14.12.2023 – Spanisches Gericht entscheidet zugunsten des Vereins Asociación Española de víctimas de los testigos de Jehová (AEVTJ), dass Jehovas Zeugen als „zerstörerische Sekte“ und Betroffene als „Opfer“ bezeichnet werden können.
Die Zeugen Jehovas haben einen schweren juristischen Rückschlag erlitten in ihrem Bemühen die ehemaligen Anhänger, die sich in einer Opfervereinigung zusammengeschlossen hatten, zum Schweigen zu bringen und die Auflösung des Vereins zu erzwingen.
Pressestimmen
Gericht in Madrid akzeptiert das Jehovas Zeugen als “zerstörerische Sekte” und ihre Anhänger als “Opfer” bezeichnet werden können Nachrichten.es 13.12.2023
Jehovas Zeugen sind eine „zerstörerische Sekte“ und die ehemaligen Mitglieder seien „Opfer“, heißt es in einem Urteil Die Klage dieser religiösen Organisation gegen die spanische Vereinigung der Opfer der Zeugen Jehovas wird abgewiesen. Larazon 14.12.2023
Die Justiz umfasst die Vereinigung der Opfer der Zeugen Jehovas Ein Madrider Gericht schließt aus, dass das Unternehmen das Recht auf die Ehre eines Geständnisses verletzt hat, obwohl zwei weitere Klagen noch anhängig sind. Conica 13.12.2023
Ein Madrider Richter behauptet, die Zeugen Jehovas seien eine Sekte und ehemalige Mitglieder seien Opfer Ein Satz weist darauf hin, dass es sich um eine Sekte für „übermäßige Kontrolle“ handelt die sie auf ihre Gläubigen ausübt. El National Cat 14.12.2023
Ein Urteil legt fest, dass die Meinungsfreiheit die Bezeichnung für die Zeugen Jehovas als „zerstörerische Sekte“ schützt Europapress.es 14.12.2023
Laut Gerichtsurteil seien die Zeugen Jehovas eine „zerstörerische Sekte“ Noticias 14.12.2023
Die Zeugen Jehovas der Niederlande haben gegen den Staat geklagt, weil dieser eine Untersuchung zum Umgang der Gemeinschaft mit sexualisierter Gewalt gegen Kinder in Auftrag gegeben hatte. Die Zeugen Jehovas haben diese Klage verloren, wie am 13. Dezember 2023 bekannt wurde.
Zur Vorgeschichte
In den Niederlanden gründeten im Jahr 2018 ehemalige Zeugen Jehovas eine Organisation für Betroffene von sexuellem Kindesmissbrauch – Reclaimed Voices. Innerhalb kurzer Zeit sammelte die Organisation 276 Berichte über sexualisierte Gewalt gegen Kinder innerhalb der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas. Dazu gib es diese sehr empfehlenswerte Dokumentation mit deutschen Untertiteln.
Die schiere Anzahl von Betroffenen und auch ihre Geschichten bewegten die niederländische Öffentlichkeit sowie die Politik. In der Folge wurde die niederländische Regierung aktiv und forderte die Zeugen Jehovas auf, eine eigene unabhängige Untersuchung einzuleiten, was die Organisation verweigerte. Aus diesem Grund beauftragte die niederländische Regierung die Universität Utrecht, Vorfälle von sexualisierter Gewalt gegen Kinder sowie den Umgang der Organisation damit zu untersuchen.
Mindestens 751 Rückmeldungen wurden von der Universität Utrecht untersucht, s. diesen Artikel im Tagesspiegel vom Januar 2020. Die Zeugen Jehovas versuchten diesen Bericht – hier die deutsche Übersetzung der Zusammenfassung – zur Untersuchung im Januar 2020 gerichtlich zu verhindern, hatten aber keinen Erfolg. Der Bericht stellte der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas das denkbar schlechteste Zeugnis im Umgang mit sexualisierter Gewalt gegen Kinder aus.
Im April 2021 wurde bekannt, dass die Organisation der Zeugen Jehovas versuchte, an die Gesprächsprotokolle der von Missbrauch Betroffenen, die gegenüber der Universität Utrecht Auskunft gegeben hatten, heranzukommen, was der Organisation jedoch verwehrt wurde.
Die Zeugen Jehovas haben schließlich den Staat Niederlande verklagt wegen der in Auftrag gegebenen Untersuchung durch die Universität Utrecht, aber verloren, wie am 13. Dezember 2023 bekannt wurde. Siehe dazu den Artikel unten.
weiterlesen
Gericht: Minister hat Zeugen Jehovas nicht diskriminiert
Der Minister für Justiz und Sicherheit hat die Zeugen Jehovas nicht diskriminiert, indem er 2018 und 2019 nur sie wegen des Umgangs mit Beschwerden über sexuellen Missbrauch innerhalb der Gemeinschaft überprüfen zu lassen. Dies hat das Gericht in Den Haag heute entschieden.
Nach Ansicht des Gerichts war es nicht notwendig, eine solche Untersuchung auch bei anderen kirchlichen Organisationen durchzuführen, da es zu diesem Zeitpunkt keine Anzeichen dafür gab, dass der Umgang mit solchen Beschwerden dort nicht in Ordnung war.
Die Zeugen Jehovas haben den niederländischen Staat wegen Diskriminierung verklagt, wie die Zeitschrift Trouw Anfang dieser Woche berichtete. Der Grund: Nur ihr Umgang mit sexuellem Missbrauch wurde von der Regierung untersucht, während andere religiöse Gruppen außenvor gelassen wurden. Der ehemalige Justizminister Sander Dekker hatte dies angeordnet. Die Zeugen Jehovas haben in den Niederlanden etwa 30.000 Mitglieder und ihren Hauptsitz in Emmen.
Stigmatisierung
Die Zeugen Jehovas waren der Ansicht, dass Dekker sich stigmatisierend über sie geäußert und durch die von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen mehrere Grundrechte verletzt habe, nachdem die Universität Utrecht die Untersuchung durchgeführt hatte. Das Gericht befand, dass die Äußerungen des ehemaligen Ministers im Rahmen des Zulässigen lagen, auch wenn sie kritisch waren, wie aus dem Urteil hervorgeht.
Die Studie, um die sich dieser Rechtsstreit dreht, erschien 2020, nachdem aufgedeckt worden war, dass der Umgang mit Missbrauchsfällen innerhalb der Zeugen Jehovas zu wünschen übrig ließ. Laut den Opfern hatte die Handhabung mit der geschlossenen Kultur bei den Zeugen Jehovas zu tun. Die Glaubensgemeinschaft war mit den Schlussfolgerungen der Untersuchung überhaupt nicht einverstanden und versuchte, die Veröffentlichung des Berichts zu verhindern, verlor aber in der Berufung.
Maßnahmen gerechtfertigt
Minister Dekker war enttäuscht, dass der Vorstand der Zeugen Jehovas selbst keine Maßnahmen ergreifen wollte, um den Umgang mit Beschwerden über sexuellen Missbrauch zu verbessern. Er habe sich im Repräsentantenhaus dazu geäußert und genieße dort Immunität, sagte der Richter.
Die Zeugen Jehovas wollten ein Verbot von Äußerungen, Strategien oder Maßnahmen, die auf dem Bericht der Universität basieren. Der Richter erklärte jedoch, die vorgeschlagenen Maßnahmen seien gerechtfertigt und ausreichend sorgfältig ausgearbeitet.
Aktivistinnen und Aktivisten prangern in Japan die Menschenrechtsverletzungen an Kindern innerhalb der Zeugen Jehovas an. Die Regierung nimmt die angeprangerten Verstöße ernst, das öffentliche Interesse ist groß. Derweil reagiert die Wachtturm-Organisation der Zeugen Jehovas panisch.
In einer uns vorliegenden E-Mail vom 1. Dezember verschickte allem Anschein nach das Zweigbüro Zentraleuropa in Selters eine Bitte um Unterstützung an Mitglieder in wichtigen Funktionen. „Gesucht werden positive Statements von Behörden, aber auch von Fachleuten wie Schuldirektoren, Lehrern, Professoren, Akademikern“. Sie sollten sich, möglichst mit offiziellem Briefkopf, positiv zu den Zeugen Jehovas äußern: Zur ihrer Erfahrung zu Kindererziehung, dem Material der Organisation für Kinder oder positiven Beiträgen von Zeugen Jehovas-Jugendlichen in der Gesellschaft. Der Grund für dieses Ersuchen sei eine besorgniserregende Entwicklung in Japan, das Land sollte jedoch bitte nicht namentlich genannt werden.
Dieses recht hilflos wirkende Schreiben scheint damit die Reaktion der Organisation auf die gute Arbeit japanischer Kolleginnen und Kollegen zu sein, die Menschenrechtsverletzungen innerhalb der Organisation der Zeugen Jehovas anprangern – und von Staat und Gesellschaft gehört werden. Hier einen Überblick über die jüngsten Entwicklungen.
1. Gruppe von Anwälten prangert Menschenrechtsverletzungen an Kindern an
„Wir wollen die Verletzung der Menschenrechte von Anhängern der zweiten Generation stoppen“, so Jun Tabata, Mitglied der Anwaltsgruppe, die sich für Menschen, die in die Zeugen Jehovas hineingeboren sind, einsetzt (Zitat aus dem Artikel bei Sumikai vom 2. März 2023). Die Gruppe hatte Schilderungen Betroffener gesammelt, u.a. zum sogenannten Blutverbot und körperlicher Bestrafung, und in einem Bericht zusammengestellt. Diesen überreichte sie am 27. Februar 2023 ans Gesundheitsministerium. 77 von 78 Betroffenen gaben an, in ihrer Jugend körperliche Misshandlung erfahren zu haben.
Kurz zuvor, im Dezember 2022, hatte das Ministerium seine Richtlinien für den Umgang mit Missbrauch an Kindern von Angehörigen religiöser Gruppen veröffentlicht. Darin heißt es etwa, dass die Verweigerung von Bluttransfusionen einer Vernachlässigung gleichkomme. Zum Thema Blutverbot hatten die Zeugen Jehovas eine Presseerklärung herausgegeben, in der sie ihre ablehnende Haltung bekräftigten. Siehe dazu auch die Übersetzung des Artikels vom 28. Februar 2023 in UCA News.
Pressekonferenz zu Umfrage zu Missbrauchserfahrungen
Gruppe der Rechtsanwälte auf dem Weg zur Medienkonferenz – Bild aus dem Beitrag bei NTV News 24 vom 20. November 2023
Die Befragung zeichnete ein trauriges Bild des Aufwachsens als Zeuge-Jehovas-Kind:
Mehr als 80 % der Befragten gaben an, dass sie eine Karte bzw. Ausweis besassen, aus dem hervorgeht, dass die Eltern nicht wollen, dass ihren Kindern Bluttransfusionen verabreicht werden.
92 % Prozent der Befragten gaben an, Schlagen mit bloßen Händen, Linealen oder Gürteln erlebt zu haben.
96 % der Befragten gaben zudem an, dass sie an bestimmten Unterrichtsstunden und Schulveranstaltungen nicht teilnehmen durften .
All diese Themen wurden in Leitlinien des Gesundheitsministeriums vom Dezember 2022 als Kindesmissbrauch eingestuft.
Ayuko Kato, Staatsministerin für Kinderfragen. Bild aus dem Artikel vom 28. November 2023 in der Japan Times
Die Staatsministerin für Kinderfragen, Ayuko Kato, sagte auf einer Pressekonferenz nach der Kabinettssitzung: „Kindesmissbrauch darf niemals toleriert werden, auch wenn er auf religiösen Überzeugungen beruht“ (s. Übersetzung des Artikels vom 21. November in The Asahi Shimbun).
Zum Thema Bluttransfusionsverbot berichteten die Medien auch über einen jungen Mann: Er musste als Kind auf eine notwendige Herzoperation acht Jahre lang warten bis zu seinem 18. Geburtstag, weil seine Eltern die Gabe einer Bluttransfusion ablehnten. Siehe dazu diesen englischen Artikel vom 21. November in The Asahi Shimbun.
Anhörung im Parlament
Am gleichen Tag als die Anwaltsgruppe den Bericht präsentierte, veranstaltete die wichtigste Oppositionspartei, die Demokratische Verfassungspartei Japans, eine Anhörung im Parlament.
Anhörung im Parlament. Ein ehemaliges Mitglied des Krankenhausverbindungs-Komitees sagte aus. Quelle: Youtube-Video vom 22. November 2023
Bei der Medienkonferenz kamen auch zwei ehemalige Mitglieder der Zeugen Jehovas zu Wort. Einer dieser Ehemaligen sagte aus, er habe als Verbindungsmitglied zu einer medizinischen Einrichtung Mitglieder angewiesen, Bluttransfusionen abzulehnen, obwohl er keine medizinischen Kenntnisse oder Qualifikationen besaß (s. Übersetzung des Artikels vom 21. November in The Asahi Shimbun).
2. Umfrage zu sexuellem Missbrauch durch die Gruppe JW Child Abuse Damage Archive
Eine Gruppe von ehemaligen Zeugen Jehovas, die sich JW Child Abuse Damage Archive nennt, überreichte am 7. November der Behörde für Kinder und Familien einen Bericht zu sexuellem Missbrauch innerhalb der Religionsgemeinschaft und forderte Massnahmen.
Das Ergebnis dieser Befragung zeigte ein verheerendes Ausmass von genannten sexuellen Übergriffen verschiedener Art:
Von den Befragten gaben 37 an, von Mitgliedern der Zeugen Jehovas sexuell missbraucht worden zu sein. 35 von ihnen waren zu diesem Zeitpunkt minderjährig.
Von den Befragten wurden 42, darunter 15 als Minderjährige, in einem Rechtskomitee gezwungen, von ihren sexuellen Erfahrungen zu erzählen. Über 60 % der Befragten gaben an, dass sie immer noch Schwierigkeiten haben, mit dieser Erfahrung fertig zu werden.
139 der Befragten gaben an, dass sie unangemessenen sexuellen Ausdrücken wie „Analsex“, „Sodomie“ und „Oralsex“ ausgesetzt waren, neben vielen anderen Dingen. Mehr als 80 % sagten, sie seien unter 12 Jahre alt gewesen, als sie zum ersten Mal von solchen Dingen hörten.
Nach Angaben des Gesundheitsministeriums gilt es als sexueller Missbrauch, „wenn unter dem Deckmantel der Erziehung Materialien mit sexuell eindeutigem Inhalt gezeigt oder mündlich weitergegeben werden, die für das Alter der Person unangemessen sind“, und „wenn jemand gezwungen wird, mit Mitarbeitern einer religiösen Organisation über persönliche Erfahrungen im Zusammenhang mit seiner Sexualität zu sprechen“ (s. Übersetzung des Artikels vom 28. November in The Asahi Shimbun).
Medienkonferenz des JW Child Abuse Damage Archive
Am 28. November hielt die Gruppe in
Tokyo eine Medienkonferenz ab. Die Gründerin der Gruppe mit dem Pseudonym
Michiko, selbst Betroffene sexuellen Missbrauchs innerhalb der Zeugen Jehovas, sagte,
dass die Umfrage gemacht wurde, weil nur wenige Anzeigen wegen sexuellen Missbrauchs
im Lande erstattet würden, jedoch zahlreiche mutige Betroffene sich dazu in den
sozialen Medien äußerten.
Medienkonferenz vom 28. November 2023 in Tokyo – Bild aus dem Artikel von The Asahi Shimbun vom 4. Dezember 2023
An der Pressekonferenz in Tokyo nahm
auch ein Ältester, ebenfalls unter einem Pseudonym, teil. Er äußerte sich zu den
Vorgaben der Glaubensgemeinschaft: „Innerhalb der Organisation gab es eine
Regel, Probleme nur dann anzusprechen, wenn es zwei oder mehr Zeugen gab, was
oft dazu führte, dass Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern, die in einer
Umgebung ohne Aufsicht durch Dritte stattfanden, außer Acht gelassen wurden.“
„In Japan besteht die Verpflichtung, Kindesmissbrauch den Kinderberatungsstellen zu melden, aber anstatt dass die Ältesten entscheiden, eine Meldung zu machen, besteht das Verfahren darin, zuerst die japanische Zweigstelle anzurufen, um sich beraten zu lassen. Das wirft Fragen über die Absichten der Organisation auf“ (Zitate aus der Übersetzung des Artikels vom 28. November in The Asahi Shimbun).
Die große politische und gesellschaftliche Resonanz auf die Informationen japanischer Aktivistinnen und Aktivisten dürfte auch mit der kürzlichen Ermordung des ehemaligen Premierministers Shinzo Abe im Jahr 2022 zu tun haben. Der Täter war ein Mann, der sich als Opfer der Moon-Sekte verstand. Dieses Ereignis sensibilisierte die japanische Gesellschaft und Politik für die Gefahren vereinnahmender Gruppen. Dazu kommt, dass Japan sehr säkular ist und das Christentum eine untergeordnete Rolle spielt.
3. Schreiben vom Zweigbüro Zentraleuropa mit Bitte um Unterstützung
Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Entwicklungen in Japan kann man das uns vorliegende Schreiben von Selters als Versuch der Schadensbegrenzung verstehen.
wir schreiben euch heute in einer sensiblen und sehr eiligen Angelegenheit, in der wir euch gern um eure Mithilfe bitten möchten.
