Aktualisierung vom 22.12.2022:
Die Staatsverwalterin von Oslo und Viken hat beschlossen, Jehovas Zeugen die Registrierung als Religionsgemeinschaft nach dem Religionsgemeinschaftsgesetz zu entziehen.
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Arbeiterpartei findet, von staatlicher Seite brauche es ein „klares Nein“
Ap mente staten burde si «kraftig nei» til Jehovas vitner – nå er saken i det blå
Artikel in der norwegischen Online-Zeitung (Nettavisen) Nyheter vom 29. Oktober 2021
Von Sigurd Øfsti, übersetzt von JZ Help
Nettavisen hat kürzlich die Artikelserie „Sex und Scham“ veröffentlicht. In der Serie sprachen wir mit Aussteiger/innen von christlichen Konfessionen, darunter Zeugen Jehovas und Smiths Freunde.
Die Aussteiger/innen, mit denen wir gesprochen haben, erzählten, wie sie erlebten, dass Sexualität mit Scham verbunden war und dass Sex und die Erforschung normaler Wünsche mit Sünde und Drohung vor der Hölle verbunden waren.
Absolute Voraussetzung
Trettebergstuen war vor zwei Jahren Parlamentsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des Familien- und Kulturausschusses im norwegischen Parlament. Sie machte deutlich, dass sie unter anderem den Lehren der Zeugen Jehovas sehr kritisch gegenüberstand.
In dieser Religionsgemeinschaft und in vielen anderen wachsen Kinder und Jugendliche auf und lernen, dass sie nicht so sein können, wie sie sind. Dass sie ihre Orientierung unterdrücken müssen und ihre Menschenrechte nicht gewahrt werden können, weil sie Frauen sind, sagte Trettebergstuen gegenüber dem Medium NRK.
Sie hat hinzugefügt:
– Ich finde, der Staat sollte dazu klar „nein“ sagen, und wir müssen strengere Bedingungen für staatliche Unterstützung stellen.
Sie betonte auch, dass diejenigen, die unterdrückt gelebt und so den Ausbruch aus einer Religionsgemeinschaft gewagt haben, „es verdienen, dass wir an ihrer Seite sind“.
Sie führte weiter aus:
– Jeder soll an das glauben, was er will, aber wenn der Staat Religionsgemeinschaften finanziert, muss der Staat auch sagen, dass die Gleichstellung der Geschlechter unbedingte Voraussetzung für die Förderung ist.
Die Zeugen Jehovas wurden die Aussagen von Trettebergstuen vorgelegt, sie haben sich aber noch nicht dazu geäußert.
Empörend
Heute ist Trettebergstuen Ministerin für Kultur und Gleichstellung. Die Online-Zeitung hat das Kultusministerium kontaktiert, um ein Interview mit Trettebergstuen zum Thema zu führen. Wir haben ihr auch die Artikelserie „Sex und Scham“ geschickt. Unter anderem möchten wir fragen, ob die Arbeiterpartei nun die Unterstützung für die Zeugen Jehovas zurückzieht.
Das Ministerium hat darauf mit einigen kurzen Zitaten von Trettebergstuen reagiert. Hier sagen sie:
– Es ist empörend, von jungen Menschen zu lesen, die aufgrund von Normen und Regeln in konservativen Religionsgemeinschaften erkrankt sind und Suizidgedanken haben. Religionsfreiheit ist ein grundlegendes Menschenrecht und sollte eine persönliche und freie Entscheidung sein.
Sie stellt weiter fest:
– Das neue Religions- und Glaubensgesetz, das 2019 verabschiedet wurde, ermöglicht die Verweigerung oder Kürzung von Zuschüssen, wenn diese Gemeinschaften oder in ihrem Namen handelnde Personen Gewalt oder Nötigung begehen, Drohungen aussprechen, Kinderrechte verletzen, gegen gesetzliche Diskriminierungsverbote verstoßen oder auf andere Weise die Rechte und Freiheiten anderer ernsthaft verletzen. Dies muss in jedem Einzelfall speziell geprüft werden, aber die Regierung wird selbstverständlich dafür sorgen, dass die Gesetze eingehalten werden.
