verstellen. Dazu kam, dass ich von den „Weltmenschen“ gemieden und sogar gemobbt wurde aufgrund meines Glaubens. Die Erinnerungen an meine Kindheit sind eher negative als positive.
3. Wie kam es, dass du nun kein Mitglied der Zeugen Jehovas mehr bist?
Gab es ein ausschlaggebendes Ereignis?
Meine Zweifel haben angefangen, als mein Vater mich mit 16 Jahren abends rausgeworfen hat, weil seine neue Verlobte ihn vor die Wahl gestellt hat: Entweder sie oder ich. Ich war ein verzweifelter Teenager, der nur nach Hilfe, Verständnis und Geborgenheit gesucht hat nachdem sich die eigenen Eltern getrennt hatten und ich mit meinem Vater in eine neue Stadt gezogen bin. War das von Gott so vorgesehen? Der Vater darf sein Kind rauswerfen? Steht nicht in der Bibel: Wer für die Seinigen nicht sorgt ist schlimmer als ein Ungläubiger? Ich musste dann zu meiner Mutter ziehen. Ich habe meinen Abschluss gemacht und bin mit 18 Jahren ausgezogen. Kurz danach bin ich nicht mehr in die Versammlung gegangen. Bin dann aber nach ca 1-1,5 Jahren noch einmal zurück. Vielleicht hatten sie ja doch recht. Habe aber schnell gemerkt, dass sich nichts verändert hat und bin wieder gegangen.
Das ist nur Ausschnitt meines Lebens und meiner Erfahrungen.
4. Wie stark warst du im Glauben und in der Gemeinschaft verankert?
Wann und warum hast du begonnen zu zweifeln und deinen Glauben in Frage zu stellen?
Ich war relativ fest im Glauben verankert. Zumindest nach außen hin. Ich konnte wohl gut schauspielern 😀 Man musste ja funktionieren, sonst wurdest du auch innerhalb der Versammlung als schlechter Umgang bezeichnet.
5. Bist du von Ächtung betroffen? Wenn ja, in welchem Ausmaß?
Welche Menschen hast du durch dein Verlassen der Organisation verloren? Wie wirkt sich das aus?
Mit meinem Vater möchte ICH keinen Kontakt mehr haben. Mein Bruder und meine Mutter und meine Großeltern meiden den Kontakt zu mir. Darunter leide ich sehr. Ich sitze oft weinend auf der Couch, wenn im Fernsehen eine liebevolle Mutter zu sehen ist und wünschte mir auch so eine Mutter. Ich bin auch Tante habe ich erfahren, mein Bruder ist Vater geworden. Das schmerzt auch zu hören.
6. Wie geht es dir heute? Mit welchen Auswirkungen hast du noch zu kämpfen?
Spielen z.B. Ängste eine Rolle?
Im Großen und Ganzen geht es heute besser denn je! Ich habe seit sieben Jahren einen wunderbaren Partner an meiner Seite der mich in jeder Situation unterstützt wie er kann.
Auch in den Momenten in denen meine Vergangenheit hochkommt. Ich bin seit einem halben Jahr in psychologischer Behandlung. Es gibt bestimmte Triggerpunkte, die mit dem Leben in der Religionsgemeinschaft und auch mit meinen Eltern zusammenhängen, die mich in manchen Situationen nicht richtig reagieren lassen. Dann kommt das „innere Kind“ von früher zum Vorschein und weiß sich nicht zu helfen. Das ist der Preis den ich bis heute zahle, weil ich in dieser Gemeinschaft aufwachsen musste.
7. Welches Fazit ziehst du für dich persönlich aus deiner Vergangenheit?
Ich kann sie nicht ändern. Sie ist Teil meines Lebens und ich musste lernen und lerne immer noch damit umzugehen, auch wenn ich schon 8 Jahre nicht mehr dabei bin. Es ist wichtig darüber zu reden, denn es ist kein Tabuthema! Genauso wenig ist es ein Tabuthema, dass man psychologische Hilfe in Anspruch nimmt. Man ist deswegen nicht verrückt oder durchgenknallt. Im Gegenteil! Man hat eingesehen, dass man nicht mit allem alleine klarkommen muss und kann! Das ist ein wichtiger Schritt!
8. Welchen Rat möchtest du Interessierten der Glaubensgemeinschaft (die sich z.B. bereits in einem Bibelstudium befinden oder sich zur Organisation hingezogen fühlen), bzw. bereits zweifelnden Mitgliedern mitgeben?
Bitte überlegt es euch gut! Ich wünsche keinem die Kindheit wie ich sie hatte und die daraus resultierenden Folgen die bis heute andauern. Tut das euren Kindern bitte nicht an!
Man ist nicht Abtrünnig oder schlechter Umgang nur weil man seinen eigenen Kopf benutzt und darüber nachdenkt was einem erzählt wird! Hinterfragt bitte die Ansichten!
Ihr seid nicht alleine!!! Wenn ihr euch entscheidet zu gehen, werdet ihr aufgefangen! Ihr müsst nur Bescheid geben! Habt bitte keine Angst!