In einer kurzfristig angesetzten Besprechung haben wir heute
erfahren, dass wir das große Vorrecht haben, die Weltzentrale bei einem sehr
wichtigen Projekt zu unterstützen.
Was ist die Problemstellung? Unsere Brüder und Schwestern in Japan haben aktuell mit einem schwerwiegenden Problem zu kämpfen: Ein neues Ministerium, das erst ca. ein Jahr im Amt ist, geht bedauerlicherweise davon aus, dass die Kindererziehung von Jehovas Zeugen den Kindern schadet und sogar eine Art „Kindesmissbrauch“ darstellt. Das ist natürlich eine besorgniserregende Entwicklung.
Wie könnt ihr helfen? Gesucht werden positive Statements von Behörden, aber auch von Fachleuten wie Schuldirektoren, Lehrern, Professoren, Akademikern, etc. z. B. zu folgenden Themen:
Zur Erfahrung mit der Kindererziehung von Eltern, die Zeugen Jehovas sind allgemein (liebevolle, fürsorgliche, ausgewogene Erziehung, angemessenes Interesse an Kindern)
Zum Material für Kinder und Jugendliche auf jw.org
Über Kinder von Zeugen Jehovas (sind z.B. in der Schule nicht auffällig, sondern vorbildlich; nehmen keine Drogen, sind nicht kriminell; sind gut integriert, ausgeglichen etc.)
Über positive Beiträge unserer Jugendlichen in der Gesellschaft
Wir würden uns freuen, wenn ihr euch in eurer jeweiligen
Funktion selbst zu diesen Punkten äußert – möglichst auf mit einem offiziellen
Briefkopf, der eure aktuelle Funktion zeigt. Außerdem sind wir natürlich auch
sehr an weiteren Statements von Außenstehenden interessiert. Fallen euch
vielleicht Kollegen oder andere Personen ein, die in diesem Zusammenhang
fundierte Aussagen machen könnten? Falls ja, dann kontaktiert diese Personen
doch bitte schnellstmöglich und bittet sie um eine schriftliche Aussage (falls
möglich auch auf einem offiziellen Briefkopf). WICHTIG: In den gewünschten
Statements, die nicht lang sein müssen, soll nicht auf Japan Bezug genommen
werden sondern die Formulierung sollte eher allgemein gehalten sein. Auch
sollte am besten nicht an eine konkrete Person adressiert werden sondern „to
whom it may concern“ („Sehr geehrte Damen und Herren“ oder „an die zuständige
Stelle“).
Wenn ihr Außenstehende ansprecht, könntet ihr die Bitte
damit begründen, dass in einem asiatischen Land ein neugegründetes Ministerium,
das noch keine Erfahrung mit Jehovas Zeugen hat, aufgrund von
Falschinformationen Vorurteile ggü. unserer religiösen Minderheit hat. Sicher
würde ihnen die europäische Sicht hilfreich sein, da man hier bereits seit
Jahrzehnten Erfahrungen mit Jehovas Zeugen gesammelt hat. Wir bitten euch,
„Japan“ nicht zu erwähnen, aber die gewünschte Zielrichtung und die Dringlichkeit
der Anfrage zu verdeutlichen.
Deadline: Die Statements benötigen wir bereits im Laufe der nächsten Woche.
Wir betrachten es als ein Privileg, mit euch in diesem
wichtigen Bemühen zusammenzuarbeiten und so zur „Verteidigung und gesetzlichen
Befestigung der guten Botschaft“ beitragen zu können (Phil. 1:7). Bitte macht
diese Angelegenheit doch auch zum Gegenstand eurer persönlichen Gebete. Wir
sind völlig davon überzeugt, dass Jehova die gemeinsamen Bemühungen zur Ehre
seines Namens segnen wird (2. Kor. 10:4, 5; Jes. 54:17).
Noch eine Bitte zum Schluss: Behandelt die Informationen
bitte vertraulich und leitet diese E-Mail nicht ohne Rücksprache weiter!
Herzlichen Dank vorab für die wertvolle Unterstützung und
ein schönes Wochenende
Die Zeugen Jehovas weigern sich, ihren Mitgliedern Bluttransfusionen für deren Kinder zu gestatten und berufen sich dabei auf religiöse Gründe
Mitglieder der Zeugen Jehovas posieren für ein Foto vor einem Haus der Anbetung in Japan. (Jehovah’s Witnesses Examiner / Facebook/ Facebook)
Eine
in den USA ansässige christliche religiöse Gruppe in Japan hat ihren
Mitgliedern verboten, Bluttransfusionen für ihre Kinder während medizinischer
Behandlungen und in Notfällen durchzuführen, was gegen die Richtlinien der
Regierung verstößt, so eine japanische Anwaltsgruppe.
„Dies
ist ein ernstes Problem, bei dem es um das Leben von Kindern geht“, sagte
ein Anwalt der Anwaltskammer Tokio gegenüber Reportern, wie die Zeitung Yomiuri
am 27. Februar berichtete.
Die
Zeugen Jehovas – eine christliche Gruppe mit Sitz in den Vereinigten Staaten –
haben sich geweigert, ihren Mitgliedern Bluttransfusionen für ihre Kinder zu
gestatten, und dies mit religiöse begründet.
Berichten zufolge müssen die Kinder eine „Identifikationskarte“ bei sich tragen, die im Falle eines Unfalls oder eines anderen Notfalls Ärzt:innen und andere Personen darüber informiert, dass der bzw. die Karteninhaber:in aus religiösen Gründen zwar eine medizinische Behandlung, aber keine Bluttransfusionen erhalten möchte.
Kotaro
Tanaka, ein ehemaliges Mitglied der christlichen Gruppe, wies darauf hin, dass
die Verweigerung notwendiger medizinischer Behandlung für Kinder,
einschließlich Bluttransfusionen, „eine Form von Missbrauch“ sei.
Tanaka
hatte eine Selbsthilfegruppe gegründet, die sich mit dem Problem der
verweigerten medizinischen Versorgung befasst, nachdem sich einige Mitglieder
der Zeugen Jehovas an ihn gewandt hatten, weil sie sich Sorgen um die
Gesundheit und das Wohlergehen ihrer Kinder machten.
Die
Unterstützungsgruppe besteht aus 15 Anwält:innen und Ärzt:innen, von denen
sechs ehemalige Mitglieder sind, die als Zeugen Jehovas der zweiten Generation
aufgewachsen sind, berichtete die Zeitung Asahi.
Die
Gruppe hat einen Bericht zu diesem Thema erstellt, der am 27. Februar den
Behörden zur weiteren Bearbeitung übergeben wurde.
In 77
der 78 untersuchten Fälle gaben die Betroffenen an, dass sie in ihrer Jugend
ausgepeitscht und gezwungen wurden, die Lehren der Organisation zu glauben.
Die
eklatante Verweigerung dringend benötigter medizinischer Versorgung durch die
religiöse Gruppe ist weit verbreitet, obwohl das Ministerium für Gesundheit,
Arbeit und Soziales klare Richtlinien herausgegeben hat, die es Japans
Gemeinden ermöglichen sollen, Kinder vor Schaden aufgrund religiöser
Überzeugungen zu bewahren.
Zuvor
hatte die Gruppe der Zeugen Jehovas als Reaktion auf die Richtlinien der
Regierung eine Presseerklärung herausgegeben, in der sie ihre Haltung zu dieser
Praxis bekräftigte.
In der
Presseerklärung hieß es, dass Eltern, die Anhänger der Zeugen Jehovas sind,
„die ernste Verantwortung verstehen, ihren Glauben an ihre Kinder
weiterzugeben und sie zu lehren, nach einer gesunden Moral zu leben“,
berichtete die Zeitung Yomiuri.
Im
Jahr 2000 entschied der Oberste Gerichtshof Japans, dass eine Person das Recht
hat, eine Bluttransfusion aufgrund ihrer religiösen Überzeugung abzulehnen.
Im
Jahr 2008 gaben die Japanische Gesellschaft für Transfusionsmedizin und
Zelltherapie und andere jedoch Richtlinien heraus, die besagen, dass
Bluttransfusionen bei Menschen unter 15 Jahren durchgeführt werden sollten,
wenn Lebensgefahr besteht, auch wenn sie oder ihre Eltern die Zustimmung
verweigern.
Ein
Verantwortlicher des japanischen Zweigs der Zeugen Jehovas erklärte, die gegen
sie erhobenen Vorwürfe seien falsch und irreführend.
„Es
gibt verzerrte Berichte und falsche Schlussfolgerungen, die nur auf Kommentaren
von verärgerten Personen beruhen, die früher mit [den Zeugen Jehovas] verbunden
waren, und solche Meinungen sind sachlich falsch“, berichtete die Zeitung
Asahi.
Laut der Website der Zeugen Jehovas gibt es in Japan 214.359 Prediger:innen, welche die Bibel lehren, und 2.893 Gemeinden.
159 berichten, als Zeugen Jehovas sexuell
missbraucht worden zu sein
Eine ehemalige Zeugin Jehovas sagte, sie sei als Kind von einem älteren Anhänger sexuell missbraucht worden. (Amane Shimazaki)
Laut einer von einer Gruppe von Ehemaligen durchgeführten Umfrage berichteten derzeitige und ehemalige Zeugen Jehovas über 159 Fälle von sexuellem Missbrauch durch Mitglieder, viele davon durch Personen in Führungspositionen.
Die Gruppe ehemaliger Anhänger der
zweiten Generation, die sich „JW child abuse damage archive“ nennt,
gab die Ergebnisse am 7. November an die zuständigen Ministerien und Behörden
weiter.
Für den 28. November ist eine
Pressekonferenz geplant.
Die Mitglieder der Gruppe hoffen,
dass das Problem als soziale Herausforderung untersucht wird und als Weckruf
für Menschenrechtsverletzungen dient, die auch in anderen Religionen vorkommen
können.
In der Umfrage, zu der die Gruppe im
Juli online aufgerufen hatte, gingen 159 gültige Antworten ein.
Fünfunddreißig Befragte gaben an, als
Minderjährige von Anhängern sexuell missbraucht worden zu sein.
Der sexuelle Missbrauch, dem sie
ausgesetzt waren, umfasste 24 Fälle, in denen sie „über der Kleidung oder
direkt am Körper berührt wurden“, 11 Fälle, in denen sie „in
Unterwäsche oder nackt betrachtet oder fotografiert wurden“, neun Fälle,
in denen „Lippen, Zunge oder andere Körperteile auf den Körper gelegt
wurden“ und vier Fälle, in denen sie „zum Sex gezwungen wurden“.
Die Befragten hatten die Möglichkeit,
mehrere Antworten auszuwählen.
Neunzehn der Befragten gaben an, dass
es sich bei dem Täter um ein Mitglied in einer Autoritätsposition handelte, z.
B. um einen „Ältesten“, der ein regionaler Leiter ist, und um einen
„Dienstamtsgehilfen“, der den Ältesten hilft.
Als sie sexuell missbraucht wurden,
waren sieben der Befragten Vorschulkinder, 19 waren Grundschüler und die
restlichen neun waren Schüler der Junior High School oder älter.
Unabhängig davon gaben 139 Befragte
an, dass ihnen für ihr Alter ungeeignete Veröffentlichungen mit sexuell
eindeutigem Material gezeigt oder Geschichten mit sexuell eindeutigem Material
erzählt wurden.
Diese Handlungen werden nach den Ende
letzten Jahres veröffentlichten Leitlinien des Sozialministeriums als sexueller
Missbrauch betrachtet.
Darüber hinaus gaben 42 Befragte an,
dass sie gezwungen worden waren, mit Ältesten und anderen Personen über ihre
sexuellen Erfahrungen vor einer offiziellen Ausschussanhörung zu sprechen.
Die internationale christliche
Glaubensgemeinschaft, die in den 1870er Jahren in den Vereinigten Staaten
gegründet wurde, predigt, dass vorehelicher Sex in der Bibel verurteilt wird.
Gegenüber der Zeitung Asahi erklärten
die Zeugen Jehovas: „Wir dulden keinen Kindesmissbrauch in irgendeiner
Form. Insbesondere der sexuelle Missbrauch von Kindern ist eine äußerst böse
Tat, und wir verabscheuen solche Taten“.
Laut der Website der Zeugen Jehovas
gibt es derzeit etwa 8,7 Millionen Mitglieder in 239 Ländern weltweit, mit etwa
214.000 getauften Mitgliedern in Japan.
In einem Interview sagte eine
38-jährige Befragte, sie sei im Alter von 9 bis 12 Jahren mehr als 100 Mal von
einem älteren Anhänger sexuell missbraucht worden.
Die ehemalige Anhängerin sagte, dass
sie sich jedes Mal deprimiert fühlte, wenn ein Diener der Zeugen Jehovas zu ihr
nach Hause kam. Ihre Eltern waren Mitglieder.
Der Mann, der damals etwa 25 Jahre
alt war, spielte mit ihr, und sie betrachtete ihn fast wie einen älteren
Bruder.
Als sie nicht mehr zur Schule ging
und tagsüber allein zu Hause blieb, begann der Mann, ihr zwei- bis dreimal pro
Woche Süßigkeiten zu bringen.
Eines Tages rieb der Mann ihren Bauch
über ihre Kleidung und fragte: „Geht es dir gut?“
Nach und nach begann er, seine Hände
unter ihre Kleidung zu stecken. Er berührte ihre Brüste, leckte über ihr
Gesicht und ihren Hals und küsste sie sogar.
Als sie etwa 12 Jahre alt war,
berührte er sie zwischen den Beinen.
Sie fühlte sich krank und hatte
Angst, aber sie konnte ihm nicht sagen, dass er aufhören sollte.
In Anbetracht seiner Stellung in der
örtlichen Gemeinde hatte sie das Gefühl, dass sie in Gefahr sein könnte, wenn
sich das herumspricht.
Die Frau lebte lange Zeit
zurückgezogen und zog von einem Job zum anderen. Sie wurde von zittrigen Händen
geplagt und hatte Schwierigkeiten zu schlafen.
Sie ist seit etwa zwei Jahren
beurlaubt, nachdem bei ihr eine posttraumatische Belastungsstörung und
Depressionen diagnostiziert worden waren.
„Sexueller Missbrauch an Kindern
sollte in der Gesellschaft nicht erlaubt sein, unabhängig von der Religion“,
sagte die Frau. „Ich möchte die Kirche fragen, wie sie Kinder schützen
will, wenn es innerhalb der Gemeinde sexuellen Missbrauch gibt“.
Miyako Shirakawa, eine Psychiaterin,
die Opfer von sexuellem Missbrauch behandelt, sagte, die Ergebnisse der Umfrage
seien wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs, aber sie seien von großer
gesellschaftlicher Bedeutung, da sie ein erster Schritt zum Verständnis des
tatsächlichen Ausmaßes des Problems seien.
„Ich war überrascht, dass so
viele Menschen in der Lage waren, sich zu äußern“, sagte sie.
Shirakawa hat Fälle von sexuellem
Missbrauch durch christliche Geistliche, entweder katholisch oder
protestantisch, einschließlich der Zeugen Jehovas, und durch buddhistische
Priester kennengelernt.
„Selbst wenn Opfer Missbrauch melden, wird ihnen oft nicht geglaubt, wenn der Täter eine Autoritätsposition innehat“, sagte sie. „Manchmal behindern auch religiöse Überzeugungen, wie etwa die, dass das Aussprechen von Missbrauch als Blasphemie und Verrat an der Kirche und Gott angesehen wird, die Offenlegung. Shirakawa sagte, dass die Zentralregierung oder eine dritte Organisation den Status von sexueller Gewalt in religiösen Gemeinschaften ermitteln sollte.
Umfrage: 80 % der Ex-Zeugen Jehovas haben eine „Kein-Blut-Karte“
Kotaro Tanaka, zweiter von links, ein Mitglied des Anwaltsteams, spricht am 20. November im Tokioter Bezirk Minato über die Ergebnisse der Untersuchung über angeblichen Kindesmissbrauch durch Mitglieder der religiösen Gruppe der Zeugen Jehovas. (Amane Shimazaki)
Im Rahmen einer Umfrage, die den
Missbrauch unter den Zeugen Jehovas dokumentiert, geben 81 Prozent der Anhänger:innen
der zweiten Generation an, Karten zu besitzen, die ihre Weigerung,
Bluttransfusionen zu erhalten, belegen.
Laut der Umfrage, die von einem Team
von Anwälten veröffentlicht wurde, gaben mehr als 90 Prozent der Befragten an,
dass sie körperliche Misshandlungen, wie z. B. Auspeitschungen, erlebt haben.
„Es gibt Berichte, dass diese
missbräuchlichen Praktiken seit mehreren Jahrzehnten an verschiedenen Orten
durchgeführt werden, was auf eine Kontinuität und einen systematischen
Charakter (des Missbrauchs) hindeutet“, berichtete einer der Anwälte.
Kotaro Tanaka, ein Anwalt des
Untersuchungsteams, sagte auf einer Pressekonferenz am 20. November: „Die
Mitglieder wurden schon als Kinder missbraucht. Sie könnten noch
jahrzehntelang, manchmal ihr ganzes Leben lang, Menschenrechtsverletzungen
ausgesetzt sein.
„Es ist notwendig, diese ernste
Realität zu verstehen und als Gesellschaft Wege zu finden, den Missbrauch zu
stoppen“, sagte er.
