ÜberLebensweg – Stefanie E.

Stefanie
1. Wie bist du zu den Zeugen Jehovas gekommen? 

Ich war 16 Jahre als ich das erste Mal Kontakt zu Zeugen Jehovas hatte, und zwar als der Bruder meines Freundes mich angesprochen hat. Mit 17 hatte ich dann mit meinem damaligen Freund die Bibel studiert, weil es sich für mich gut anhörte und man sich rührend um uns beide bemühte. Mein Freund und ich heirateten dann als ich 18 war und wir ließen uns ein halbes Jahr später im Jahre 1986 taufen.

2. Wie hast du dein Leben, deinen Alltag in dieser Religionsgemeinschaft erlebt?

Meine Eltern waren keine Zeugen Jehovas und so habe ich den Kontakt zu ihnen auf ein Minimum beschränkt. Als ich mit der Schule fertig war, wurden wir angehalten, den Allgemeinen Pionierdienst durchzuführen. Da ich ein absolutes Schaf war, tat ich es und verzichtete auf eine Ausbildung. Leider konnten meine Knie diese Belastung nicht aushalten und ich musste den Dienst aufgeben. So war ich die willige, treue Ehefrau und kümmerte mich um Mann und Haushalt. Ich ermöglichte es meinem Mann, dass er anstelle von mir den Pionierdienst aufnahm, so war ich eine noch bessere Ehefrau. Wie gesagt, ich war ein echtes Schaf und ich habe niemals Fragen gestellt oder etwas bezweifelt. So hat mich auch nichts an den Zeugen Jehovas gestört.

3. Wie kam es, dass du nun kein Mitglied der Zeugen Jehovas mehr bist?

Ich wurde dann doch unerwartet schwanger, was mein Mann absolut nicht wollte, er musste nämlich daraufhin seinen Pionierdienst aufgeben. Als mein Sohn 18 Monate war, bin ich in den Versammlungen öfters raus gegangen, weil er unruhig war. Daraufhin hat uns ein Ältester aufgefordert, unseren Sohn zu züchtigen, um seinen Willen zu brechen und Schläge würden da auch dazu gehören. Das war für meinen Mann ein Freifahrtschein seinen Sohn, wenn ihm was nicht passte, zu verhauen. Wenn es z.B. eine Medizin war, die er nicht nehmen wollte. Oder er sperrte ihn im Keller ein, wenn er nicht mitwollte. Da nun schon ein Kind da war, wurde 2,5 Jahre später meine Tochter geboren und noch 4 Jahre später mein Sohn.

Für mich war es nichts Unnormales und ich habe nie etwas am Verhalten meines Mannes angezweifelt. Auch, als er immer mal wieder in ein Bordell ging. Als Frau sagt man ja auch nichts, man ist ja sonst ungehörig.
Irgendwann hatte er ein Burnout und war deswegen ständig zuhause, da war es für mich nur noch die Hölle. Er behandelte mich wie eine Dienstmagd. Die Kinder wurden noch mehr traktiert. Im Dezember ging er dann widerwillig in eine Reha, wo er einen Totalzusammenbruch hatte und meinte, er würde verfolgt und beobachtet. Ich holte ihn auf meinen Wunsch hin mit meiner Mutter zusammen aus der Reha ab. Da seine Ärztin über Weihnachten ihre Praxis geschlossen hatte, war ich gezwungen, ihn eine Woche mit Wahnvorstellungen und Verfolgungswahn zuhause zu haben, weil ein anderer Arzt ihn nicht einweisen wollte. Im Januar kam er dann hier in Bremen in eine Psychosomatische Klinik.

Als wir uns zu einem Familienausflug trafen meinte er, es ginge ihm nicht gut und da er ja eh Harmagedon nicht überleben würde, wäre es eine gute Idee, uns alle umzubringen. Was er dann tatsächlich versuchte. Am nächsten Tag bin ich voller Verzweiflung mit den Kindern zu meiner Schwiegermutter gefahren, habe ihr die ganze Sache erzählt und auch ihre Zustimmung bekommen, erstmal mit den Kindern da zu bleiben. Als ich dann meinen Schwager und Ältesten anrief, um ihm das zu erzählen, fiel er aus allen Wolken und ging abends mit einem anderen Ältesten zu meinem Mann und redete mit ihm. Er war sich keiner Schuld bewusst. Daraufhin bekam er einen Verweis und durfte keine Kommentare in der Versammlung geben. 

