Gegen Missachtung von Grund- und Menschenrechten bei den Zeugen Jehovas
Die Zeugen Jehovas missachten fundamentale Grund- und Menschenrechte, die Folgen sind für Betroffene verheerend.
Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Universität Zürich zeigt: Ehemalige Zeugen Jehovas erlebten in der Kindheit dreimal häufiger körperliche und sexuelle Gewalt als die Allgemeinbevölkerung und sechsmal häufiger emotionale Vernachlässigung bzw. emotionale Gewalt. Nach Verlassen der Gruppe sind 77 % der ehemaligen Zeugen Jehovas von verordnetem Kontaktabbruch betroffen. Jede dritte ausgestiegene Person hat nach Verlassen der Gruppe Suizidgedanken, 10 % der Ausgestiegenen unternehmen einen Suizidversuch. Ehemalige Zeugen Jehovas sind 40 % häufiger von chronischen Krankheiten und ein Drittel häufiger von psychischen Erkrankungen betroffen.
Der Opferhilfeverein JZ Help e.V. macht anlässlich des jährlich stattfindenden internationalen Wachtturm-Opfer-Gedenktags mit einer Standaktion am 27. Juli in Nürnberg auf die Missstände innerhalb der Zeugen Jehovas aufmerksam.
Anwesende Vereinsmitglieder geben gerne gegenüber Medienschaffenden Auskunft.
Menschenrechtsverletzungen
Die Zeugen Jehovas missachten fundamentale Menschenrechte ihrer Mitglieder, diese Feststellung ist laut dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Hamburg zulässig (s. Kommentar des IFW zu Urteil). Das Bezirksgericht Zürich urteilte, dass Ächtung als verordnetes Mobbing bezeichnet werden kann, welches die persönliche Integrität sowie implizit die Glaubens- und Gewissensfreiheit der Betroffenen verletze.
Norwegen entzog den Zeugen Jehovas die staatlichen Beiträge sowie die Registrierung als Religionsgemeinschaft, weil die Jehovas Zeugen das Recht ihrer Mitglieder auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf Religionsfreiheit, sowie den Menschenrechtsschutz von Kindern nach der Konvention über die Rechte des Kindes verletzen. Die Verstöße werden offenbar vorsätzlich begangen, gemäß Behördenentscheid.
Verordneter Kontaktabbruch – Ächtung
Zu getauften Zeugen Jehovas, welche die Organisation verlassen, dürfen die Mitglieder keinen Kontakt mehr pflegen, sie müssen geächtet werden (siehe dieses Video). Dass auch Kinder von Ächtung betroffen sind, geht sowohl aus dem norwegischen als auch dem Zürcher Gerichtsurteil hervor. Betroffene in diesem Video berichten vom Kontaktabbruch als Minderjährige zu ihren Eltern.
Bluttransfusionsverbot
Ebenso wie beim Thema Ächtung haben die Gläubigen hier keine freie Wahl. Akzeptieren sie nämlich eine Bluttransfusion, gelten sie als „freiwillig“ ausgetreten und werden geächtet. Von den Eltern wird strikt gefordert, die eigenen Kinder vor einer „Bluttransfusion zu schützen“ – siehe auch diesen Betroffenenbericht.
Sexuelle Gewalt gegen Kinder
Vorgaben der Wachturm-Organisation schützen die TäterInnen auf Kosten der Opfer und begünstigen eine Kultur der Gewalt – siehe dazu die Medienmitteilung von JZ Help e.V. vom 24. Juli 2023.
Die Untersuchung der Royal Commission, die 2015 Missbrauchsfälle bei Zeugen Jehovas in Australien untersuchte, ergab, dass zwischen 1950 und 2014 1006 Mitglieder der Zeugen Jehovas beschuldigt wurden, mutmaßlich 1800 Kinder sexuell missbraucht zu haben. Kein einziger der 1006 mutmaßlichen Täter wurde jedoch durch die Organisation angezeigt.
Die unabhängige deutsche Aufarbeitungskommission führt die Zeugen Jehovas als Schwerpunktthema und bittet Betroffene, sich zu melden.
Verängstigung von Kindern
Bereits früh sind Kinder durch die religiöse Praxis und dem Medienmaterial der Gruppierung mit Gewalt und verstörenden, nicht altersgerechten Inhalten konfrontiert – die Folgen reichen bis ins Erwachsenenalter, wie eine Betroffene hier berichtet.
Ein Video mit einer Zusammenstellung von gewaltvollen Szenen aus den Wachtturm-Medien für Kinder ist so verstörend, dass es mit einem Warnhinweis versehen werden muss.
Ein schwedisches Gerichtsurteil stufte Material der Zeugen Jehovas, das bei Kongressen gezeigt wurde, als jugendgefährdend ein.
Auch freie Entfaltung der Persönlichkeit der Kinder bzw. Jugendlichen ist nicht möglich, wie dieser Bericht zeigt.
Diskriminierung von Frauen
Frauen müssen sich hierarchisch unterordnen. Die leitenden Posten innerhalb der Gemeinschaft sind Männern vorbehalten.
Nach Auffassung des Landgerichts Hamburg darf „zulässig davon gesprochen werden, dass eine Frau im Umfeld der Organisation (der Klägerin) lediglich Zubehör (eines Mannes) ist.“ – siehe dazu diesen Kommentar.
Gewalt in der Ehe ist kein Scheidungsgrund – auch hier werden bei Verstoß Sanktionen verhängt, wie dieser Bericht und auch dieser hier zeigen.