Das Untersuchungsteam legte seinen
Bericht der Behörde für Kinder und Familien vor.
Ayuko Kato, Staatsministerin für Kinderpolitik,
sagte auf einer Pressekonferenz nach einer Kabinettssitzung:
„Kindesmissbrauch darf niemals toleriert werden, auch wenn er auf
religiösen Überzeugungen beruht.“
Die wichtigste Oppositionspartei, die
Demokratische Verfassungspartei Japans, veranstaltete am 20. November eine
Anhörung im Parlament, an der zwei ehemalige Mitglieder teilnahmen, die in
einer Familie von Zeugen Jehovas geboren wurden.
Einer von ihnen sagte aus, er sei ein
„Verbindungsmitglied zu einer medizinischen Einrichtung“ und habe
Anhänger:innen angewiesen, Bluttransfusionen abzulehnen, obwohl er keine
medizinischen Kenntnisse oder Qualifikationen besaß.
Das Juristenteam, das ehemaligen
Zeugen Jehovas sowie Kindern von Mitgliedern rechtlichen Beistand leistet,
führte die Umfrage über angeblichen Kindesmissbrauch im Zusammenhang mit den
religiösen Überzeugungen der Glaubensgemeinschaft durch.
Sie baten zwischen Mai und Juni um
Antworten von Anhängern und ehemaligen Anhängern über ihre Website und Experten
zum Thema Zeugen Jehovas der zweiten Generation. Insgesamt haben 581 Personen
geantwortet.
In der Umfrage wurde unter anderem
nach der Verweigerung von Bluttransfusionen, körperlichen Übergriffen wie
Auspeitschungen, Zwangspropaganda und Einschränkungen bei sozialen
Interaktionen gefragt.
In den Ende letzten Jahres
veröffentlichten Leitlinien des Gesundheits- und Wohlfahrtsministeriums, in
denen Kindesmissbrauch durch religiöse Eltern definiert wird, wurden all diese
Themen als Kindesmissbrauch eingestuft.
Einige der Fragen zielten auf
Menschen ab, die in Familien von Religionsanhängern geboren wurden. Das Team
befragte diejenigen, die unter 18 Jahre alt waren, als sie an den religiösen
Aktivitäten teilnahmen.
Mehr als 80 Prozent der Befragten
gaben an, dass sie entweder eine Karte zur Verweigerung von Bluttransfusionen
oder einen Ausweis besitzen, aus dem hervorgeht, dass die Eltern nicht wollen,
dass ihren Kindern Bluttransfusionen verabreicht werden.
Unter den Anhänger:innen wird das
Schlagen mit bloßen Händen, Linealen oder Gürteln als „Auspeitschen“
bezeichnet. Zweiundneunzig Prozent der Befragten gaben an, dass sie dies schon
einmal erlebt haben.
Außerdem gaben 96 Prozent der
Befragten an, dass sie an bestimmten Unterrichtsstunden und
Schulveranstaltungen nicht teilnehmen durften.
Als Reaktion auf die Studie erklärten
die Zeugen Jehovas gegenüber der Asahi Shimbun: „Wir zwingen Kindern
unsere Religion nicht auf und dulden keinen Kindesmissbrauch.“
(Dieser Artikel wurde von Amane Shimazaki, Senior Staff Writer, Ryuichi Kitano und Yuki Kawano geschrieben).
Kinder von Zeugen Jehovas legen Bericht über sexuellen Missbrauch vor
Ayuko Kato, für die Kinderpolitik zuständige Ministerin. Eine Gruppe von Zeugen Jehovas der zweiten Generation hat der Behörde für Kinder und Familie einen Bericht über sexuellen Missbrauch vorgelegt. | KYODO
Von Karin Kaneko
Eine Gruppe von Kindern der Zeugen
Jehovas (ehemalige Zeugen Jehovas der zweiten Generation, Anm. JZ Help) hat am
Dienstag einen Bericht über sexuellen Missbrauch innerhalb der religiösen
Organisation bei der Behörde für Kinder und Familien eingereicht und gefordert,
dass Maßnahmen ergriffen werden.
Der Bericht basiert auf einer
Umfrage, die vom JW Child Abuse Damage Archive in sozialen Medien durchgeführt
wurde. Er besagt, dass die häufigsten Täter sexuellen Missbrauchs
„einfache Zeugen“ und „Älteste“ waren. 35 der Befragten,
die zum Zeitpunkt des Missbrauchs minderjährig waren, gaben an, dass sie
glauben, von Mitgliedern der Organisation sexuell missbraucht worden zu sein.
„Während einer Zusammenkunft in
unserem Haus kam ein Zeuge in mein Zimmer, ließ uns allein, drückte mich auf
das Bett und hatte fast Geschlechtsverkehr mit mir“, sagte einer der
Befragten.
Solche Vorfälle ereigneten sich
zumeist in den Wohnungen der Opfer und in Versammlungssälen oder
Königreichssälen, die als Orte der Religionsausübung der Zeugen Jehovas dienen.
Mehr als 90 % der Übergriffe wurden von Mitgliedern derselben Versammlung
verübt, die sich regelmäßig traf.
Darüber hinaus wurden 42 Befragte,
darunter 15 Minderjährige, gezwungen, den Ältesten in einem Rechtsausschuss –
der die angeblichen Sünden eines Zeugen untersucht – von ihren sexuellen
Erfahrungen zu erzählen, und sie empfanden es als eine Form des sexuellen
Missbrauchs, über solche Dinge zu sprechen. Über 60 % der Befragten gaben an,
dass sie immer noch Schwierigkeiten haben, mit dieser Erfahrung fertig zu
werden.
Unter anderem gaben 139 Befragte an,
dass sie unangemessenen sexuellen Ausdrücken wie „Analsex“, „Sodomie“
und „Oralsex“ ausgesetzt waren, neben vielen anderen Dingen.
Insgesamt 137 Befragte berichteten, dass sie noch minderjährig waren, als sie
zum ersten Mal mit solchen Begriffen konfrontiert wurden, wobei 35 % der
Befragten sagten, sie seien unter 6 Jahre alt gewesen, und mehr als 80 %
sagten, sie seien unter 12 Jahre alt gewesen.
Nach Angaben des Ministeriums für
Gesundheit, Arbeit und Soziales gilt es als sexueller Missbrauch, „wenn
unter dem Deckmantel der Erziehung Materialien mit sexuell eindeutigem Inhalt
gezeigt oder mündlich weitergegeben werden, die für das Alter der Person
unangemessen sind“, und „wenn jemand gezwungen wird, mit Mitarbeitern
einer religiösen Organisation über persönliche Erfahrungen im Zusammenhang mit
seiner Sexualität zu sprechen“.
Das JW Child Abuse Damage Archive
führte die einmonatige Umfrage im Juli durch, indem es auf der
Social-Media-Plattform X um Antworten bat, wobei zwei Kinderpsychologen die
Ergebnisse überprüften. Es gingen 159 gültige Antworten ein.
Im Anschluss an die Umfrage wurden 11
Personen zwischen dem Ende der Umfrage und dem 18. Oktober sowohl online als
auch persönlich interviewt.
Auf einer Pressekonferenz am Dienstag
sagte die Gründerin der Gruppe, die sich für das Pseudonym Michiko entschieden
hat, dass die Umfrage ins Leben gerufen wurde, weil nur wenige Anzeigen wegen
sexuellen Missbrauchs im Lande erstattet werden.
„Aber gleichzeitig gibt es
zahlreiche mutige Menschen, die ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen bei
den Zeugen Jehovas in den sozialen Medien teilen. Ich selbst bin eine
Überlebende von sexuellem Missbrauch in der Kindheit bei den Zeugen
Jehovas“, fügte sie hinzu.
Ein Ältester der Zeugen Jehovas der
zweiten Generation, der unter dem Pseudonym Yuuki auftritt, sagte, dass die
Leitung der religiösen Organisation im Umgang mit Berichten über sexuellen
Missbrauch nachlässig war und dass die Organisation sich darauf konzentrierte,
ihren Ruf zu wahren und die rechtliche Verantwortung zu vermeiden“.
„Innerhalb der Organisation gab
es eine Regel, Probleme nur dann anzusprechen, wenn es zwei oder mehr Zeugen
gab, was oft dazu führte, dass Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern, die
in einer Umgebung ohne Aufsicht durch Dritte stattfanden, außer Acht gelassen
wurden“, sagte Yuuki.
„In Japan besteht die Verpflichtung, Kindesmissbrauch den Kinderberatungsstellen zu melden, aber anstatt dass die Ältesten entscheiden, eine Meldung zu machen, besteht das Verfahren darin, zuerst die japanische Zweigstelle anzurufen, um sich beraten zu lassen. Das wirft Fragen über die Absichten der Organisation auf“, fügte er hinzu.
Ex-Zeugen-Jehovas können die Anhörungen zum vorehelichen Sex nicht vergessen
Der japanische Zweig der Zeugen Jehovas in Ebina, Präfektur Kanagawa (Amane Shimazaki)
Ehemalige Zeugen Jehovas sagten, dass sie immer
noch unter den aufdringlichen Fragen über ihre sexuellen Erfahrungen leiden,
die ihnen als Teenager von Leitern der religiösen Organisation gestellt wurden.
Bei der internationalen christlichen
Glaubensgemeinschaft werden die Mitglieder von regionalen Leitern, den so
genannten Ältesten, vor einem Justizkomitee verhört, wenn sie im Verdacht
stehen, gegen Regeln wie das Verbot von vorehelichem Sex zu verstoßen.
Zweiundvierzig derzeitige und ehemalige
Anhänger:innen gaben an, sie seien gezwungen worden, vor einer
Ausschussanhörung über sexuelle Erfahrungen zu sprechen, so eine Umfrage einer
Gruppe ehemaliger Anhänger der zweiten Generation, genannt „JW child abuse
damage archive“.
Mehr als 60 Prozent der Befragten gaben an, dass
sie sich aufgrund der Ereignisse bei den Anhörungen in ihrem Leben immer noch
unwohl fühlen.
Eine ehemalige Anhängerin der zweiten Generation
in ihren 40ern sagte, sie sei bei einer Anhörung des Justizausschusses über
ihre Beziehung zu ihrem Freund befragt worden, als sie 18 war.
Während der zweistündigen Anhörung wurde sie
gefragt, wie oft sie Sex hatte und zu welchen Zeiten und an welchen Tagen dies
geschah.
Die Fragen betrafen Details wie die Anzahl der
Minuten, die er in sie eingedrungen ist, und ob sie Lust empfunden hat.
Die Frau sagte, sie sei angewidert und sogar
angeekelt gewesen, als sie beobachtete, wie die Ältesten zuhörten und sich
Notizen machten.
„Ich wusste zwar, dass es seltsam war, aber
ich habe mir auch irgendwie selbst die Schuld gegeben“, sagte sie.
„Ich möchte betonen, dass so etwas Bizarres nie passieren sollte.“
Ein 33-jähriger ehemaliger Anhänger der zweiten
Generation sagte, seine Mutter habe herausgefunden, dass er mit einer
Ungläubigen zusammen war, als er 16 Jahre alt war, und ihm gesagt, er solle zu
einer Komitee-Anhörung gehen.
In einem Raum in einer Versammlungshalle fragten
ihn vier Älteste unter anderem, mit welcher Art von Person er zusammen sei und
wann und wo er Geschlechtsverkehr gehabt habe.
Es war ihm peinlich und er fand es seltsam, dass
man ihn zwang, in der Öffentlichkeit über solche Dinge zu sprechen. Aber die
Atmosphäre erlaubte es ihm nicht, zu protestieren.
„Es war einfach abnormal, auch wenn es
religiösen Zwecken dient“, sagte der Mann.
Als Reaktion auf die Anschuldigungen erklärten
die Zeugen Jehovas gegenüber der Asahi Shimbun: „Es gibt keine speziellen
Verfahren zur Bestätigung (dessen, was die Anhänger vor dem Gerichtsausschuss
taten), und wir zwingen sie nicht, über ihre sexuellen Erfahrungen zu
sprechen.“
Die Gruppe zur Aufarbeitung von Kindesmissbrauch
bei den Zeugen Jehovas veröffentlichte am 28. November die Ergebnisse ihrer
Umfrage unter derzeitigen und ehemaligen Anhängern über sexuellen Missbrauch
und Belästigung innerhalb der Organisation.
Sie erhielt 159 gültige Antworten.
Siebenunddreißig Befragte gaben an, von Anhängern
sexuell missbraucht worden zu sein. Fünfunddreißig von ihnen waren zu diesem Zeitpunkt
minderjährig.
Ein aktueller Zeuge Jehovas in seinen 40ern, der
als Ältester dient, nahm an der Pressekonferenz der Gruppe in Tokio teil.
„Die eigenen Regeln der Organisation haben dazu beigetragen, ein Umfeld zu schaffen, in dem sexueller Missbrauch leicht vorkommen kann, und auch die Hürde für die Opfer zu erhöhen, sich zu äußern“, sagte er in einem Interview.
„Anwälte in Japan gründen Organisation zur Unterstützung von Kindern von Anhängern der Zeugen Jehovas“ NHK – World Japan vom 20. November 2023 – Video in Englisch
„92 % have gotten whipped and 81 % held „No blood transfusion“ cards at Jehovah’s Witnesses“ NTV News 24 vom 21. November 2023 – Video in Englisch
Jehovas Zeugen und Datenschutz – welche Rechte besitzt man?
Am Samstag, den 04.11.2023 um 10 Uhr bietet der Verein JZ Help e.V. in Zusammenarbeit mit dem Rechtsanwalt Rainer Horbach (https://www.ra-horbach.de/) eine Infoveranstaltung zum Thema Datenschutz an. Gemeinsam mit Thomas Brand, Ansprechpartner für Datenschutz bei JZ Help e.V. wird sich diesem wichtigen Grundrecht gewidmet.
Immer wieder tauchen Fragen dazu auf, welche Daten bei den Jehovas Zeugen vorhanden sein mögen, welche Rechte man in diesem Zusammenhang besitzt und wie diese wahrgenommen werden können.
Wer Interesse hat, ist daher zu der Veranstaltung herzlich eingeladen. Dieser kann man kostenlos unter folgendem Link beiwohnen: https://lecture.senfcall.de/tho-zrx-9sa-ll4
Eine vorherige Anmeldung ist nicht erforderlich!
Wir freuen uns auf rege Teilnahme, Euer Team von JZ Help e.V.
NEU: Die wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages beziehen sich in einem Sachstand auf unsere Website. Es geht um fehlende Rechte von Betroffenen im Datenschutzrecht der Jehovas Zeugen in Deutschland, K.d.ö.R. Die verwendete Quelle -> hier
Sein eigener Onkel soll sich jahrelang sexuell an ihm vergriffen haben – das Umfeld der Zeugen Jehovas begünstigt das. So sieht es ein Aussteiger aus München. Hier erzählt er seine Geschichte.
Aktueller Artikel aus der Abendzeitung München! Von Rosemarie Vielreicher, erschienen am 20.10.2023
Te Kuiti Königreichssaal der Zeugen Jehovas, Photo: RNZ / Cole Eastham-Farrelly
Ein Ältester der Zeugen Jehovas behauptet, er sei dazu aufgefordert worden, vertrauliche Dokumente der Gemeinschaft zu vernichten, darunter auch solche, die sich auf Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch beziehen. Der Informant, dessen Namen die RNZ nicht nennen will, um seine Identität zu schützen, weil er Repressalien fürchtet, war ein Ältester. Am 9. März 2021 wurde er nach eigenen Angaben von einem Vorgesetzten aufgefordert, alle „Rechtsfälle“ in den vertraulichen Akten seiner Versammlung auf persönliche Notizen hin zu überprüfen und diese zu vernichten. Bei den Rechtsfällen handelt es sich um Akten der Organisation, die sich auf Anhörungen des „Rechtskomitees“ beziehen, ein internes Verfahren, das dazu dient, die Sanktionen für „Verfehlungen“, einschließlich sexuellen Missbrauchs von Kindern, zu sprechen. Der Älteste, der diese Behauptung macht, ist inzwischen aus der Gemeinschaft ausgetreten. Es ist eine Straftat, „potenziell relevante Informationen“ für die „Royal Commission of Inquiry into Abuse in Care“ zu vernichten, an der Zeugen Jehovas beteiligt sind, da im März 2019 ein Moratorium verhängt wurde.
Die Gemeinschaft weist jeden Verdacht einer Straftat „entschieden zurück“ und sagt, sie habe die Anweisungen der Kommission zur Aufbewahrung von Unterlagen „sorgfältig befolgt“.