Mein Schwager forderte mich dann auf, wieder zu ihm zurück zu gehen. Frau geht man halt, man ist ja gehorsam. Er kam dann aber doch noch in die Geschlossene wegen dieser Tat und ich habe ihn da wieder rausgeholt. Ich habe noch an das Gute geglaubt. Aber leider war da nichts. 
Ich habe es dann tatsächlich geschafft, mich von ihm zu trennen. Es hat leider noch 9 Monate gedauert. Auch da habe ich noch nicht an den Zeugen Jehovas gezweifelt, aber als ich dann als getrennte Frau mit 3 minderjährigen Kindern Hilfe von der Versammlung benötigte und sie sagten „Such dir jemanden, der dir hilft!“ wurde mir einiges klarer. Sie haben meinem Mann immer noch geholfen und unterstützt. Der arme verlassene Mann, haben ihm sogar Vorrechte eingeräumt. Da war für mich klar, mit dem verlogenen Volk möchte ich nichts mehr zu tun haben.

4. Wie stark warst du im Glauben und in der Gemeinschaft verankert? 
Wann und warum hast du begonnen zu zweifeln und deinen Glauben in Frage zu stellen?

Ich war tief verankert, ich hatte alle meine Freunde da, es war mein Leben.
Als man mich alleine gelassen hat und ich auf mich allein gestellt war – und man meinem inzwischen Ex-Mann noch Vorrechte eingeräumt hat, obwohl er Ehebruch begangen hatte und versucht hat seine Familie umzubringen. 
Als die Ältesten mich besuchten, weil ich sie kontaktiert hatte, dass ich austreten möchte, haben sie mir angeboten, ich bräuchte nicht mehr predigen, oder in die Versammlung kommen „aber trete nicht aus.“. Meine Antwort darauf: „Ihr habt mich zur Ehrlichkeit erzogen, wie ehrlich wäre das denn jetzt?“

5. Bist du von Ächtung betroffen? Wenn ja, in welchem Ausmaß?

Ja, meine „beste“ Freundin wechselt die Straßenseite, wenn sie mich sieht. Ich stand nach meinem freiwilligen Verlassen der Gemeinschaft völlig alleine da. Alle meine Freunde waren weg. Das war mir vorher klar, aber lieber alleine, als mit dem verlogenen Volk. Zum Glück hatte ich noch meine Eltern, die nie bei den Zeugen Jehovas waren.

6. Wie geht es dir heute? Mit welchen Auswirkungen hast du noch zu kämpfen?

Ich bin ein neuer Mensch. Meine Freunde sind echt, ich habe einen tollen neuen Mann, der mich in allem unterstützt was ich tue. Ich bin immer noch zu nett und lasse mir viel zu viel gefallen, aber da arbeite ich dran. Einmal ein Schaf, immer ein Schaf – vielleicht jetzt ein Schwarzes…
Ängste habe ich eigentlich keine. Das ist irgendwie ausgeblendet, genauso wie „Glauben“ in meinem Leben eher einem schwarzen Loch gleicht.

7. Welches Fazit ziehst du für dich persönlich aus deiner Vergangenheit?

Ich weiß jetzt, dass das alles eine Gehirnwäsche war. 
Wenn man gerade den Weg geht, ist alles ok. Hat man Probleme, wird man alleine gelassen.

8. Welchen Rat möchtest du Interessierten der Glaubensgemeinschaft, bzw. bereits zweifelnden Mitgliedern mitgeben?

Nachdenken und sich nicht von dem „angeblichen“ Heile-Welt-Gerede blenden lassen.
Dinge hinterfragen! Hinter der Fassade hat jeder Zeuge Jehovas, besonders die Ältesten – so denke ich -, immer irgendwo eine Leiche im Keller.