Diskriminierung queerer Menschen
Gläubige sind nicht frei, ihre sexuelle Orientierung oder ihre geschlechtliche Identität zu leben. Für Betroffene hat das oft schwere Langzeitfolgen, wie aus dieser Reportage hervorgeht. Die eindeutige Homo- und Transphobie und Diskriminierung dieser Menschen, wird in dieser Materialsammlung von JZ Help e.V. deutlich.
Verbot politischer und gesellschaftlicher Teilhabe
Erfahrungsberichte zeigen im Gegensatz zu öffentlichen Aussagen der Zeugen Jehovas, dass die Teilnahme an politischen Wahlen sanktioniert wird. Auch anderes gesellschaftliches Engagement oder Aktivismus wird sanktioniert, wie dieser Bericht zeigt.
Internes “Rechtssystem” der Zeugen Jehovas
Zeugen Jehovas betreiben sogenannte Komitees (früher „Rechtskomitee“ genannt), eine Art Gerichtsverhandlung, wenn ein Mitglied gegen die Regeln verstößt. Dabei werden einzelne „sündige“ Mitglieder von 3 Ältesten (die Leiter oder „Hirten“ der Ortsversammlung) explizit zu ihrer Sünde befragt – auch zu sehr intimen Details. Im Anschluss wird darüber entschieden, ob Sanktionen verhängt oder Betroffene aus der Gemeinschaft entfernt werden, wodurch eine enorme Drucksituation entsteht.
Der ehemalige Zeuge Jehovas und Autor Konja Simon Rohde beschreibt solch ein Komitee in diesem Video (ca. ab min 4:00) sehr genau. Viele Betroffene erleben dies als eine traumatische Erfahrung, wie im Schweizer Beobachter und auch hier nachzulesen ist.
Stigmatisierung höherer Bildung
Viele Ehemalige beklagen, dass sie keine höhere Bildung genießen durften (beispielsweise hier). Diese gilt für Zeugen Jehovas nämlich als unerwünscht. So haben Zeugen Jehovas im Vergleich mit anderen religiösen Gruppen in den USA laut Pew-Research ein besonders tiefes Bildungsniveau und Einkommen. Daten aus der Schweiz (S. 64-68) weisen in die gleiche Richtung.
Unsere Forderungen an Gesellschaft und Staat
- Sexuelle Gewalt gegen Kinder muss als Verbrechen anzeigepflichtig werden.
- Kein Schweigerecht bei sexualisierter Gewalt in Religionsgemeinschaften.
- Kinderrechte müssen ins Grundgesetz aufgenommen werden.
- Der Staat ist für den Schutz von Kindern in sektenhaften/religiösen Gruppen verantwortlich.
- Durchsetzung von Grund- und Menschenrechten auch in sektenhaften Gemeinschaften.
- Regelmäßige Prüfung der Rechtstreue – bei Verstoß müsste der Status „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ entzogen werden.
- Das Gesundheitssystem muss angepasst und Fachpersonen müssen geschult werden. Es braucht staatliche Aufklärung und Hilfsangebote.
- Abschaffung von Art. 91 DSGVO – damit Religionsgemeinschaften unter staatliche Datenschutzbehörden unterstellt werden können.
Unsere Forderungen an die Zeugen Jehovas
- Achtung von Grund- und Menschenrechten
- Achtung der Religionsfreiheit
- Abschaffung der Ächtung und anderen Formen der Nötigung
- Aufhebung der Zwei-Zeugen-Regel
- Verzicht auf ein eigenes Rechtssystem
- Gleichberechtigung von Frauen und queeren Menschen
- Sofortige Meldung an die Behörden bei Hinweis auf sexualisierte Gewalt
- Aufarbeitung der Missstände und ein professionelles Konzept von Kinderschutz
- Entschuldigung und angemessene Entschädigung bei den Opfern
JZ Help e.V.
JZ Help ist ein Zusammenschluss von religiös und weltanschaulich unabhängigen Menschen aus Deutschland, Österreich, Schweiz und Italien. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, über Menschenrechtsverstöße bei den Zeugen Jehovas aufzuklären und bieten eine Anlaufstelle für Betroffene und Fachpersonen im deutschen Sprachraum.
Wachtturm-Opfer-Gedenktag
Der internationale Wachtturm-Opfer-Gedenktag wurde von Aktivistinnen und Aktivisten im Jahr 2014 ins Leben gerufen. An diesem Tag bzw. in der Woche rund um den 26. Juli wird weltweit durch verschiedene Aktionen an die Opfer der Wachtturm-Organisation erinnert.
Aktivisten und Aktivistinnen wählten dieses Datum, um einmal im Jahr den Ausgestiegenen eine Stimme zu geben und all jener zu gedenken, deren Leben durch ihre Vergangenheit als Zeugen Jehovas beeinträchtigt ist.
Der Gedenkanlass ist auch allen Menschen außerhalb und innerhalb der Wachtturm-Organisation gewidmet, die infolge des geforderten Kontaktverbots und der Ächtung ihre nächsten und liebsten Menschen verloren haben. Besonders soll auch all jener Menschen gedacht werden, die wegen der religiösen Doktrin starben: Weil sie so verzweifelt waren, dass sie sich das Leben nahmen oder wegen des sogenannten Blutverbots.
Berichte Betroffener finden Sie hier: Aktion Überlebenswege.