„Rechtsverfahren“ der Kirche
Die Vorwürfe fallen mitten in die Zeit, in der bekannt wurde, dass es elf aktive Zeugen Jehovas gibt, die wegen sexuellen Kindesmissbrauchs verurteilt wurden oder gegen die schwere Anschuldigungen erhoben wurden. Die meisten Mitglieder der Religionsgemeinschaft scheinen keine Ahnung zu haben, wer die Straftäter sind. Wenn ein Vorwurf des Kindesmissbrauchs erhoben wird, führen die Kirchenältesten eine schriftgemäße Untersuchung durch, um die Schuld zu ermitteln. Nach den Richtlinien der Kirche, die sich auf die Bibel stützen, müssen ein Geständnis des Täters oder mindestens zwei Augenzeugen des Vorfalls vorhanden sein. Sobald die Schuld festgestellt ist, halten drei Älteste ein Rechtskomitee mit dem Sünder bzw. der Sünderin ab, um zu entscheiden, ob er oder sie Reue zeige. Falls ja, kann die Person in der Gemeinde bleiben, aber bestimmte Privilegien werden ihr entzogen. Falls sie nicht reumütig ist, wird sie wahrscheinlich „ausgeschlossen“ (disfellowshipped) oder exkommuniziert und geächtet (shunned). Die einzige detaillierte Dokumentation jeder Untersuchung sind die „persönlichen Notizen“, die von den Ältesten, die den Ausschuss leiten, angefertigt werden. Der Informant sagte, die Anweisung eines Ältesten im März 2021 sei „nur ein Reminder“ bzgl. der Richtlinie der Organisation vom August 2019 gewesen, persönliche Notizen zu vernichten. „Aber sie wollten ausdrücklich, dass jeder Älteste sich vergewissert, dass er die Vorschriften noch einhält. In meinem Fall hatte ich keine persönlichen Notizen, also musste ich auch keine vernichten“, sagte er. Bis zur Änderung der Policy enthielten die versiegelten Umschläge mit den offiziellen Formularen des Rechtskomitees der Gemeinschaft auch persönliche Notizen der Ältesten zu einem bestimmten Fall. Im Ausland wurden diese Notizen in Fällen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder als Beweise herangezogen. Eines Abends, zehn Tage nach Erhalt dieser Anweisungen, wurde der Informant nach eigenen Angaben gebeten, dringend in den Königreichssaal zu kommen. Älteste aus anderen Versammlungen, die sich denselben Saal teilten, wurden ebenfalls gebeten zu kommen. Jeder sammelte die vertraulichen Akten seiner Versammlung ein und sie wurden in getrennte Räume gebracht, berichtete er. Dort erhielt er einen Anruf vom regionalen Hauptsitz der Organisation in Sydney – intern als „Zweigstelle“ bezeichnet -, der alle neuseeländischen Gemeinden beaufsichtigt, mit der Aufforderung, alle Akten über sexuellen Kindesmissbrauch zu öffnen und erneut zu prüfen, ob sich in den versiegelten Umschlägen persönliche Notizen befänden. Er hatte nur einen einzigen Fall von sexuellem Kindesmissbrauch in seiner vertraulichen Akte, und diese enthielt keine persönlichen Notizen. „Ich nehme an, wenn es welche gegeben hätte, wäre ich angewiesen worden, sie sofort zu vernichten.“ Damals habe er nichts vom Moratorium bzgl. der Vernichtung von allem, was mit der Royal Commission in Verbindung stehen könnte, gewusst, er habe auch nichts von der Anweisung gewusst, persönliche Notizen zu überprüfen und zu vernichten, führte er aus. „Ich dachte einfach, es handle sich um eine Verwaltungsaufgabe. Die Ältesten vertrauen den Anweisungen, die von der Rechtsabteilung des Zweigbüros kommen, blind.“ Erst später, als er erfuhr, wie die Organisation mit Anschuldigungen zu Kindesmissbrauch in Australien umgegangen war, wurde ihm klar, dass die persönlichen Notizen wichtige Informationen enthalten könnten – darunter die Namen der Opfer und Einzelheiten über mutmassliche Straftaten -, die vor Gericht als Beweismittel verwendet werden könnten. „Ich war zutiefst erschüttert, weil mir klar wurde, wie nahe ich daran war, gegen das Gesetz zu verstossen und einen Verbrecher zu schützen.“
Die vertraulichen Akten
Eine der Versammlungen, die denselben Königreichssaal nutzte, hatte „Dutzende“ vertraulicher Akten in einer grossen weissen Plastikbox im Hinterzimmer gelagert, so der Informant. Viele der Umschläge waren mit der Aufschrift „nicht zerstören“ versehen, die gemäss Policy der Zeugen Jehovas auf allen Akten über Fälle zu sexuellem Kindesmissbrauch angebracht werden muss. „Das erweckte meine Aufmerksamkeit, weil ich überrascht war, wie viele es waren.“ Mitte Juni machte der ehemalige Älteste Shayne Mechen von der Geschädigtengruppe „JW for Justice“ die Polizei im Namen des Informanten auf den Verbleib der Kiste aufmerksam und erzählte der Behörde von der Anweisung, Dokumente zu vernichten. Die Polizei erklärte jedoch, sie werde keine Schritte unternehmen. „Die Polizei hat Nachforschungen angestellt, aber zum jetzigen Zeitpunkt benötigen wir mehr Informationen, um weiter zu ermitteln“, sagte ein Sprecher in einer Stellungnahme gegenüber der RNZ. „Die Polizei nimmt jede Anzeige wegen sexueller Übergriffe ernst und weiss, wie schwierig es ist, nach einem sexuellen Übergriff Hilfe zu suchen. „Unabhängig davon, ob der Missbrauch erst kürzlich stattgefunden hat oder schon länger zurückliegt, werden die Polizei und speziell geschulte Personen dem Opfer und/oder jenen, die den sexuellen Missbrauch melden, bei der Entscheidung helfen, was als nächstes zu tun ist. Im Allgemeinen wird die Polizei alle gemeldeten Fälle untersuchen, und wir ermutigen jede Person, die Opfer geworden ist, sich zu melden.“ Der Informant sagte, er sei bereit, mit der Polizei zu sprechen, aber er habe noch nichts von ihr gehört.
„Ein schwerer Verstoß“
Die Royal Commission sagte, sie werde „die vorsätzliche Zerstörung von Unterlagen über Missbrauchsopfer nicht tolerieren“. „Wir sehen dies als einen schwerwiegenden Verstoß gegen den Inquiries Act 2013. Wir werden auf jede Form des Verstoßes schnell reagieren und ggf. die Vorwürfe an die neuseeländische Polizei weiterleiten“, so ein Sprecher in einer Stellungnahme. Das Moratorium bzgl. der Vernichtung von Dokumenten bleibt bis zum Vorliegen des Abschlussberichts der Kommission im März 2024 in Kraft. „Zum jetzigen Zeitpunkt wurden keine religiösen oder glaubensbasierten Institutionen, einschließlich der Zeugen Jehovas, vom Geltungsbereich des Abschlussberichts ausgeschlossen“, sagte der Sprecher der Kommission. Im Juni reichte die Kirche der Zeugen Jehovas eine Klage ein, um von den Untersuchungen der Kommission ausgenommen zu werden, da sie keine Verantwortung für die Betreuung von Kindern, Jugendlichen oder gefährdeten Personen übernehme. Mechen befürchtete, dass die Royal Commission nicht in der Lage sein könnte, eine Untersuchung durchzuführen, nachdem im letzten Monat die Aufgabenbeschreibung der Kommission geändert wurde, was bedeutet, dass sie nach dem 31. Juli keine „neuen Beweise“ mehr entgegennehmen oder berücksichtigen würde. „Es ist mehr als enttäuschend, dass die Polizei nicht interessiert war“, sagte Mechen. „Wir wissen, wo die Akten sind, aber sie haben nicht einmal richtig ermittelt. Wie soll man der Polizei vertrauen? Die Opfer in diesen geschlossenen Gruppen wollen sich nicht melden, weil sie zu viel Angst haben, da sie mit Konsequenzen rechnen müssen.“
Änderung der Richtlinien für Dokumente
Der ehemalige Älteste Edward Narayan sagte, dass die aktualisierte Richtlinie der Kirche, keine persönlichen Notizen oder Zusammenfassungen einer Anhörung aufzubewahren, Auswirkungen auf zukünftige Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch innerhalb der Kirche haben wird. „Ab Oktober 2021 gibt es keine Notizen mehr in diesen versiegelten Umschlägen, sondern nur noch das Formular für den Ausschluss aus der Kirche.“ Narayan war der Sekretär der Chartwell-Gemeinde in Hamilton, bis er im April letzten Jahres aus der Kirche austrat. Er verließ die Gemeinde, nachdem er sich mit einer Änderung in der Version des geheimen Ältestenhandbuches „Shepherd the Flock of God“ (Hütet die Herde Gottes) vom Oktober 2021 herumgeschlagen hatte, die die Ältesten anwies, nur das offizielle Formular für den Ausschluss (disfellowshipping) aus der Gemeinde in einen versiegelten Umschlag zu legen. Alle anderen „vertraulichen“ Notizen, zu denen auch Anschuldigungen des sexuellen Missbrauchs von Kindern gehören, sollten vernichtet werden. Früher wurde dem versiegelten Umschlag eine Zusammenfassung des Verfahrens beigefügt, auch wenn es aus Mangel an Beweisen eingestellt wurde. Die Zusammenfassung konnte Fakten wie die Opfer oder Einzelheiten über die mutmassliche Straftat enthalten. Ab Oktober 2021 waren jedoch keine Zusammenfassungen mehr zulässig, und ein neues Formular für den Ausschluss aus der Gemeinschaft (disfellowshipping) erlaubte es nicht mehr, Angaben zu den Opfern oder zusammenfassende Notizen zu machen. „Das Formular enthielt nur den Namen des Täters, die beteiligten Ältesten, eine kurze Beschreibung des Vergehens, z.B. Kindesmissbrauch, und das Datum, an dem der Gemeinde mitgeteilt wurde, dass der Täter ‚ausgeschlossen‘ (disfellowshipped) oder ‚zurechtgewiesen‘ (reproved) wurde.“ „Die Ältesten würden nicht bekannt geben, warum der Täter ausgeschlossen oder gerügt wurde“, sagte Narayan. Die neue Policy erlaube es nicht, persönliche Notizen zu irgendeiner Angelegenheit aufzubewahren, sagte er. „Und wenn es keine Komiteeverhandlung gibt, weil es keine zwei Zeugen gibt, wird es auch keine Notizen geben. Keine Notizen bedeutet, dass es keinen zweiten Zeugen für künftige Anschuldigungen wegen sexuellen Kindesmissbrauchs gibt. „Das bedeutet, dass in Zukunft, wenn ein Opfer eines mutmasslichen sexuellen Kindesmissbrauchs das Gefühl hat, vor Gericht gehen zu müssen, um Gerechtigkeit zu erlangen, bei der Vorladung der Zeugen nur ein Formular mit dem Namen des Täters, dem Datum des Gerichtsausschusses und den Ältesten, die dem Ausschuss angehörten, vorhanden sein wird. Das war’s. Keine Notizen, keine Namen der Opfer. Das ist eine Verhöhnung der Justiz.“
Die Zeugen Jehovas reagieren
In einer Erklärung äußerte sich die Religionsgemeinschaft, Kindesmissbrauch sei ein Verbrechen und die Opfer oder deren Eltern hätten das Recht, Anzeige bei den Behörden zu erstatten. „Es gibt ein laufendes Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof darüber, ob die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in den Geltungsbereich der Royal Commission of Abuse in Care fällt“, sagte der Sprecher Tom Pecipajkovski. „Obwohl wir der Meinung sind, dass die Zeugen Jehovas nicht in den Geltungsbereich der New Zealand Royal Commission of Inquiry into Abuse in Care fallen, haben wir die Anweisungen der Untersuchungskommission zur Aufbewahrung von Unterlagen sorgfältig befolgt. Dementsprechend weisen wir jede Anschuldigung eines ‘kriminellen Vergehens’ in diesem Zusammenhang entschieden zurück.“ „Die Zeugen Jehovas werden weiterhin mit den Untersuchungsbehörden zusammenarbeiten, wenn das Gericht entscheidet, dass sie in den Geltungsbereich fallen sollten. Bis dahin werden wir die Fragen nicht vor dem Gericht der öffentlichen Meinung diskutieren.“ „Was Einzelfälle betrifft, so vertrauen wir darauf, dass Sie Informationen, die Ihrer Meinung nach der Abuse in Care Royal Commission of Inquiry bei der Erfüllung ihres Mandats helfen können, der Kommission mitteilen werden. Ebenso vertrauen wir darauf, dass Sie, wenn Sie glauben, dass Gefahr besteht, dass ein Kind geschädigt wird, die Angelegenheit den Behörden melden.“
Die Zeugen Jehovas haben eine Reihe von Pädosexuellen in ihren Reihen, von denen die meisten Menschen in der Kirche nichts wissen. (Anm. JZ Help: Pädosexualität bezeichnet ein strafbares Verhalten, Pädophilie eine sexuelle Ausrichtung. Aus diesem Grund wird von Pädosexuellen und nicht wie im englischen Artikel von Pädophilen gesprochen.)
Eine RNZ-Untersuchung hat ergeben, dass 11 aktive Zeugen Jehovas wegen sexuellen Kindesmissbrauchs verurteilt sind oder schwerwiegende Anschuldigungen gegen sie erhoben wurden. Die meisten Mitglieder der Religionsgemeinschaft scheinen keine Ahnung zu haben, wer die Täter sind. (Anm. JZ Help: In Neuseeland gibt es ein sog. Child Sex Offender Register. Verurteilte Täter oder Täterinnen können darin für einen definierten Zeitraum auch nach Verbüßen der Strafe aufgeführt werden.)
Die Identität der Männer und die Gemeinden, denen sie angehören,
werden von der RNZ nicht genannt, um die Opfer zu schützen. In allen Fällen hat
die RNZ entweder mit dem Opfer oder einem nahen Familienmitglied gesprochen
oder Unterlagen der Zeugen Jehovas eingesehen, die die Verurteilungen oder
Geständnisse des Missbrauchs bestätigen.
Aus den Berichten der RNZ geht hervor, dass die meisten Mitglieder der Gemeinden, die die Männer derzeit besuchen, keine Ahnung von deren Verurteilungen oder Geständnissen haben bzw. von den Anschuldigungen ihnen gegenüber wissen.
Vier der Männer haben wegen ihrer Straftaten, die vom Besitz von Kinderpornografie bis hin zu Übergriffen auf ein Kind reichen, im Gefängnis gesessen. Gegen sechs weitere Männer wurden schwere Vorwürfe erhoben, darunter Vergewaltigung inzestuöser Art, Kindesmissbrauch, sexuelle Belästigung einer Minderjährigen und Geschlechtsverkehr mit einer Minderjährigen. Die mutmaßlichen Opfer geben an, dass die Kirchenältesten – vergleichbar mit einem Priester oder Pfarrer – von den Vorwürfen wussten, dennoch wurde keiner der mutmaßlichen Täter jemals bei der Polizei angezeigt.
Zwei der beschuldigten Männer sind inzwischen selbst Älteste oder Dienstamtgehilfen, d.h. Ältester in Ausbildung, geworden.
Die Zeugen Jehovas Australasia, die für die neuseeländischen
Gemeinden zuständig sind, antworteten nicht auf die Fragen der RNZ, erklärten
aber in einer Stellungnahme, dass sie Kindesmissbrauch verabscheuen und als
Verbrechen betrachten.
„In allen Fällen haben die Opfer (und ihre Eltern, wenn sie minderjährig sind) das Recht, den Vorwurf des Kindesmissbrauchs bei den Behörden anzuzeigen. Daher werden die Opfer, ihre Eltern oder andere Personen, die den Ältesten eine solche Anschuldigung melden, von den Ältesten klar darüber informiert, dass sie das Recht haben, die Angelegenheit den Behörden zu melden. Die Ältesten kritisieren niemanden, der sich dazu entschließt, eine solche Anzeige zu machen“, sagte der Sprecher der Kirche, Tom Pecipajkovski.
In Neuseeland gibt es etwa 20.000 Anhänger und Anhängerinnen der Religion der Zeugen Jehovas, die sich auf etwa 170 Gemeinden verteilen. Die Anhängerinnen und Anhänger dieses christlichen Glaubens verehren Jehova als Gott und glauben, dass wir in den letzten Tagen vor dem Ende der Menschheit, wie wir sie heute kennen, leben. Ein Leitungsgremium von neun Männern in New York gibt der Kirche weltweit „die Richtung vor“.
Ich habe nach ihm gesucht und war entsetzt
Ein derzeitiges Mitglied einer Gemeinde auf der Südinsel sagte, sie fühle sich nicht mehr sicher, wenn sie an Kirchentreffen teilnehme, nachdem sie vor einigen Monaten erfahren habe, dass ein verurteilter Pädosexueller ein aktives Mitglied sei.
Janet*, die in die Religion hineingeboren wurde, war nach dem Umzug in eine andere Stadt neu in der Gemeinde. Sie sagte, sie habe erst von der Vergangenheit des Mannes erfahren, als eine enge Freundin, die wusste, dass Janet als Kind von einem anderen Kirchenmitglied belästigt worden war, sie darauf aufmerksam machte.
„Ich habe recherchiert und war entsetzt“, sagte Janet. Der Mann hatte einige Zeit im Gefängnis verbracht, weil er ein junges Mädchen aus seiner früheren Gemeinde sexuell missbraucht hatte. Nach seiner Verurteilung wurde er exkommuniziert, ist aber inzwischen wieder in die Kirche eingetreten.
Der Name des Pädosexuellen, Janets richtiger Name und die Gemeinde, die beide besuchen, werden nicht genannt, um Janet zu schützen, die befürchtet, aus der Kirche ausgeschlossen und geächtet zu werden. Sie äußerte sich jedoch, weil sie es für falsch hielt, dass die meisten Gemeindemitglieder nichts von der Vergangenheit des Mannes wussten.