Sie fügt hinzu:
– Wichtig ist auch, dass es ein Angebot für Menschen gibt, die schwierige religiöse Aussteigsprozesse durchlaufen.
Außerdem wird auf die Ministerin für Kinder- und Familienangelegenheiten Kjersti Toppe verwiesen, die für den Bereich Glaube und Weltanschauung zuständig ist.
Die Online-Zeitung hat erneut um ein richtiges Interview mit Trettebergstuen gebeten und folgende Anschlussfragen gestellt:
In der Opposition haben Sie klar gesagt, dass die Zeugen Jehovas keine staatliche Unterstützung mehr erhalten sollten. Jetzt sind Sie in der Regierung. Wollen Sie jetzt die Initiative ergreifen, damit die Unterstützung gestrichen wird? Oder hat die Arbeitspartei eine Kehrtwende vollzogen?
Der Bitte um ein Interview wurde nicht entsprochen, aber Trettebergstuen beantwortet über die Kommunikationsabteilung die Frage per E-Mail:
– Das neue Religions- und Weltanschauungsgesetz ermöglicht die Verweigerung oder Kürzung von Zuschüssen an Religionsgemeinschaften, die die Rechte und Freiheiten von Menschen verletzen. Ich finde es gut, dass diese Bestimmungen in das Gesetz aufgenommen wurden. Sie geben der Aufsichtsbehörde die Möglichkeit, Sanktionen zu verhängen und stärkt die Aufsicht über die Religionsgemeinschaften. Meine Ansicht hat sich nicht geändert. Die Verantwortung für das Gesetz über Religion und Weltanschauungsfragen in der Regierung liegt beim Ministerium für Kinder- und Familienangelegenheiten, und die Durchsetzung des Gesetzes liegt in dessen Verantwortung.
Die zuständige Ministerin will sich nicht äußern
Die Online-Zeitung hat beim Ministerium für Kinder- und Familienangelegenheiten für ein Interview mit Ministerin Kjersti Toppe (SP) angefragt. Wir haben die Artikelserie „Sex und Scham“ übersandt und die früheren Erklärungen der Arbeiterpartei präsentiert, wonach die Unterstützung für religiöse Gemeinschaften wie Jehovas Zeugen entzogen werden soll.
In der E-Mail an das Ministerium baten wir um ein Interview und fragten:
– Ist das Teil der neuen Regierungslinie? Was sagt die Ministerin dazu? Wird die Regierung die Unterstützung dieser Denominationen aufheben oder ändern?
Eine Antwort erhielten wir von Kommunikationsverantwortlichen Sunniva Christophersen Haugen, die schreibt:
– Die Ministerin will sich nicht zur Angelegenheit äußern.
Das Dokument Hurdalsplattformen, das die Regierung auf ihrer Website veröffentlicht hat, sagt nichts direkt über Zeugen Jehovas oder Smiths Freunde aus. Unter dem Titel „Eine weltanschaulich offene Gesellschaft mit Respekt für alle“ wird die Förderung von Religionsgemeinschaften mit folgenden Worten beschrieben:
«Sowohl die Finanzierung, Kontrolle als auch die Einsicht in Religionsgemeinschaften sind wichtige öffentliche Aufgaben, und von den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften müssen Demokratie, Offenheit und Repräsentation ohne Eingriff in die Religionsfreiheit gefordert werden.»
Darüber hinaus wird unter anderem erwähnt, dass die Regierung zuständig ist:
«Für eine nachhaltige Finanzierung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bei gleichzeitiger Überprüfung der Förderkriterien. Zusammenarbeit mit religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften, um die Integration zu stärken, die Gleichstellung der Geschlechter zu verbessern und die Kenntnisse des norwegischen Rechts im Bereich der Weltanschauungen zu erweitern .»
