ÜberLebenswege – Francis aus Bremen

Francis
1. Wie bist du zu den Zeugen Jehovas gekommen?

Ich kam 1989 zu den Zeugen Jehovas. Sie standen an meiner Tür und erzählten mir von einem Paradies. Dabei zeigten sie Bilder davon und fragten, ob ich gerne darin leben wollte.

2. Wie hast du dein Leben, deinen Alltag in dieser Religionsgemeinschaft erlebt?

Ich erlebte zunächst ein ausgeprägtes „Love-Bombing“, danach heiratete ich einen Zeugen Jehovas. In der Ehe kam es immer wieder zu Gewalttätigkeiten. Als ich mich ihm anvertraute, dass ich mich im falschen Körper fühle, schlug er mich so stark, dass ich schwere innere Verletzungen erlitt. Ich musste darüber schweigen und fiel unter die sogenannte „Zwei-Zeugen-Regel“. Die Zwei-Zeugen-Regel sagt, dass wenn man etwas gegen einen Mitbruder vorzubringen hat, man mindestens zwei Zeugen benennen muss. Diese konnte ich nicht liefern. Ich versuchte jahrelang die Sache zu klären, aber man glaubte mir nicht. Ich wurde aber aufgefordert, dies zu akzeptieren. Ich durfte keine neue Beziehung eingehen, wurde suizidal und krank.

3. Wie kam es, dass du nun kein Mitglied der Zeugen Jehovas mehr bist?

Ich forderte ein letztes Mal eine Klärung, doch ich bekam nur die Antwort, dass ich mich unter diese Regel zu fügen hätte und auf Jehova warten sollte. Der Täter wurde nie belangt, aber ich wurde inoffiziell gemobbt und gemieden. Zum Schluss geriet ich durch dieses traumatische Gespräch in einen psychotischen Zustand. Ich zeigte zwei Älteste an, doch das Verfahren wurde eingestellt.

4. Wie stark warst du im Glauben und in der Gemeinschaft verankert?
Wann und warum hast du begonnen deinen Glauben in Frage zu stellen?

Ich glaubte lange Zeit, dass ich in die bessere Welt gelangen dürfte, wenn ich tat, was die Oberen von mir verlangten. Ich merkte, dass man mich durch die „Zwei-Zeugen-Regel“ in einem Gefängnis hielt, welches ich nicht in Frage stellen durfte. Als ich es endlich tat, stand ich vor der Wahl, jetzt endlich zu leben oder mir vor lauter Verzweiflung das Leben zu nehmen.

5. Bist du von Ächtung betroffen? Wenn ja, in welchem Ausmaß?

Ich hatte keine Familie dabei. Doch meine engsten Freundinnen verlangten von mir, mich unterzuordnen. Diesen kündigte ich die Freundschaft. Sie wollten danach nichts mehr mit mir zu tun haben, nachdem ich klar gemacht hatte, dass ich dieses Spiel der Organisation der Zeugen Jehovas nicht mehr mitspiele.

6. Wie geht es dir heute? Mit welchen Auswirkungen hast du noch zu kämpfen?

Mit geht es nach meinem Ausstieg nur noch gut. Ich hatte keine einschneidenden Erlebnisse mehr danach. Keiner misshandelte und mobbte mich mehr, aber ich fürchtete die erste Zeit, beim Gewitter zu sterben. Durch einen Blitz der mich vernichten könnte, was aber nie geschah.

7. Welches Fazit ziehst du für dich persönlich aus deiner Vergangenheit?

Ich war 19 Jahre alt, als ich dazu kam. Ich war naiv und ohne Heimat – ein leichtes Opfer! Doch heute bin ich es nicht mehr. Ich bin frei! Mein Name, meine Identität, Leben und Freiheit gehören mir. Ich gab mir lange die Schuld an dieser falschen Entscheidung, doch heute verstehe ich, warum ich lange nicht einsehen wollte, dass ich eine Entscheidung traf, die mich fast das Leben gekostet hat. Ich gebe mir nicht mehr alleine die Schuld.

8. Welchen Rat möchtest du Interessierten der Glaubensgemeinschaft bzw. bereits zweifelnden Mitgliedern mitgeben?

Ich gebe niemals mehr Rat! Ich fühle mich in jemanden hinein, der aussteigen möchte. Ich berate und begleite und unterstütze jeden dabei. Mir hat eine Selbsthilfegruppe geholfen. Ich leite selbst die Aussteiger „Plus“ in Bremen. Ich fand unter Aussteigern viele gute neue Freunde.