„Es gibt kleine Kinder in der Gemeinde, und ich habe ein Kind“. Letzten Monat sprach sie ihre Bedenken gegenüber zwei Ältesten an, die sie fragten, warum sie nicht mehr zu den Versammlungen komme. „Ich sagte ihnen, dass ich bei dem Gedanken, zur Versammlung zu gehen, körperlich zittere. Es macht mich körperlich krank. Ich sagte, dass die Treffen ein Zufluchtsort sein sollten.“ Die Ältesten bestanden darauf, dass die Treffen ein sicherer Ort seien und zitierten Bibelstellen, wonach sie dem Mann vergeben müsse, sagte sie. „Sie sagten mir, dass er das Richtige tue und dass er jedes Recht habe, an den Treffen teilzunehmen, und dass ich meinen Glauben verloren hätte, weil ich nicht an den Treffen teilgenommen hätte.“ „Ich fühlte mich sehr unbehaglich und schutzlos.“ Janet sagte, die Ältesten hätten ihr gesagt, dass der Rest der Gemeinde nur dann von der Vergangenheit des Mannes erfahren würde, wenn es notwendig sei. „Sie sagten mir: Gehst du mit deinen Kindern einkaufen? Du weißt nicht, wer dort einkaufen geht, diese Leute sind überall“.
Es gab keine Beweise dafür, dass der Mann erneut straffällig geworden war, aber sie machte sich Sorgen, dass junge Familien in ihrer neuen Gemeinde nicht sicher sein könnten. „Jeder sollte es wissen. Würden Sie wollen, dass ein Pädosexueller an Ihre Tür klopft?“
Sie nahmen ihn mit offenen Armen auf
Ein anderer Mann, der beschuldigt wird, in den 1990er Jahren drei junge Mädchen belästigt zu haben, bekleidet heute eine leitende Position in einer Versammlung.
Der Vater der Mädchen, John*, sagte, seine älteste Tochter sei zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Übergriffe neun Jahre alt gewesen. Der Mann war ein Verwandter, der mehrere Jahre lang bei der Familie gelebt hatte. John sagte, er habe erst einige Jahre später davon erfahren, als seine älteste Tochter ihm und seiner Frau Jane erzählte, der Mann habe sie sexuell missbraucht. Sie sprachen den Mann an und er gestand, so John. „Er musste das Haus verlassen und wir bekamen Hilfe für unsere Tochter.“
John verließ bald darauf die Kirche und trennte sich von seiner Frau, die in der Religion blieb. Der mutmaßliche Täter verließ die Kirche für mehrere Jahre, so John. „Aber schließlich kehrte er in die Kirche zurück, und sie nahmen ihn mit offenen Armen auf.“
Im Jahr 2010 schloss sich der Mann einer anderen Gemeinde an. Ein ehemaliger Ältester dieser Gemeinde, dessen Namen die RNZ nicht nennen will, sagt, er habe einen Brief aus der alten Gemeinde des Mannes gelesen, in dem seine Vergangenheit beschrieben wurde. „In dem Brief stand, dass er Mitte der 1990er Jahre als Teenager drei Mädchen belästigt hatte. Er hatte gestanden, und die Ältesten wussten davon. In dem Brief stand, dass es einvernehmlich war. Ich weiß noch, dass ich dachte, wie kann das einvernehmlich sein? Wie können Kinder so etwas zustimmen?“
Besorgt wandten sich die Ältesten an den australischen Hauptsitz der Kirche und baten um Rat, aber man sagte ihnen, dass die Übergriffe in der Vergangenheit stattgefunden hätten und kein Problem mehr darstellten, so der ehemalige Älteste. Das Problem habe ihn jedoch veranlasst, die Politik der Kirche in Frage zu stellen, und er sei schließlich 2013 ausgetreten, sagte er. Der Missbrauchstäter sei nun ein Dienstamtgehilfe, behauptete er.
Einige Jahre später, so John, habe er herausgefunden, dass
der Mann auch seine beiden anderen Töchter missbraucht habe, aber seine Ex-Frau
habe es ihm verschwiegen.
Eine Menge Unheimlichkeiten
Eine ehemalige Zeugin sagte, dass sie von den Ältesten ihrer Gemeinde in Waikato ständig „umarmt und an wirklich unangemessenen Stellen berührt“ wurde.
„Ich weiß, dass andere Leute das sehen würden, aber sie waren höher gestellt und man stellt sie einfach nicht in Frage“, sagte Lisa*, die die Religion vor fünf Jahren verließ, als sie ein Teenager war. „Viele der Älteren waren sehr unheimlich. Das war etwas, das mir und meinen Schwestern sehr unangenehm war. Sie kamen ganz nah an dich heran und hielten dich knapp über deinem Hintern fest und berührten dich dort, oder sie küssten dich und kamen deinen Lippen ganz nahe.“
Als ein Mann in ihrer Gemeinde anfing, sie zu verfolgen und ihr unangemessene SMS zu schicken, bat sie zwei Älteste um Hilfe, aber sie unternahmen nichts, sagte sie. „Man hat sich einfach nicht darum gekümmert. Ich wurde einfach allein gelassen, um damit fertig zu werden. Es ist wirklich beängstigend, vor allem als junges Mädchen, wenn man um Hilfe bittet und keine kommt.“
Der Code
Brad Miller, ein ehemaliger Zeuge, der die Kirche im November 2021 verließ, sagte, dass es einen „Code“ gab, um Eltern bei Anwesenheit eines Sexualstraftäters in einer Versammlung von Gemeinden in Te Kuiti und einigen anderen zu warnen. Er wurde durch eine Durchsage übermittelt, in der die Eltern aufgefordert wurden, „ihre Kinder auf dem Gelände zu begleiten“, so Miller.
„Das hörte man ziemlich oft.“ Manchmal habe auch ein älteres Gemeindemitglied die Aufgabe, bei diesen Treffen ein Auge auf einen bekannten Sexualstraftäter zu werfen, sagte er. Die meisten Gemeindemitglieder hätten nicht gewusst, was die Nachricht bedeutete, und er habe es nur herausgefunden, weil sein Vater und sein Großvater Älteste waren und es einmal verraten hatten. In seiner eigenen Gemeinde habe es einen Mann gegeben, der mindestens zwei Mädchen missbraucht haben soll, was aber nie der Polizei gemeldet worden sei, so Miller. Der Mann ist inzwischen verstorben, aber als Kind erinnerte sich Miller daran, dass er zu gesellschaftlichen Anlässen in seinem Haus war.
„Wenn ich jetzt daran denke, macht es mich wütend. Dass wir in solch unsichere Situationen gebracht wurden.“
Die Zeugen Jehovas antworten
Die Kirche lehnte es ab, interviewt zu werden und beantwortete keine Fragen zu einzelnen Fällen. „Wenn Sie Informationen haben, von denen Sie glauben, dass sie der ‚Königlichen Untersuchungskommission‘ für Missbrauch bei der Erfüllung ihres Mandats helfen, vertrauen wir darauf, dass Sie sie mit ihr teilen werden“, sagte Pecipajkovski in einer Erklärung.
„Ebenso vertrauen wir darauf, dass Sie, wenn Sie glauben, dass Gefahr besteht, dass ein Kind geschädigt wird, die Angelegenheit den Behörden melden werden.“
* Einige Namen wurden geändert, um die Sicherheit und das Wohlergehen der betroffenen Personen zu schützen.
Hier finden Sie Hilfe zum Thema sexualisierte Gewalt an Kindern.
„Die letzten Worte meiner Mutter, als ich zur Tür hinausging, waren:
‚Ich liebe Jehova mehr als dich!'“
Was passiert, wenn Menschen von den Zeugen Jehovas geächtet werden.
Ein Onlineartikel, erschienen bei „Radio New Zeeland“ am 10. August 2023 Von Investigativ-Reporterin Anusha Bradley Übersetzt von JZ Help
WARNUNG: In dieser Geschichte geht es um schwere psychische Probleme, Depressionen und Suizid.
„Ich hatte den Ruf, eine sehr fleißige, besonnene, kritische Schwester in der Gemeinde zu sein … und dann wurde ich buchstäblich über Nacht zu etwas Bösem, etwas Schmutzigem, etwas, vor dem man Angst haben musste.“ *
Für Rachel Jackson ist binnen zwei Wochen alles vorbei. Nach 22 Jahren bei den Zeugen Jehovas spürt sie, wie sich ihre gesamte Identität innerhalb von zwei Wochen auflöst, nachdem sie Zweifel an der Religion gestand.
Warum, so hatte sie gefragt, werden nur wir Armageddon überleben? Es gibt so viele andere gute Menschen. Warum nicht auch sie? Sie begann, die Leitende Körperschaft der Religion, die als Sprachrohr Gottes gilt, in Frage zu stellen.
„Ich wurde von jemandem aus der Versammlung gemeldet“, sagt Rachel. „Ich sagte etwas zu ihr, woraufhin sie sehr wütend auf mich wurde und mich bei den Ältesten der Versammlung anzeigte.“ Zwei Älteste versuchten sie umzustimmen, aber ohne Erfolg. Sie sagten ihr, sie solle austreten oder rausgeschmissen werden – ‚disfellowshipped‘ [ausgeschlossen, Anm. JZ Help]- sagt sie.
Aber Rachel, die vom Katholizismus konvertiert war, weigerte sich. Ein Komitee [Ausschuss] der Ältesten wurde gebildet, um zu entscheiden, was mit ihr geschehen sollte. „Ich traf mich mit drei Ältesten und sie warfen mir Abtrünnigkeit vor, weil ich nicht akzeptierte, dass die leitende Körperschaft die Männer sind, die Jehova nutzt.“ Sie sagt, ihr wurde gesagt, dass ihr Ausschluss in zwei Wochen der Gemeinde mitgeteilt würde.
„Zwei Wochen später lösten sich alle meine Freundschaften der letzten 25 Jahre in Rauch auf.“ Niemandem wurde gesagt, warum Rachel ausgeschlossen wurde, aber alle mieden sie.
In der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas darf mit keinen Personen gesprochen werden, welche die Kirche verlassen oder aus ihr ausgeschlossen werden. Sie werden ausgestoßen, um ihr Leben ohne die wichtige Unterstützung derjenigen fortzusetzen, die weiterhin Zeugen sind.
Weltweit gibt es 8,7 Millionen Anhängerinnen und Anhänger, darunter 20.000 in Aotearoa [Aotearoa ist der indigene Name Neuseelands und bedeutet „Land der langen weißen Wolke“].
Viele, die die Gruppe verlassen haben – wie Rachel – sagen, dass allein die Androhung des Ausschlusses langfristig ernsthaften Schaden verursacht. Und die Praxis, so sagen sie, ist eine Verletzung der Menschenrechte.
Alle 19 ehemaligen oder aktuellen Zeugen Jehovas, mit denen wir für diese Geschichte gesprochen haben, wollen, dass das Ächten aufhört, entweder indem die Religion ihre Haltung aufweicht oder indem die Regierung diese schädlichen Auswirkungen erkennt und eingreift.
„Wenn man aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wird, wird einem die Stimme genommen“, sagt Rachel. „Man wird zum Schweigen gebracht und kann sich gegenüber den Menschen, die man liebt, nicht verteidigen, weil man geächtet wird. Das fühlt sich extrem grausam und ungerecht an, und es bedroht deine ganze Identität“. „Ich hatte den Ruf, eine sehr fleißige, besonnene, kritische Schwester in der Gemeinde zu sein… und dann wurde ich buchstäblich über Nacht von dieser Person zu etwas Bösem, etwas Schmutzigem, etwas, vor dem man Angst haben muss. Wenn ich jemanden sah, den ich aus der Gemeinde kannte, z. B. im Supermarkt, sahen sie weg und ich konnte fast die Angst sehen, als wäre ich etwas Gefährliches für sie.“
Rachel ist sehr frustriert darüber, dass ihre Freunde nicht erfahren werden, warum sie weggegangen ist. „Ich weiß noch, wie ich mich fragte: Wer bin ich? Und was sind meine Werte? Was mag ich überhaupt? Denn meine ganze Identität war damit verknüpft, dass ich zu den Zeugen Jehovas gehöre.“
Quelle: jw.org – Screenshot eines weiteren Videos zum Thema Ächtung
Eine junge Frau starrt auf die Sprachnachricht ihrer verstoßenen Mutter, die auf ihrem Telefon abgespielt wird. „Elsa, bitte geh ran… ich vermisse dich so sehr!“, fleht die Mutter. Die junge Frau legt den Hörer auf und geht weg, aber als sie sich später Fotos ihrer Mutter ansieht, fragt sie sich: „Was kann es schaden, sie ab und zu anzurufen und mit ihr zu plaudern? Vielleicht kann ich ihr sogar helfen, zu Jehova zurückzukehren?“ Dieselbe Frau sitzt später in einem Königreichssaal, wo ihr gesagt wird, dass Jehova sie mit einer neuen „geistigen“ Mutter belohnen wird, wenn sie geduldig ist.
Die Szenen stammen aus zwei offiziellen Videos der Zeugen Jehovas, die bis vor kurzem auf ihrer weltweiten Website zu sehen waren und in denen genau gezeigt wird, wie ausgeschlossenen Anhängern der Weg abgeschnitten werden sollte. Im Juni wurden die Videos gelöscht, nur wenige Tage nach ihrer Veröffentlichung. Doch die Anhängerinnen und Anhänger der Religion wissen genau, wie sie sich gegenüber denjenigen verhalten sollen, die den Glauben verlassen. Auf der offiziellen Website der Organisation finden sich mehrere andere Videos und sogar ausdrückliche Anweisungen, wie man enge Verwandte meiden soll. In Online-Lehrbüchern und -Zeitschriften, die von den Anhänger und Anhängerinnen mehrmals pro Woche studiert werden sollen, wird die Meidung als „liebevolle Maßnahme“ bezeichnet, da die Bibel den Anhängerinnen und Anhängern vorschreibt, reuelose Sünderinnen und Sünder aus ihrer Mitte zu entfernen. [Siehe auch Religionsrecht der Zeugen Jehovas – Anm. JZ Help]
Die Religion, die im späten 19. Jahrhundert in den Vereinigten Staaten gegründet wurde, stützt sich in hohem Maße auf eine wörtliche Übersetzung dieser Bibel, die sie „Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift“ nennen und die das Ende der Welt vorhersagt. Nur diejenigen, die zu dem gehören, was sie „die Wahrheit“ nennen, werden Armageddon überleben und im Paradies leben.
Genaue Daten, wann die Welt untergehen wird, werden nicht mehr genannt – Armageddon wurde seit 1914 mindestens fünfmal falsch vorhergesagt -, aber die Gläubigen werden in Studienmaterialien und Predigten häufig daran erinnert, dass sie in den „letzten Tagen der letzten Tage“ leben und das Ende „unmittelbar bevorsteht“. Ein Großteil dieser Materialien stammt aus dem weltweiten Hauptquartier der Religion in Warwick, New York, wo eine „Leitende Körperschaft“, bestehend aus neun Männern, die angeblich vom Heiligen Geist ernannt wurden, um mit den Gläubigen zu kommunizieren, die Richtlinien und Praktiken der Organisation festlegt. Die Organisation hat eine hoch organisierte globale Struktur, bei der jede Gemeinde einem „Kreisaufseher“ unterstellt ist – ähnlich einem reisenden Pastor, der mehrere Gemeinden betreut -, der wiederum einem örtlichen Zweigbüro untersteht. Alle neuseeländischen Gemeinden sind dem australasiatischen Zweigbüro unterstellt, das seinen Sitz in einem Vorort von Sydney hat.
Es gibt nur zwei Gründe, warum ein Mitglied geächtet wird: Erstens, wenn es „ausgeschlossen“ wird, oder zweitens, wenn es „ausgegrenzt“ wird [aus freien Stücken geht, Anm. JZ Help]. Ein Gemeinschaftsentzug bedeutet, dass ein Mitglied exkommuniziert und ausgeschlossen wird – in der Regel als Strafe für das Begehen einer schweren Sünde. Eine Person, die aus freien Stücken austritt, in der Regel durch einen Brief, in dem sie die Religion verlässt, wird als „selbst ausgeschlossen“ bezeichnet.
Unabhängig von der Art des Austritts bleibt die Strafe dieselbe: In einer Versammlung der Gemeinschaft wird bekannt gegeben, dass eine Person nicht länger Zeuge Jehovas ist – es wird nie gesagt, warum – und niemand darf jemals wieder mit ihr sprechen. Wer sich nicht an die Regeln hält, muss damit rechnen, selbst ausgestoßen zu werden. Die Regeln, zumindest offiziell, sind etwas anders für die ausgeschlossenen Verwandten, die im gleichen Haushalt wie die Gläubigen leben. Die Zeugen Jehovas sagen, dass bei ausgeschlossenen Familienmitgliedern nur die religiösen Bindungen gekappt werden, die familiäre Beziehung sich aber „nicht ändert“.
Ehemalige Zeugen sagen, dass dies eher die seltene Ausnahme als die Norm ist, und fragen, warum, wenn ausgeschlossenen Familienmitgliedern erlaubt wird, im Haus zu bleiben, es dieses Video auf der eigenen Website der Religion gibt, das einen Vater zeigt, der seine ausgeschlossene Tochter aus dem Haus wirft.