Die Online-Zeitung hat das Ministerium gefragt, wie viel staatliche Unterstützung die Zeugen Jehovas und Smiths Freunde erhalten. Für 2021 verweisen sie auf die Übersicht der Regierung über die Zahl der Mitglieder in Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Es wird angegeben, dass die Förderung pro Mitglied 1.310 NOK (131 €) beträgt.
Bei 12.686 Mitgliedern bei Jehovas Zeugen beträgt die Staatshilfe im Jahr 2021 16.618.660 Kronen (1.684.622 €). Smiths Freunde haben 8.868 Mitglieder und erhalten nach derselben Berechnung im Jahr 2021 11.617.080 Kronen an Staatshilfe.
Überhaupt nicht in Ordnung
Hjelpekilden (dt.: Quelle der Hilfe) ist eine Freiwilligenorganisation, die Menschen mit einem Hintergrund aus einem geschlossenen oder streng religiösen Umfeld unterstützt.
Laut Geschäftsführerin Hilde Langvann gehen jährlich rund 500 Anfragen ein.
In einigen christlichen Gemeinschaften, wie beispielsweise bei den Zeugen Jehovas, kann ein Ausstieg zur Ächtung führen. Es kann auch andere Gründe geben, warum Betroffene ein neues Netzwerk benötigen.
– Hier haben sie die Möglichkeit, mit anderen zu sprechen, die das Gleiche durchgemacht haben. Es ist oft sehr nützlich, mit anderen mit ähnlichen Hintergründen zu sprechen, sagt Langvann.
Sie sagt, dass viele Mitglieder von Hjelpekilden mit einem Hintergrund bei den Zeugen Jehovas der staatlichen Unterstützung der Glaubensgemeinschaft sehr kritisch gegenüberstehen.
– Sie reagieren darauf, dass der norwegische Staat eine Religionsgemeinschaft finanzieren muss, durch welche sie sich verletzt und kontrolliert fühlten, und es schmerzt, dass die Gemeinschaft staatliche Unterstützung erhält, während sie selbst erlebt haben, dass sie keine Hilfe von der öffentlichen Hand erhielten. Es verstärkt das Gefühl, nicht gesehen und gehört zu werden, sagt sie.
Auch Langvann hält es für paradox, dass Hjelpekilden keine staatliche Unterstützung erhält, während Religionsgemeinschaften wie die Zeugen Jehovas dies tun.
– Das ist überhaupt nicht in Ordnung, aber ich glaube immer noch nicht, dass Jehovas Zeugen die staatliche Unterstützung verlieren sollen, sagt sie.
Langvann hält die Unterstützung für wichtig, da sie eine Gelegenheit zum Dialog und Einblick ins Umfeld der Gemeinschaft bietet.
– Wenn sie die staatliche Unterstützung verlieren, befürchte ich, dass die Religionsgemeinschaften noch strenger werden und die Kinderrechte noch mehr in Frage gestellt werden, sagt sie.
Langvann betont auch, dass ihrer Meinung nach mehr staatliche Forderungen gestellt werden sollten. Unter anderem sollten die Religionsgemeinschaften in ihrem Jahresbericht an die Behörden darlegen, was sie getan haben, um die Rechte der Kinder zu gewährleisten und mehr Gleichberechtigung zu schaffen
– Diese Anforderungen sind heute viel zu vage, betont Langvann.
Zeugen Jehovas wurden die Aussagen von Trettebergstuen und Langvann vorgelegt, sie haben sie aber noch nicht kommentiert.
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Internationale Rechtsentscheidungen gegen Zeugen Jehovas aufgrund von Verstößen gegen Landesgesetze und Grund- und Menschenrechte finden Sie hier.
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