Im Alter von 20 Jahren erlebte Brad Miller die reale Version dieses Videos auf der Website der Zeugen Jehovas, als er wegen vorehelichen Geschlechtsverkehrs vor einen Rechtskomitee gestellt wurde. „Das Komitee stellte mir sehr detaillierte Fragen“, sagt Brad. „Als wollten sie jedes intime Detail wissen, was ich getan hatte. Es war furchtbar.“
Er heiratete schnell seine Freundin, um ihr die Tortur zu ersparen, die er durchgemacht hatte. „Die Ältesten mussten mich um Erlaubnis bitten, wenn sie bei der Versammlung mit meiner Frau sprechen wollten. Ich erlaubte ihnen, kurz mit ihr zu sprechen, aber ich stellte sicher, dass ich alle ‚detaillierten‘ Fragen beantworten konnte, damit ich ihr das Schlimmste der Befragung ersparen konnte. Ich habe ihr System gegen sie verwendet.“
Nachdem er ausgeschlossen worden war, sagte Brad, sein Vater habe ihm gesagt, er könne nur bei der Familie bleiben, wenn er versuche, zu Jehova zurückzukehren. „Er sagte mir, dass ich nicht bleiben dürfe, wenn ich nicht versuche, [zur Religion] zurückzukehren.“ Brad und seine neue Frau fanden eine eigene Wohnung und er wurde schließlich wieder in die Kirche aufgenommen. Aber die Saat der Zweifel an seiner Religion hatten zu wachsen begonnen. Er versuchte, die Zweifel zu ignorieren, denn als Zeuge der dritten Generation wusste er, dass ein Austritt bedeuten würde, alles und jede:n zu verlieren. Er würde geächtet werden.
„Es war beängstigend“, sagt Brad. „Ich wusste, dass ich jede Person, die mir in meinem Leben zur Seite gestanden war, verlieren würde, sobald ich den Schritt wagte, die Organisation zu verlassen.“
„Wenn man als Zeuge erzogen wird, darf man keine Freunde außerhalb der Zeugen haben, du darfst nichts gesellschaftlich unternehmen, was nicht Zeugen-bezogen ist. Ich dachte … was soll ich nur tun?“ Wenn einer seiner besten Freunde die Religion verließ, sah er, wie sie von seiner Gemeinde angesehen wurden. „Sie überzeugten mich, dass er ein böser Mensch war, der sich für Satan statt für Gott entschieden hatte. Als ich älter wurde sah ich, wie immer mehr Menschen schließlich verschwanden und weggingen, und das Gleiche geschah.“
„Sie nehmen dir deine Identität, sobald du weg bist. Du bist kein Mensch mehr, du bist dieses böse Ding.“
Als er schließlich ein paar Monate später ging, wurden seine schlimmsten Befürchtungen wahr. Er flehte seine Frau an, mit ihm zu kommen, aber sie weigerte sich. Seine Frau, Freunde, Familie und schließlich sogar seine Eltern verweigerten jeglichen Kontakt zu ihm. Zwei Jahre später leidet Brad immer noch unter der „tiefen Trauer und Einsamkeit“, die er durch die Ablehnung erfahren hat, und er leidet unter Angstzuständen und Depressionen, während er versucht, sich ein neues Leben in einer fremden Welt aufzubauen.
Cassie und Brad aus Neuseeland Something Evil | What it’s like to be shunned from the Jehovah’s Witnesses | RNZ
„Es fühlt sich an, als wären alle, die ich je gekannt habe, am selben Tag gestorben“.
Brads Cousine, Cassie Dean, weiß genau, was er durchmacht. Die beiden wuchsen zusammen im ländlichen Waikato auf, besuchten oft gemeinsam Königreichssaal-Versammlungen und predigten jeden Samstag an den Haustüren in Te Kuiti und Ōtorohanga.
Im Alter von 17 Jahren verließ Cassie jedoch ihr Zuhause und ging nicht mehr zu den Versammlungen, um einem „toxischen“ Leben zu Hause zu entkommen. Obwohl sie erst nach einigen Jahren offiziell aus der Religion austrat, wurde sie von ihren Eltern dennoch geächtet. Ihre Mutter sagte ihr, sie könne sich nicht mehr mit ihr abgeben, „wegen dem, was sie getan hat“. „Meine Mutter meinte damit, dass ich mit meinem Freund, der kein Zeuge ist, Sex hatte. Dafür hätte ich mich schuldig fühlen müssen, habe es aber nie getan.“ Ein Jahrzehnt später sind die Auswirkungen des Verlusts ihrer Familie immer noch deutlich zu spüren.
„Eine ganze Familie zu haben ist alles, was ich mir jemals gewünscht habe… eine Umarmung von meiner Mutter, eine Umarmung von meinem Vater… daran denke ich jeden Tag.“
„Es zermürbt einen innerlich. Es ist wie eine lebendige Trauer.“
PODCAST HÖREN: Cassie und Brad erzählen ihre ganze Geschichte in einer Sonderfolge des Detail-Podcasts, der am Samstag, den 12. August erscheint: -> hier!
Die Drohung, Menschen zu ächten, übt eine enorme Kontrolle aus, sagt die amerikanische Psychologin Marlene Winell, die als fundamentalistische Christin aufgewachsen ist und heute Menschen hilft, die aus Religionen mit hoher Kontrolle [High-control-Gruppen, Anm. JZ Help] ausgetreten sind. „Es hält die Menschen in der Religion und sie bleiben viel länger drin, als sie es eigentlich müssten. Manchmal bleiben sie und tun so, als würden sie mitmachen, weil sie den Gedanken nicht ertragen können.“
Die Bedrohung ist so stark, dass es sogar einen gebräuchlichen Begriff gibt, mit dem Zeugen, die austreten wollen, es aber nicht tun, ihre Situation beschreiben: „PIMO“. Es bedeutet „Physically In, Mentally Out“ und bezieht sich auf diejenigen, die in der Religion bleiben und vorgeben zu glauben, um ihre Familien nicht zu verlieren.
So beschreibt sich Naomi* selbst.
Sie ist derzeit Mitglied einer Gemeinde auf der Nordinsel. *Ihr richtiger Name und ihre Gemeinde werden nicht genannt, um ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen zu schützen.
Naomi sagt, sie wolle die Gemeinschaft verlassen, aber sie wolle nicht geächtet werden. Sie war seit Monaten nicht mehr in einer Versammlung und erhält nun täglich Anrufe, mehrere SMS und Besuche von Gemeindemitgliedern, die sich nach ihr erkundigen wollen. „Ich weiß, dass sie aus Liebe zu mir kommen… sie sagen, dass sie sich Sorgen um mich machen oder dass sie an mich denken und nicht wollen, dass ich Jehova verlasse.“ „Aber ich kann verstehen, warum die Leute einen Brief schreiben, um sich selbst auszuschliessen, weil ich belästigt werde und es stressig ist. Ich möchte nur, dass sie mich in Ruhe lassen.“
Naomi möchte sich nicht offiziell von der Religion distanzieren, weil sie ihre Familie nicht verlieren möchte. Sie weiß auch, wie schädlich die Ächtung sein kann. Sie glaubt, dass ihr 19-jähriger Bruder sich selbst umgebracht hat, weil er Angst hatte, ausgeschlossen zu werden.
Er beging Selbstmord, wenige Tage bevor er vor einem „Rechtskomitee“ der Ältesten erscheinen sollte, weil er zu viel Alkohol getrunken und Horrorfilme gesehen hatte. „Er hatte Angst vor den Konsequenzen und davor, in Schwierigkeiten zu geraten. Meine Mutter und mein Vater waren in ihrer Kindheit sehr überzeugte Zeugen Jehovas, man musste schon tot sein, um ein Treffen zu verpassen.“ „Zu diesem Zeitpunkt rauchte er bereits Zigaretten, was ein großes Tabu war, und die Ältesten wussten nichts davon. Mein Bruder hätte sich also in die Hose gemacht, wenn er vor dem Gericht gestanden hätte.“
Danny de Hek kennt dieses Gefühl. Mit 23 Jahren wurde er wegen vorehelichen Geschlechtsverkehrs aus der Kirche ausgeschlossen. In seiner Verzweiflung, wieder aufgenommen zu werden, saß er schluchzend ganz hinten in seinem Königreichssaal in Christchurch. „Ich verbrachte vier Monate damit, dreimal pro Woche in den Königreichssaal zu gehen. Bei jedem Treffen saß ich hinten und heulte mir die Augen aus dem Kopf, weil ich mich so sehr darüber schämte, was ich verloren hatte“, sagt er. Er wurde gemieden und niemand in der Gemeinde wollte mit ihm sprechen. Nach vier Monaten wurde er wieder aufgenommen, nur um ein Jahr später erneut ausgeschlossen zu werden, weil er erneut vorehelichen Sex hatte. Und wieder verbrachte er Monate mit dem Versuch, wieder aufgenommen zu werden.
Und warum?
„Weil ich alles verloren habe. Und die Einsamkeit. Sie verhandeln mit deiner Familie und deinen Freunden“, sagt Danny. Seine Mutter weigerte sich, mit ihm zu kommunizieren, als er ausgeschlossen wurde, und er verlor sein Geschäft, weil sein Geschäftspartner ebenfalls ein Zeuge war. „Ich habe auch alle verloren, mit denen ich aufgewachsen bin, weil uns gesagt wurde, wir dürften nie zum Sport gehen, nie in einen Verein eintreten, nie etwas mit der Welt zu tun haben.“
Mit 25 Jahren versuchte de Hek schließlich nicht mehr, in die Organisation zurückzukehren. Dreißig Jahre später hat er immer noch keinen Kontakt zu seiner Mutter und sagt, er habe Selbstmordgedanken gehabt und unter extremer Einsamkeit gelitten, als Folge seines Ausschlusses.
„Die letzten Worte meiner Mutter, als ich zur Tür hinausging, waren: ‚Ich liebe Jehova mehr als dich‘.“
Eine kleine Studie über ehemalige Zeugen Jehovas, die Anfang dieses Jahres in der Fachzeitschrift „Pastoral Psychologie“ veröffentlicht wurde, legt nahe, dass sich die Ächtung „langfristig nachteilig auf die psychische Gesundheit, die beruflichen Möglichkeiten und die Lebenszufriedenheit“ auswirkt. In der Studie werden mehrere Fälle von Menschen angeführt, die in den Selbstmord getrieben wurden, nachdem sie gemieden wurden.
Der australische Zweig der Zeugen Jehovas, der um eine Stellungnahme zu der Studie gebeten wurde, sagt, dass ihm „keine empirischen oder sonstigen Beweise“ bekannt sind, die die Behauptung stützen, dass der Ausschluss aus der Gemeinschaft oder die Meidung zu Selbstmord führen kann. „Wir weisen die Behauptung kategorisch zurück, dass die biblisch begründete Praxis des Ausschlusses von der Gemeinschaft Menschen dazu bringt, Selbstmord zu begehen“, sagt Sprecher Tom Pecipajkovski in einer Erklärung.
Er sagt, dass Ex-Mitglieder, die als „Apostaten“ [Abtrünnige – Anm. JZ Help] bekannt sind, keine verlässlichen Informationsquellen sind und zitiert das Zentrum für Studien über neue Religionen, Massimo Introvigne, der auf seiner Website Bitter Winter schreibt, dass Medien und Gerichte „gut daran täten, zu bedenken, dass Apostaten nicht repräsentativ für das größere Universum der Ex-Mitglieder neuer religiöser Bewegungen sind.“
„Die Annahme, dass das, was die Apostaten berichten, ‚die Wahrheit‘ über eine neue religiöse Bewegung ist, wäre vergleichbar mit der Beurteilung des moralischen Charakters einer geschiedenen Person auf der Grundlage des Zeugnisses eines verärgerten Ex-Ehepartners oder der Wahrnehmung dessen, worum es in der katholischen Kirche geht, auf der Grundlage des alleinigen Zeugnisses verärgerter Ex-Priester“, schreibt Introvigne.
Pecipajkovski sagt, dass sich die Zeugen Jehovas „entschieden gegen jede Andeutung wehren, dass die Praxis des Ausschlusses schädlich ist“.
Der amerikanische Berater für psychische Gesundheit und Sektenexperte Steven Hassan ist da anderer Meinung.
Er ist der Meinung, dass die Ächtung und die strengen Regeln der Religion, wie man sich zu verhalten hat, wie man sich zu kleiden hat und mit wem man verkehren darf, die Kennzeichen einer Sekte sind. Seiner Meinung nach passt die Religion in den „schlimmsten Teil“ seines „BITE“-Modells der autoritären Kontrolle. BITE steht für „Behaviour, Information, Thought and Emotional Control“ (Verhaltens-, Informations-, Gedanken- und Gefühlskontrolle), und das Modell wird verwendet, um zu analysieren, wie kontrollierend eine Gruppe oder Organisation ist.
Diesem Kontinuum zufolge lassen gesunde Organisationen am einen Ende freies Denken zu, fördern Authentizität und ziehen die Führungskräfte zur Rechenschaft. Am anderen Ende schaffen schädliche Organisationen Abhängigkeit und Gehorsam, und ihre Leitenden haben absolute Autorität.
Die Konsequenz eines Lebens unter solch autoritärer Kontrolle ist, dass die Anhänger und Anhängerinnen sich der Ächtung fügen, auch wenn dies verheerende Auswirkungen hat, sagt Hassan. „Psychologinnen und Psycholgen nennen das eine dissoziative Störung. Man ist so sehr von seinen eigenen Gedanken, Gefühlen und seinem Gewissen abgeschnitten, dass man nur noch das tut, was die Gruppe für richtig hält.“
Sara Rahmani, Dozentin für Religionswissenschaften an der Victoria University of Wellington, ist nicht der Meinung, dass das Wort „Sekte“ auf die Zeugen Jehovas zutrifft, sagt aber, dass die Ächtung zweifellos ein „äußerst schmerzhafter Prozess“ für Anhänger sein kann, die die Religion verlassen, unabhängig davon, ob sie ausgeschlossen werden oder freiwillig gehen. „Man kann Trauer empfinden, Einsamkeit, Schuldgefühle, Verzweiflung, all diese Emotionen“.
Rahmani, die die Erfahrungen von Menschen beim Verlassen von Religionen untersucht, sagt, dass es bei dieser Praxis darum geht, die Schuld und die emotionale Belastung auf die Person zu schieben, die die Religion verlässt. „Die Meidung ist eine Möglichkeit, die Erzählung zu kontrollieren“, sagt Rahmani. „Sie sagen zum Beispiel, dass diese Person gegangen ist, weil sie böse ist, weil sie eine Sünderin bzw. ein Sünder ist. Es ist ein ziemlich strategischer und manipulativer Versuch, diese harte Insider-Outsider-Grenze zu schaffen. Entweder man ist drin oder man ist draußen.“ „Es soll auch eine Botschaft an die bestehenden Mitglieder senden und die Verbreitung kontroverser Verhaltensweisen verhindern.“
Die Angst, gemieden zu werden, spielt auch mit den grundlegenden Instinkten des Menschen und der Furcht, aus der Gruppe ausgestoßen zu werden, sagt Marlene Winell.
Sie bezeichnet diese Praxis als „massiv grausam“.
„Wir wollen von unseren Eltern, von unserer Familie akzeptiert und geliebt werden. Man muss sich das einmal evolutionär vorstellen, wir sind Stammesmenschen. Die Vorstellung, isoliert zu sein, die Vorstellung, allein zu sein, aus der Höhle, aus dem Stamm herausgeschmissen zu werden, ist das Erschreckendste.“
Winell prägte in den 1990er Jahren den Begriff „Religiöses Trauma-Syndrom“ (RTS), um den emotionalen und körperlichen Schaden zu beschreiben, den eine Religion mit hoher Kontrolle, wie die Zeugen Jehovas, anrichten kann. Obwohl es sich nicht um eine offizielle Diagnose im psychiatrischen Handbuch DSM-5 handelt, sagt sie, dass die Symptome des RTS denen der Posttraumatischen Belastungsstörung ähnlich sind.
„Religion kann wirklich definieren, wer man ist… und dann ist es, als würde einem der Teppich unter den Füßen weggezogen. Man fühlt sich ziemlich verloren“, sagt Winell.
Ein kleines Mädchen sitzt auf der Couch zwischen ihren Eltern und blättert in einem Fotoalbum. „Ich habe eine Frage“, sagt sie zu ihrem Vater, „wie wird man getauft?“ Es handelt sich um die neueste Folge der Zeichentrickserie der Zeugen Jehovas für Kinder, Philip und Sophia. „Du kannst so jung sein wie deine Mutter“, erklärt Sophias Vater. „Wichtig ist nur, dass du Jehova liebst.“
Die Folge löst bei ehemaligen Zeugen im Internet Empörung aus. Sie sagen, dass der Druck, sich taufen zu lassen – wodurch ein Kind ein offizielles Mitglied der Religion wird und dem Ausschluss aus der Gemeinschaft und der Ächtung ausgesetzt ist – unmoralisch ist und zu früh beginnt.
Cassie Dean und Brad Miller stimmen dem zu. Cassie bedauert, dass sie dem Druck nachgegeben hat und sich mit 13 Jahren taufen ließ. „Ich hatte definitiv meine Zweifel, aber es war das Einzige, was meine Eltern stolz auf mich machen würde“, sagt Cassie. „Jetzt werde ich dafür bestraft, dass ich diese Entscheidung mit 13 Jahren getroffen habe, um sie glücklich zu machen. Jetzt bin ich ausgeschlossen, ich habe keine Beziehung zu meinen Eltern wegen dieser Entscheidung, die ich getroffen habe… diesem Vertrag, den ich unterschrieben habe.“ Cassie ist der Meinung, dass sich Kinder unter 18 Jahren nicht taufen lassen sollten.
Brad, der mit 10 Jahren getauft wurde, stimmt dem zu. „Ich denke, es ist gefährlich, Kinder in diesem Alter zu einer solchen Verpflichtung zu bewegen, weil sie die Konsequenzen nicht verstehen können.“ Er sagt, die Angst vor dem drohenden Armageddon werde von den Gläubigen benutzt, um die Menschen davon abzuhalten, die Gemeinschaft zu verlassen, und sie dazu zu bringen, sich taufen zu lassen. „Denn sie glauben, dass nur die Getauften überleben und ins Paradies kommen werden. Das ist der Grund, warum kleine Kinder ermutigt werden, sich taufen zu lassen, damit sie Armageddon überleben“.
Brad weiß jedoch, dass es unwahrscheinlich ist, dass eine Altersgrenze für die Taufe jemals von der Kirche angenommen oder ihr aufgezwungen wird. Juliet Chevalier-Watts, eine Dozentin für Rechtswissenschaften an der Universität Waikato, stimmt ihm zu.
Watts, die sich auf Religion und Recht spezialisiert hat, sagt, die Frage sei, ob ein Kind in der Lage sei, eine rationale Entscheidung zu treffen, und die Rechtsprechung zeige, dass es kein festes Alter für einen solchen Test gebe. „Einige 10-jährige Kinder sind durchaus in der Lage, zu verstehen, was von ihnen verlangt wird oder was mit ihnen geschieht, während dies bei 16-Jährigen nicht der Fall ist“, sagt Chevalier-Watts. „Es gab eine Reihe von Fällen im Zusammenhang mit elterlichen Anordnungen, in denen Eltern ihre Kinder daran hindern wollten, sich einem bestimmten Glauben anzuschließen oder sich taufen zu lassen, und die Gerichte in Neuseeland haben das Kind für mündig befunden und gesagt: ‚Wir können Ihr Kind nicht daran hindern, diesem Wunsch nachzuleben.'“
Der Sprecher der Religionsgemeinschaft, Pecipajkovski, sagt, dass die Anhängerinnen und Anhänger getauft werden, wenn sie alt genug sind, um zu verstehen, was die Bibel lehrt. „Deshalb taufen die Zeugen Jehovas keine Säuglinge, wie es viele Religionen tun“, sagt er. „Wir wehren uns entschieden gegen die Behauptung, dass irgendjemand, auch Minderjährige, unter Druck gesetzt oder gezwungen werden, sich taufen zu lassen.“ „Wir glauben, dass diejenigen, die Gott anbeten, dies freiwillig und von Herzen tun müssen, sonst ist diese Anbetung ungültig. Das gilt auch für Kinder, deren Eltern Zeugen Jehovas sind.“ „Während sie heranwachsen, müssen sie eine persönliche Entscheidung treffen, ob sie lernen, akzeptieren und anwenden wollen, was die Bibel lehrt, bevor sie sich für die Taufe qualifizieren können.“
Lisa* war nicht einmal getauft, wurde aber trotzdem von ihrer Mutter, einer Zeugin Jehovas, gemieden, als sie entdeckte, dass sie einen Freund hatte. „Sie behandelte mich, als wäre ich eine getaufte Zeugin“, sagt Lisa. Im Alter von 17 Jahren wurde sie von zu Hause weggeschickt.
Fünf Jahre später ist ihr Freund jetzt ihr Ehemann und sie leben in einer anderen Stadt. Zu ihrer Mutter hat sie keinen Kontakt, und sie macht sich Sorgen, dass die jüngere Schwester, die sie zurückgelassen hat, sich unter Druck gesetzt fühlen könnte, sich taufen zu lassen. „Es gibt viele Kinder, denen es einfach aufgezwungen wird, sie haben nicht wirklich eine Wahl. Sie haben mit mir und meinen Schwestern offen darüber gesprochen, dass sie das lieber nicht tun würden.“
Auch Lisa wünscht sich ein Ende der Ächtung. „Das könnte ich meiner Tochter nie antun. Meidung ist einfach so unnötig. Es bricht vielen Menschen das Herz.“
Ehemalige Zeugen behaupten, dass die Ächtung eine Verletzung der Menschenrechte darstellt, aber diese Klage war vor ausländischen Gerichten – mit Ausnahme eines einzigen – nicht sehr erfolgreich und wurde in Neuseeland nie geprüft.
Gerichte in mehreren Ländern haben entschieden, dass das Lehren und Praktizieren von Ächtung zwar möglicherweise schädlich ist, aber entweder durch die Religionsfreiheit geschützt ist oder dass es nicht Sache der Gerichte ist, sich in religiöse Angelegenheiten einzumischen.
Norwegen ist das einzige Land, das den Schaden anerkennt, den die Praxis der Ächtung der Zeugen Jehovas verursacht. Letztes Jahr wurde der Religion in diesem Land wegen dieser Angelegenheit die offizielle Registrierung entzogen. Zwar steht es den Menschen in Norwegen immer noch frei, die Religion zu praktizieren, doch der Verlust der offiziellen Registrierung ist ein großer Einschnitt, sagt der ehemalige norwegische Zeuge und heutige Aktivist Jan Frode Nilsen. „Es hindert sie daran, jedes Jahr etwa 17 Millionen norwegische Kronen (2,6 Millionen Dollar) an staatlichen Zuschüssen zu erhalten, und hindert die Religion daran, legale Trauungen durchzuführen.“
Die Zeugen Jehovas haben gegen das Urteil Berufung eingelegt, und es wird erwartet, dass der Fall im Januar verhandelt wird.
Die norwegische Regierung ist der Ansicht, dass die von den Zeugen Jehovas praktizierte Ächtung einen Verstoß gegen die Gesetze des Landes zur Religionsfreiheit darstellt, und ist besonders besorgt über die Auswirkungen auf Minderjährige.
Der ehemalige Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Paulo Pinto de Albuquerque, argumentiert jedoch in einem Papier vom Juni, dass Norwegen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen hat und nicht umgekehrt. „Ich bin der festen Überzeugung, dass die Regierung diese fundamentale Grenze tatsächlich überschritten hat, da die drei angefochtenen Verwaltungsentscheidungen eine Form der direkten Diskriminierung darstellen, die auf einem der grundlegenden religiösen Prinzipien der Zeugen Jehovas und damit auf einem identifizierbaren Merkmal der betroffenen Gemeinschaft, ihrer Religion, beruht, das durch Artikel 14 der EMRK geschützt ist“, schreibt er.
Ehemalige Zeugen, mit denen die RNZ hierzulande gesprochen hat, würden es gerne sehen, wenn Neuseeland dem Beispiel Norwegens folgen würde, aber Chevalier-Watts sagt, dass die beiden Länder unterschiedliche Gesetze und Rechtssysteme haben, so dass es „keine klare Antwort“ darauf gibt, ob dies geschehen könnte.
„Es gibt eine Reihe von Gesetzen in Neuseeland, die in die eine oder andere Richtung in Konflikt geraten könnten“, sagt sie.
Die neuseeländische Bill of Rights [Der New Zealand Bill of Rights Act 1990 ist ein Gesetz, das die Menschenrechte und Grundrechte in Neuseeland bestätigen, schützen und fördern soll Anm. JZ Help] ermöglicht es jeder Person, ihre Religion oder Weltanschauung zu bekunden, und gewährt Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, während das Menschenrechtsgesetz verbietet, dass religiöse Überzeugungen ein Grund für Diskriminierung sind. In der Bill of Rights ist auch das Recht verankert, nicht gefoltert, grausam behandelt oder erniedrigend oder unverhältnismäßig hart behandelt oder bestraft zu werden.
„Man hat also das Recht, seinen Gottesdienst, seine Religion oder seinen Glauben auszuüben, aber auch das Recht, nicht gefoltert oder grausam behandelt zu werden.“ „Aber dann muss man definieren, was man unter Folter oder grausamer Behandlung oder erniedrigender oder schwerer Bestrafung versteht, aber gleichzeitig muss man auch berücksichtigen, was mit unverhältnismäßig schwerer Behandlung oder Bestrafung gemeint ist.Wenn also eine Religion oder ein Glaubenssystem eine Methode hat, ihre Mitglieder auf irgendeine Weise zu „bestrafen“, ist das dann unverhältnismäßig im Hinblick auf ihren besonderen Glauben? Oder zur gesellschaftlichen Moral unseres Landes?“
Obwohl das Argument in Neuseeland noch nicht getestet wurde, glaubt Chevalier-Watts, dass es schwer zu beweisen sein könnte.
„Denn es gibt ein fest verankertes Recht auf eine religiöse Überzeugung, die in keiner Weise beeinträchtigt werden darf.“
Es sei denn, es gäbe eine Gesetzesänderung, die das Ächten illegal macht, so wie die Konversionstherapie im letzten Jahr illegal gemacht wurde, aber damit könnte man in ein Wespennest stechen, meint sie.
„Wenn man eine Religion verurteilt, muss man über alle Religionen urteilen, und viele Religionen haben Praktiken, die Menschen außerhalb dieser Religionen möglicherweise als unangenehm empfinden würden. Katholiken, die Amish, einige Muslime, Scientology und die Kirche der Heiligen der Letzten Tage haben alle irgendeine Form von dem, was wir möglicherweise als Ächtung bezeichnen könnten.“
Der Menschenrechtsanwalt Tony Ellis stimmt zu, dass Fälle des Common Law in den USA, Kanada und Großbritannien zeigen, dass die Gerichte „sehr, sehr zurückhaltend sind, wenn es darum geht, in das Recht auf Religionsausübung einzugreifen, denn wo könnte es als nächstes hinführen?“ Er sagt jedoch, dass die spezielle Formulierung im Bill of Rights Act, die es jeder Person erlaubt, ihre Religion „in Gemeinschaft mit anderen“ zu praktizieren, dazu führen könnte, dass „die Möglichkeit besteht, dies zu nutzen, um zu argumentieren, dass die Ächtung ungesetzlich ist“.
Ehemalige Zeugen Jehovas fragen sich auch, wie die Religionsgemeinschaft als Wohltätigkeitsorganisation registriert werden kann – mit all ihren steuerfreien Vorteilen -, wenn ihre Ächtungspraktiken und eine Geschichte des Verschweigens von Kindesmissbrauch so viel Schaden angerichtet haben. Auch hier ist das Gesetz in Neuseeland noch nicht auf die Probe gestellt worden, sagt Chevalier-Watts.
Die Kirchen können registriert werden, weil sie „die Religion fördern“. Die Charities Services und das Independent Charities Services Board erhielten 2017 eine Beschwerde über die Praxis des „Shunnings“ [Ächtung – Anm. JZ Help] der Zeugen Jehovas, untersuchten diese aber nicht.
„Die Charities Services konzentrieren ihre Ressourcen auf schweres Fehlverhalten, Angelegenheiten mit hohem Risiko und Angelegenheiten, die sich darauf auswirken können, ob eine Wohltätigkeitsorganisation weiterhin für die Registrierung in Frage kommt. Die in der Beschwerde aufgeworfenen Fragen fielen nicht in diese Bereiche“, sagt Charlotte Stanley, Generaldirektorin der Abteilung für Wohltätigkeitsorganisationen bei Internal Affairs.
Hassan vertritt die Auffassung, dass die Wohltätigkeits- und Menschenrechtsgesetze mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen über den von einigen Religionen verursachten Schaden Schritt halten müssen.
In seiner Doktorarbeit aus dem Jahr 2020 argumentiert er, dass sein BITE-Modell der autoritären Kontrolle als Rahmen für das Rechtssystem verwendet werden könnte, um zu erkennen, was „unethisch oder unzulässige Beeinflussung ist, wenn es um Bewusstseinskontrolle und Gehirnwäsche“ durch bestimmte Organisationen geht.
„Es ist ähnlich wie bei der körperlichen Züchtigung. Aus bildgebenden Untersuchungen des Gehirns wissen wir heute, dass die Gehirne von Kindern und ihre Entwicklung durch körperliche Züchtigung geschädigt werden. Sie ist in vielen zivilisierten Ländern illegal, weil wir wissen, dass sie Schaden anrichtet.“
„Nur weil etwas vor 1000 Jahren im Alten Testament gelehrt wurde, sollten wir es nicht zulassen, wenn wir wissen, dass es den Menschen schadet.“
„Wenn es um unzulässige Beeinflussung geht, denke ich, dass dies von Seiten der Gesetzgebung überdacht werden muss.“
„Anstatt die Menschenrechte zu verletzen, halten die Zeugen Jehovas sie aufrecht und respektieren sie“, sagt der Sprecher der Organisation Pecipajkovski. „Das liegt daran, dass internationale Menschenrechtserklärungen und -pakte, die Gedanken- und Religionsfreiheit schützen und das Recht auf Vereinigung garantieren, was auch die Entscheidung einschließt, sich nicht mit anderen zusammenzuschließen“, so Pecipajkovski.
„Dies ist eine Ausübung der Menschenrechte“, sagt er. „Es ist wirklich nichts Besonderes, dass die Zeugen Jehovas ein religiöses Verfahren zum Ausschluss von Anhängerinnen und Anhängern haben, die reuelos eine schwere Sünde begehen, wie Ehebruch, Alkohol- und Drogenmissbrauch, häusliche oder andere Gewalt oder Diebstahl.“ „Auch Berufsverbände wie Anwälte und Ärzte haben vorgeschriebene Standards, die Mitglieder erfüllen müssen, und die Nichterfüllung dieser Standards kann dazu führen, dass die Person als Mitglied ausgeschlossen wird.“ „Es ist eine Tatsache, dass ein großer Prozentsatz der Familien in der modernen Gesellschaft beschließt, den Kontakt zu einem Familienmitglied aufgrund eines ‚Wertekonflikts‘, der in den meisten Fällen nichts mit religiösen Überzeugungen zu tun hat, vollständig abzubrechen.“
„Im Gegensatz dazu ist der Ausschluss eines Zeugen Jehovas in der Regel nur von relativ kurzer Dauer. Darüber hinaus ist eine ausgeschlossene (oder getrennte) Person willkommen, an unseren Gottesdiensten teilzunehmen, dort gemeinsam religiöse Lieder zu singen, religiöse Veröffentlichungen zu erhalten und sich mit den Ältesten zu treffen, um seelsorgerische Hilfe zu erhalten.“
„Wenn die betreffende Person Reue zeigt, kann sie beantragen, wieder als Zeuge Jehovas aufgenommen zu werden. Viele, die ausgeschlossen wurden oder sich von den Zeugen Jehovas distanziert haben, wurden später wieder aufgenommen und gaben an, dass der Ausschluss ihnen geholfen hat, ihre Beziehung zu Gott wiederherzustellen.“
Brad und Cassie sagen, dass sie niemals zur Religion zurückkehren werden und sich stattdessen darauf konzentrieren, ihr neues Leben „draußen“ neu aufzubauen. Nach einem holprigen Start sieht der Weg, der vor ihnen liegt, für beide ein wenig besser aus.
Sie sind dankbar, dass sie einander haben, und haben hart daran gearbeitet, eine neue Familie von Freunden aufzubauen, die sie unterstützen. Cassie hat eine Karriere in der Lebensmittelbranche, die sie liebt, und Brad macht seinen Highschool-Abschluss, während er im Gastgewerbe arbeitet, in der Hoffnung, nächstes Jahr ein Studium zu beginnen.
„Es wird von Tag zu Tag einfacher, und ich fange an, Freunde zu finden“, sagt Brad, „ich habe erkannt, dass mir die Welt zu Füßen liegt. Meine Einstellung hat sich von Angst zu Begeisterung gewandelt.“
Aber der Schmerz über den Verlust seiner Familie wegen der Religion verblasst nie.
„“Wenn etwas Gutes oder auch etwas Schlimmes passiert und man die Menschen, an die man sich normalerweise wendet, anruft, in der Art: ‚Ich werde es Mama oder Papa erzählen‘, dann denke ich: ‚Oh, warte, ich kann nicht‘.“
„Ich weiß, dass ich draußen besser dran bin, aber das tut trotzdem weh.“
Bewegende Lebens- und Leidensberichte Ausgestiegener -> hier! Unsere Aktion „Ich fühle mich als Opfer der Zeugen Jehovas, weil…“ -> hier!
Sarah Brooks wurde als Zeugin Jehovas erzogen. Als Teenager in York wurde sie zwei Jahre lang von zwei anderen Mitgliedern der Organisation sexuell missbraucht und dann gemieden, weil sie über ihren Missbrauch gesprochen hatte.
Sie brauchte jemanden, der sie rettet.
Als Sarah Brooks 15 Jahre alt war und 2003 mit ihrer Familie
in York lebte, begannen zwei Erwachsene in ihrem Leben sie sexuell zu
missbrauchen. Es waren Menschen, von denen sie dachte, sie könne ihnen
vertrauen – Glaubensbrüder der Zeugen Jehovas.
Der Missbrauch dauerte mehr als ein Jahr an, bis Sarah zusammenbrach und sich ihren Eltern anvertraute. Diese alarmierten die Ältesten im Königreichssaal, in dem die Familie ihre Gottesdienste abhielt. Die Ältesten sind das Äquivalent zu Pfarrern. Sarah hatte das getan, was man Kindern beibringt, wenn ihnen jemand wehtut. Und dann wurde ihr Trauma noch schlimmer.
Ein Ältester warnte Sarah, dass sie „Schande“ über den Namen Jehovas bringen würde, wenn sie sich an die Polizei wende. So heißt es in einer Klage, die sie im Juni vor dem Philadelphia Common Pleas Court gegen die Watchtower Bible and Tract Society of New York, der Führung der Zeugen Jehovas, eingereicht hat. Andere Älteste, die Sarahs Behauptungen ebenfalls untersuchten, schrieben in einer öffentlichen Mitteilung an den Königreichssaal der Versammlung Yorkana*, dass sie „zurechtgewiesen“ worden sei, was im Sprachgebrauch der Zeugen bedeutete, dass sie etwas Falsches getan hat und es bereut.
(*Yorkana ist ein Bezirk in York County – Familie Brooks war der Gemeine der Zeugen Jehovas in Yorkana angegliedert)
Familienmitglieder und Freunde mieden Sarah, die daraufhin in Depressionen verfiel
Sie zeigte den Missbrauch dennoch bei den Behörden an und löste damit 2013 eine Dringlichkeitssitzung der Ältesten der Zeugen Jehovas aus. Diese wurde einberufen, als die Ältesten erfuhren, dass die Staatsanwaltschaft von York County eine Untersuchung eingeleitet hatte und Unterlagen über Sarahs Missbrauch anfordern würde.
„Wir haben einen Schredder gekauft“, sagte ein Ältester aus York County laut der Klage, „und die Zentrale hat uns gesagt, wir sollen die Unterlagen zu diesem Fall schreddern.“
Die Watchtower Bible and Tract Society of New York verlangt von allen Ältesten der Versammlungen, dass sie ein sorgfältiges Verfahren befolgen, um Informationen über sexuellen Kindesmissbrauch zu sammeln. Ihre erworbenen Erkenntnisse sollen in speziellen Dokumenten, den so genannten S-77-Formularen, zusammengestellt und Kopien an den Hauptsitz der Wachtturm-Organisation in New York geschickt werden.
In der Klage zu Sarahs Fall werden die Ältesten beschuldigt, viele der Unterlagen zu ihrem Fall vernichtet zu haben – und das Gesetz zum Schutz von Kindern in Pennsylvania zu ignorieren, das die Leiter von Kirchen oder religiösen Organisationen verpflichtet, mutmaßlichen Kindesmissbrauch den Behörden zu melden.
Aus einigen internen Unterlagen der Organisation geht hervor, dass die Leiter der Wachtturm-Organisation die Ältesten jahrzehntelang angewiesen haben, Missbrauchsvorwürfe stattdessen der Rechtsabteilung der Organisation zu melden. Ebenfalls wurden die Ältesten aufgefordert, die Mitarbeit bei Durchsuchungsbefehlen der Polizei zu verweigern.
„Ein unangemessener Gebrauch der Zunge durch einen Ältesten kann zu ernsthaften rechtlichen Problemen für die Person, die Gemeinde und sogar die Gesellschaft führen“, heißt es in einem Wachtturm-Memo vom Juli 1989.
Ein Sprecher der Zeugen Jehovas ging nicht direkt auf die Anschuldigungen in Sarahs Klage ein, schrieb aber in einer per E-Mail gesendeten Erklärung, dass die Organisation von den Nachrichten über sexuellen Missbrauch angewidert sei. „Insbesondere der sexuelle Missbrauch von Kindern ist ein abartiger Akt des Bösen“, heißt es in der Erklärung. „Jeder, der Opfer geworden ist, hat die volle Unterstützung der Gemeinde, um die Angelegenheit den Behörden zu melden.“
Sarah, die heute 35 Jahre alt ist, möchte, dass die Verantwortlichen der Organisation zur Rechenschaft gezogen werden.
„Ich habe mich mit dem, was mir passiert ist, abgefunden und mein Leben Stück für Stück wieder zusammengesetzt“, sagte sie dem ‚Inquirer‘. „Manchmal tue ich nur das, was ich tun muss, um zu überleben. Manchmal ist mein Rückgrat stärker und ich habe das Gefühl, dass ich diesen Kampf kämpfen kann.“
Ihre Klage kommt für die Wachtturm-Organisation zu einem heiklen Zeitpunkt.
Wie viele ehemalige Zeuginnen hat Sarah Jahre damit verbracht, sich von der isolierten Kultur und den Regeln der Organisation zu lösen. Einige dieser Regeln schützen die Sexualstraftäter.
Die Führer der Religion, die in den 1870er Jahren in Allegheny County gegründet wurde, lehren seit langem, dass das Jüngste Gericht bald bevorsteht und dass nur Zeugen Jehovas, die einen guten Ruf haben, wieder auferstehen werden.
Exzentrische Beschränkungen betonten die Kluft zwischen den Zeugen Jehovas und der restlichen Welt noch weiter: Den Anhängern ist es verboten, Geburtstage oder Feiertage zu feiern, sie dürfen nicht wählen oder Bluttransfusionen erhalten.
Sarahs Familie waren gläubige AnhängerInnen der Religion. Mit 14 Jahren begann sie jedoch zu spüren, dass die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas nicht der sichere Ort ist, den sie sich vorgestellt hatte.
Joshua Caldwell, ein 25-jähriger Freund der Familie, und Jennifer McVey, die damalige Schwägerin von Sarah, begannen der Klage zufolge, Sarah mit Alkohol gefügig zu machen. Ein Jahr später gingen sie dann dazu über, sie angeblich* sexuell zu missbrauchen. Mal in einem Pickup, ein anderes Mal in verlassenen Häusern, die Caldwell winterfest gemacht hatte.
(*“angeblich“, da das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist.)
Zwei Älteste, die Sarah zu den Übergriffen befragten, sind mit Caldwell verwandt.
Später entschied ein Komitee der Ältesten, dass Sarah „zugab, an sexuellen Aktivitäten teilgenommen zu haben“ und getadelt werden musste, so die Klageschrift – und übersah dabei völlig die Tatsache, dass Sarah zum Zeitpunkt der Übergriffe minderjährig war und von Erwachsenen ausgenutzt wurde.
Caldwell und McVey wurden aus der Gemeinde ausgeschlossen, Caldwell wurde später jedoch wieder aufgenommen.
Älteste, so schrieb der Wachtturm in dem Memo von 1989, seien verpflichtet, ihre Herde zu hüten. Aber sie sollten auch „vorsichtig sein, Informationen über persönliche Angelegenheiten nicht an Unbefugte weiterzugeben“. „Es gibt eine Zeit, in der man schweigen muss“, heißt es in der Botschaft weiter, wobei die Heilige Schrift zitiert wird.
Ein späteres Memo aus dem Jahr 1997 wies die Ältesten an, der Wachtturm-Organisation Informationen über bekannte Pädophile mitzuteilen, diese Informationen aber den Gemeinden vorzuenthalten. Eine andere Richtlinie verlangt, dass die Opfer sexueller Übergriffe einen Augenzeugen haben müssen [Zwei-Zeugen-Regel, Anm. JZ Help], der ihre Behauptungen bestätigen kann, bevor die Ältesten disziplinarische Maßnahmen ergreifen können.
„Sie sehen nicht, dass sie die Kinder in Gefahr bringen. Die Regeln, die sie aufgestellt haben, sind immer noch in Kraft“, sagte Sarah. „Ich wünschte nur, dass ihnen die Augen aufgehen würden, dass sie einen erstklassigen Nährboden für Pädophile schaffen und nichts für ihre Opfer tun, nachdem es passiert ist.“
Im Jahr 2013 erhielt Sarah etwas Gerechtigkeit. Die Staatsanwaltschaft von York County verhaftete Caldwell und McVey, die sich beide der Verführung Minderjähriger schuldig bekannten. Caldwell und McVey werden auch in Sarahs Klage genannt, die sie als finalen Schritt in ihrem Versuch bezeichnet, den Schaden, den die Zeugen Jehovas in ihrem Leben angerichtet haben, wiedergutzumachen.
Jeffrey Fritz, Sarahs Anwalt in Center City, hat bereits andere ehemalige Zeugen Jehovas vertreten, die Opfer von Übergriffen wurden. Fritz sagte, dass Sarah versucht, Veränderungen innerhalb der Organisation anzustoßen, „um alle Kinder vor sexuellem Missbrauch zu schützen, der in der Geheimhaltung, die die Organisation fordert, schwelt“.
„Die Organisation Jehovas muss sauber gehalten werden!“
In der Öffentlichkeit betonen die Sprecher der Zeugen Jehovas oft, dass sie sexuellen Kindesmissbrauch verabscheuen und versuchen, Kinder zu schützen.
Und in Sarahs Klage wird darauf hingewiesen, dass die Wachtturm-Organisation in einer Veröffentlichung von 1986 einräumt, von pädophilen Vorfällen unterrichtet worden zu sein. „So schockierend es auch ist, dass sogar einige prominente Mitglieder der Organisation Jehovas unmoralischen Praktiken verfallen sind“, heißt es darin. Weiter heißt es, dass mehr als 36.000 Zeugen wegen unmoralischen Verhaltens ausgeschlossen worden seien und es wird hinzugefügt: „Jehovas Organisation muss sauber gehalten werden!“
Dennoch hat die Organisation ihr Wissen über interne Missetäter so gut gehütet, dass sie Gerichtsgebühren in Höhe von 2 Millionen Dollar in Kauf nahm, anstatt Akten herauszugeben, die von den Anwälten eines ehemaligen Zeugen Jehovas angefordert wurden, der in Kalifornien wegen sexuellen Missbrauchs durch einen Ältesten geklagt hatte.
Und 2018 schrieb der ‚Inquirer‘ über einen Schulungsleiter der Zeugen Jehovas, Shawn Bartlett, der auf Video aufgenommen wurde, wie er Älteste bei einem Seminar aufforderte, Dokumente zu vernichten, die der Organisation in einem Rechtsstreit schaden könnten. „Nun, wir wissen, dass sich die Szene dieser Welt verändert und wir wissen, dass Satan hinter uns her ist, und er wird uns auf legale Weise angreifen“, sagt Bartlett in dem Video, das von einem anonymen Insider ins Netz gestellt wurde.
„Viele dieser Ältesten wissen nicht einmal, dass das, was sie tun, falsch ist“, sagte Brooks. „Ich möchte, dass die Beteiligten an den Punkt gelangen, an dem sie verstehen: ‚Heilige Scheiße, was haben wir getan?‘ und damit klarkommen.“
Ein großes Geschworenengericht in Pennsylvania, das den sexuellen Missbrauch von Kindern in der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas untersucht, hat fünf weitere Personen wegen Vergewaltigung oder Belästigung von Kindern bereits im Alter von 4 Jahren angeklagt – die jüngsten Entwicklungen in einer laufenden Untersuchung, die 14 Verdächtige identifiziert hat.
Die Generalstaatsanwältin von Pennsylvania, Michelle Henry, sagte auf einer Pressekonferenz am Freitag, dass das Fehlverhalten zwar Jahre oder sogar Jahrzehnte zurückliege, aber „das Trauma für die Opfer andauere“.
Henry ging nicht auf den Umgang der Organisation mit den Beschwerden ein, sagte aber, die Ermittlungen würden fortgesetzt.
Der US-Zweig der Zeugen Jehovas, Wallkill, NY, gab die folgende Erklärung ab: „Es ist uns gesetzlich nicht gestattet, uns zu bestimmten Angelegenheiten zu äußern, die sich aus den Ermittlungen der Grand Jury ergeben. Dennoch macht uns die Nachricht, dass jemand sexuell missbraucht wurde, sei es ein Kind oder ein Erwachsener, krank. Vor allem der sexuelle Missbrauch von Kindern ist ein abartiger Akt des Bösen. Deshalb bemühen sich die Zeugen Jehovas seit Jahrzehnten, Eltern durch unsere Veröffentlichungen, Versammlungen und unsere Website darüber aufzuklären und zu warnen, wie sie ihre Kinder in den verschiedensten Situationen schützen können. Wir sind auch schnell dabei die Betroffenen zu unterstützen und ihnen seelsorgerischen Beistand zu leisten, während wir uns dafür einsetzen, dass reuelose Täter aus der Versammlung entfernt werden. Jeder, der Opfer geworden ist, hat die volle Unterstützung der Gemeinde um die Angelegenheit den Behörden zu melden.“
Kritiker sagen, dass die Ältesten der Zeugen Jehovas den sexuellen Missbrauch von Kindern eher als Sünde denn als Verbrechen behandelt haben, indem sie Beschwerden in internen Akten dokumentierten, sie aber nicht den Behörden meldeten. Und sie sagen, die Glaubensgemeinschaft verlange oft einen zweiten Zeugen, um eine Beschwerde zu untermauern – was kaum je möglich ist, wenn die Täter ihre Opfer isolieren.
Mark Haugh aus York Haven, Pennsylvania, ein ehemaliger Ältester, der 2016 aus der Glaubensgemeinschaft austrat und sich jetzt für Überlebende von Missbrauch in der Organisation einsetzt, lobte die Ermittler. „Ich hoffe, dass die Ältesten verhaftet werden, die von dem Kindesmissbrauch wussten und ihn vertuschten. Dann ist es wieder passiert.“, sagte Haugh, der vor der Grand Jury über die Struktur der Glaubensgemeinschaft und über den Missbrauch seiner eigenen Tochter in einer Versammlung der Zeugen Jehovas aussagte.
Er hofft auch, dass die Leiter der Organisation zur Rechenschaft gezogen werden, „weil es nicht nur ein Problem in Pennsylvania ist, sondern ein nationales Problem“.
Der Sprecher der Zeugen Jehovas, Jarrod Lopes, hat die Kritik zurückgewiesen und gesagt, dass die Ältesten die Meldepflicht erfüllen und dass es den Mitgliedern auch freisteht, sexuelle Übergriffe den Behörden zu melden. Er sagte aus, dass die Regel des zweiten Zeugen nur für interne disziplinarische Maßnahmen gelte.
Lopes antwortete am Freitag nicht sofort auf eine Nachricht, in
der er um eine Stellungnahme gebeten wurde.
Die Untersuchung der Zeugen Jehovas durch die Grand Jury begann
mit der Empfehlung eines Bezirksstaatsanwalts, der der Meinung war, der Staat
solle sich eingehender mit diesem Thema befassen. Dutzende von Zeugen sagten
dann vor der geheimen Grand Jury in Harrisburg aus oder lieferten Informationen
an das Büro des Generalstaatsanwalts.
In der am Freitag veröffentlichten Anklageschrift sagte Henry,
dass die Männer die Kinder über die Glaubensgemeinschaft angeworben oder sich
Zugang zu ihnen verschafft hätten, manchmal, wenn die Familie des Kindes die
Person in ihr Haus aufgenommen habe. Eine Person sagte, dass sie im Alter von 7
bis 12 Jahren 50 oder mehr Mal von einem Gemeindemitglied vergewaltigt wurde,
der zu Beginn der Übergriffe 18 Jahre alt gewesen sei. In anderen Fällen ging
es um weniger schwerwiegende Anschuldigungen wegen unangemessener Berührungen.
Bei den fünf Angeklagten handelt es sich um David Balosa, 62,
aus Philadelphia; Errol William Hall, 50, aus Delaware County; Shaun Sheffer,
45, aus Butler County; Terry Booth, 57, aus Panama City, FL; und Luis
Ayala-Velasquez, 55, aus Berks County. Vier von ihnen wurden in Gewahrsam
genommen, während nach Balosa noch gefahndet wurde. Es war nicht sofort klar,
ob einer von ihnen von einem Anwalt vertreten würde.
Einer der neun früheren Angeklagten begang Suizid, bevor er
verhaftet werden konnte, sagte Henry.
Der Anwalt Matt Haverstick, der die Gemeinden in Pennsylvania bei den staatlichen
Ermittlungen vertreten hat, antwortete am Freitag nicht sofort auf einen Anruf,
um einen Kommentar abzugeben.
In einem Fall, der einige Parallelen aufweist, gipfelte eine
staatliche Untersuchung des sexuellen Missbrauchs von Kindern durch katholische
Priester in einem langen Bericht von 2018, der zu dem Schluss kam, dass
Hunderte von Priestern über sieben Jahrzehnte hinweg Kinder in Pennsylvania missbraucht
hatten und Kirchenvertreter dies vertuscht hatten. Vor kurzem wurde ein
ähnlicher Bericht in Maryland veröffentlicht.
Die Zeugen Jehovas, eine internationale christliche
Glaubensgemeinschaft, die vor mehr als einem Jahrhundert in der Gegend von
Pittsburgh gegründet wurde und ihren Hauptsitz im Bundesstaat New York hat,
zählt weltweit 8,7 Millionen Mitglieder, davon 1,2 Millionen in den Vereinigten
Staaten.
Die Mitglieder tragen keine Waffen, grüßen keine Nationalflagge
und beteiligen sich nicht an der weltlichen Politik. Die Gläubigen sind bekannt
für ihre missionarischen Bemühungen, einschließlich des Klopfens an Türen und
des Verteilens von Literatur an öffentlichen Plätzen.